USA: Haushalt:Die Stunde der Wahrheit

Die USA müssen drastisch sparen - und die amerikanische Politik muss beweisen, dass sie willens und in der Lage ist, die Probleme des Landes zu lösen. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Nikolaus Piper

Das Plakat ist zu Recht berühmt geworden: "Cut Taxes, not Defense" forderten Demonstranten der konservativen Tea-Party-Bewegung in New York. "Senkt die Steuern, nicht die Verteidigungsausgaben" - die Parole illustriert, in welchen Wolkenkuckucksheimen die rechten Populisten Amerikas leben. Aber sie haben nur eine Idee ins Absurde gesteigert, die seit drei Jahrzehnten die amerikanische Politik beherrscht: Steuersenkungen könnten so viel Wachstum erzeugen, dass man damit sogar höhere Militärausgaben finanzieren kann.

Die Wähler bestraften US-Präsident  Barack Obama für geerbte Probleme.

Die Wähler bestraften US-Präsident Barack Obama, doch der hat die Probleme nur geerbt.

(Foto: dpa)

Es bedurfte der Finanzkrise, um zu zeigen, wie grundfalsch diese Theorie ist. Nach unzähligen Steuersenkungen sind die Staatsfinanzen heute in einem so verheerenden Zustand, dass den USA am Ende des Jahrzehnts eine tiefe Finanzkrise droht. 2030 wäre der Schuldenberg im Verhältnis höher als der Griechenlands. Die Ironie der Geschichte liegt darin, dass die Wähler dafür mit Barack Obama jenen Präsidenten abstraften, der die Probleme nur geerbt hat, und gleichzeitig jene Republikaner belohnten, die das Land in die Krise geführt haben. Nun allerdings hat Obama ein Instrument in der Hand, mit dem er die Geschicke des Landes und sein eigenes wenden kann: Eine von ihm eingesetzte überparteiliche Sparkommission hat einen Plan vorgelegt, der die Staatsschulden bis zum Ende des Jahrzehnts um vier Billionen Dollar senken würde.

Tabus aller Lager werden verletzt

Die Bedeutung des 66 Seiten dicken Kommissionsberichts für die amerikanische Politik kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Das Papier liefert einen Maßstab, an dem sich Politiker messen lassen müssen: Wenn du X, Y und Z ablehnst, wie willst du dann das Budget ausgleichen? Die Kommission verletzt Tabus aller politischen Lager: Die Ausgaben der Rentenversicherung ("Social Security") werden gekürzt, was Proteste auf der Linken auslöst. Das Rentenalter soll bis 2050 auf 68 Jahre steigen, die Bezüge werden von der Mittelschicht auf die Armen umverteilt - ein Ärgernis für Wähler aller Parteien. Der Verteidigungsetat wird gekürzt und die Benzinsteuer deutlich erhöht - zum Schrecken der Konservativen. Die Steuern auf Kapitaleinkünfte steigen, viele Steuernachlässe werden entfallen, die Zinsen für Hauskredite sollen nicht mehr unbegrenzt abzugsfähig sein. Die jahrzehntelange Praxis des staatlichen Schuldenmachens und der Subventionierung des privaten Schuldenmachens hört auf.

Es ist tatsächlich Amerikas "Stunde der Wahrheit" - so der Titel des Kommissionsberichts. Die beiden Vorsitzenden, Erskine Bowles, Stabschef von Präsident Bill Clinton, und Alan Simpson, ein republikanischer Senator im Ruhestand, schlugen dem Washingtoner Politikbetrieb ein Schnippchen: Sie veröffentlichen ihre vorläufigen Vorschläge vorab und machten es so allen schwer, sich einer konkreten Spardebatte zu entziehen. Für Obama liegt darin eine riesige Chance: Er kann sich die Vorschläge zu eigen machen, und die Republikaner zu Kompromissen zwingen. Verweigern sie sich, liefern sie ihm die entscheidenden Wahlkampfargumente für 2012.

Ständige Quelle der Instabilität

Um die weltwirtschaftliche Dimension des Berichts zu erfassen, muss man weit in der Geschichte zurückgehen. Seit dem Zusammenbruch der Währungsordnung der Nachkriegszeit 1971 sind sowohl der Staatshaushalt als auch die Zahlungsbilanz der Vereinigten Staaten fast immer im Defizit gewesen. Der Dollar wurde dadurch zu einer ständigen Quelle der Instabilität. Der Anstieg der Defizite beschleunigte sich mit den Steuersenkungen von Präsident Ronald Reagan 1981. Die Hoffnung, genährt von dem Ökonomen Arthur Laffer, dass das Wirtschaftswachstum irgendwann die Haushaltlücke wieder schließen würde, hat sich zu keinem Zeitpunkt erfüllt. Erst Bill Clinton gelang es, durch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen, für drei Jahre Überschüsse zu erwirtschaften.

Unter George W. Bush begann dann der Marsch in die Finanzkrise: Er senkte die Steuern, führte zwei Kriege und erhöhte die Sozialausgaben. Aus den Überschüssen wurden hohe Defizite. In der Finanzkrise gerieten sie völlig außer Kontrolle. Weil die amerikanischen Staatstitel zur Hälfte im Ausland liegen (allein 22 Prozent in der Volksrepublik China), ist die Defizitpolitik mittlerweile auch ein Sicherheitsrisiko ersten Ranges. Was passiert, wenn die Finanzmärkte, aus welchem Grund auch immer, plötzlich das Vertrauen in die USA verlieren? Die Euro-Krise liefert hier für amerikanische Politiker reiches Anschauungsmaterial.

Heute kann niemand mehr die Augen vor der Wahrheit verschließen. Und genau darin liegt die Bedeutung des Kommissionsberichts. Über viele Details kann man dabei streiten. Nach dem Bericht sollen 75 Prozent des Defizitabbaus von Ausgabenkürzungen und nur 25 Prozent von Steuererhöhungen kommen. Wahrscheinlich wäre ein ausgewogeneres Verhältnis besser. Aber im Grundsatz gibt es zu den Vorschlägen keine Alternative. Obama wird sein politisches Management erheblich verbessern müssen, wenn er die Chance nutzen will.

Er muss lernen zu kämpfen und gleichzeitig Kompromisse einzugehen, er muss in seinen Reden das Ungefähre und Wolkige aufgeben und dem Volk sagen, was er will. Es geht dabei nicht um das heutige Defizit. Das ist durch die akute Krise bedingt und kann ohne Schaden für die Gesamtwirtschaft nicht so schnell abgebaut werden. Aber der Plan muss klar sein. Die amerikanische Politik muss beweisen, dass sie willens und in der Lage ist, die Probleme des Landes zu lösen. Wenn nicht jetzt, wann dann?

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