Inflation:US-Notenbank erhöht Leitzins auf fast 4,5 Prozent

Inflation: Jerome Powell bei einer Rede in Washington. Der Chef der US-Notenbank hatte immer wieder betont, dass man im Kampf gegen die Inflation nicht nachlassen werde.

Jerome Powell bei einer Rede in Washington. Der Chef der US-Notenbank hatte immer wieder betont, dass man im Kampf gegen die Inflation nicht nachlassen werde.

(Foto: Oliver Douliery/AFP)

Die Währungshüter gehen weiter mit drastischen Mitteln gegen die hohe Inflation im Land vor. Doch immerhin: Es gibt erste Anzeichen, dass die Rosskur wirkt.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Wer ein wenig in die Welt des Jerome Powell eintauchen möchte, der sollte sich einen Chefarzt vorstellen, der die Behandlung eines schwer kranken Patienten übernommen hat und sich nun beständig fragt, ob die eingesetzten Medikamente richtig dosiert sind. Ist die Wirkstoffgabe zu niedrig, rafft die Krankheit den Leidenden weiter dahin, ist sie zu hoch, sind die schädlichen Nebenwirkungen größer als der Nutzen der Präparate. Es ist ein tägliches Tasten und Ringen, eine Gratwanderung, die jederzeit im Desaster enden kann.

Powells Patient, das muss man wissen, ist die amerikanische Volkswirtschaft, die unter einem Maß an Inflation leidet, wie es das seit 40 Jahren nicht mehr gegeben hat. Die Arznei, für die sich der Chef der US-Notenbank (Fed) und sein Team entschieden haben, ist die wiederholte Erhöhung der Leitzinsen. Das Problem dabei: Mit einer solchen Therapie lassen sich zwar Kredite verteuern, die die Konsum- und Investitionsnachfrage von Bürgern und Firmen dämpfen und damit den Preisanstieg bremsen. Zugleich aber beschwört man die Gefahr einer Rezession mit Firmenpleiten und Massenarbeitslosigkeit herauf.

Die Frage ist deshalb: Wie viel ist nötig - und wann ist es genug?

An diesem Mittwoch kamen "Chefarzt" Powell und die übrigen Führungsmitglieder der Fed zu ihrer letzten Routinesitzung in diesem Jahr zusammen, und bereits vor dem Treffen sprach einiges dafür, dass sie erstmals seit Monaten eine Drosselung der Medikamentendosis beschließen würden. Denn zaghaft, ganz zaghaft beginnt sich abzuzeichnen, dass die Therapie tatsächlich anschlägt und der Patient auf dem Weg der Besserung sein könnte. Genau so kam es dann auch: Nach zuletzt vier Leitzinserhöhungen um jeweils 0,75 Punkte beschloss die Notenbankspitze, die sogenannte Tagesgeldzielspanne diesmal "nur" um 0,5 Punkte auf jetzt 4,25 bis 4,5 Prozent anzuheben. Zugleich hieß es, man werde den Kampf gegen die Inflation unbeirrt fortsetzen.

Das Leitzinsniveau könnte im gesamten Jahr 2023 bei über fünf Prozent liegen

Um die Überlegungen der Notenbanker richtig einordnen zu können, muss man zwei Dinge wissen. Erstens: Noch vor neun Monaten hatte die Zielspanne bei praktisch null gelegen, weil die Fed die Wirtschaft nach dem Corona-Schock stützen wollte und die steigenden Inflationsraten für ein vorübergehendes Phänomen hielt. Eine fatale Fehleinschätzung, der im März eine radikale Wende und ein in der jüngeren Notenbankgeschichte beispielloser Zinserhöhungssprint folgte.

Und zweitens: Auch mit einem Leitsatz von knapp viereinhalb Prozent dürfte der Zyklus noch nicht abgeschlossen sein. Schließlich liegt die Inflationsrate zwar nicht mehr bei über neun Prozent wie noch im Juni, mit 7,1 Prozent ist sie aber immer noch mehr als dreimal so hoch wie von der Notenbank gewünscht. Wie aus den Sitzungsunterlagen von Mittwoch hervorgeht, rechnen die Mitglieder der Fed-Führungsgremien mehrheitlich damit, dass der Leitsatz in den nächsten Monaten weiter auf knapp über fünf Prozent steigen und dann im gesamten Jahr 2023 dort verharren wird. Selbst Ende 2024 könnte das Zinsniveau demnach immer noch bei gut vier Prozent liegen.

Powell hatte zuletzt immer wieder betont, dass man im Kampf gegen die Inflation nicht nachlassen werde. Denn zu hohe Preissteigerungen verhinderten mittel- und langfristig jede positive Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Um sich dem Zielwert von zwei Prozent wieder zu nähern, werde er deshalb auch einen leichten "gesamtwirtschaftlichen Schmerz" akzeptieren - sprich: einen mäßigen Anstieg der ungewöhnlich niedrigen Arbeitslosenquote. Denn neben der weiter robusten Nachfrage und Engpässen beim Warenangebot gilt der Fachkräftemangel in den USA als einer der wichtigsten Inflationstreiber, weil er die Firmen zwingt, Arbeitssuchenden teils deutlich höhere Löhne anzubieten als in früheren Jahren.

Umgekehrt deutete der Fed-Chef aber auch an, dass er entgegen vieler Unkenrufe weiterhin eine vergleichsweise "weiche Landung" der US-Konjunktur für erreichbar hält, also eine Reduzierung der Inflation ohne gleichzeitigen gesamtwirtschaftlichen Absturz. Viele US-Ökonomen sind nicht so optimistisch und sagen für 2023 eine mehr oder weniger tiefe Rezession voraus. Sie befürchten unter anderem, dass die Fed die recht lange Zeitverzögerung zwischen dem jeweiligen Inkrafttreten ihrer Zinserhöhungen und deren tatsächlicher Wirkung nicht ausreichend beachtet und zudem die Folgen von Zinsentscheidungen im Ausland unterschätzt.

Tatsächlich heben die großen Notenbanken der Welt ihre Leitsätze seit Monaten mehr oder weniger parallel an und setzen damit über die eigene direkte Einflusssphäre hinaus konjunkturdämpfende Impulse. Sollten sich diese Impulse gegenseitig verstärken, wären gegen den Abwärtsdruck wohl selbst die fähigsten Chefärztinnen und -ärzte der Welt machtlos.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusFinanzen
:So holt man das meiste raus beim Elterngeld

Wer in Deutschland lebt und ein Kind bekommt, erhält mindestens ein Jahr lang finanzielle Unterstützung vom Staat. Das bietet viele Möglichkeiten - wenn man die richtigen Kniffe kennt.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: