Bei der Federal Reserve denken sie in langen Zyklen. Schon weit im Voraus stand fest, dass die Notenbanker um Fed-Chef Jerome Powell an diesem Donnerstag in Washington zusammenkommen würden, um über den Leitzins zu entscheiden. Es dürfte ihnen also nicht entgangen sein, dass ihre Sitzung diesmal auf ein besonderes Datum fallen würde, nur zwei Tage nach der US-Präsidentschaftswahl. Doch die Zentralbanker sind geübt darin, auch in unruhigen Zeiten business as usual zu machen, sich nicht vom Politikbetrieb treiben zu lassen. Das ist genau genommen sogar ihre Aufgabe.
Und das taten sie dann auch. Die Fed senkte den Leitzins wie erwartet um 0,25 Prozentpunkte. Er liegt damit nun zwischen 4,50 und 4,75. Die Fed bleibt damit auf ihrem Zinswende-Kurs, den sie im September eingeleitet hatte. Weltweit haben Notenbanken in den vergangenen Monaten begonnen, die Zinsen zu senken. Die Federal Reserve hatte damit länger gezögert als etwa die Europäische Zentralbank, weil sich die Inflation in den USA in der ersten Jahreshälfte 2024 als hartnäckig erwies. Inzwischen liegt die Teuerung in den Vereinigten Staaten bei nur noch 2,4 Prozent – und damit nahe der von der Fed avisierten Zielmarke von zwei Prozent.
Aber natürlich ist ansonsten rein gar nichts normal. Man kann annehmen, dass Fed-Chef Powell sich einen anderen Wahlausgang als den Sieg von Donald Trump gewünscht hat. Powell ist zwar Republikaner und wurde einst von Trump ins Amt gehoben, aber nun ist sein Job womöglich akut in Gefahr. Trumps Umfeld könnte den neuen Präsidenten drängen, Powell zu feuern. Trump und sein engster Kreis wünschen sich schnelle Zinssenkungen. Sie glauben, dass diese die Wirtschaft beleben – eines der zentralen Wahlkampfversprechen Trumps.
Unter Trumps Beratern kursiert daneben die Idee, die Fed zu entmachten. Wenn es nach ihnen geht, soll die US-Notenbank ihre Zinsentscheidungen künftig mit dem Präsidenten absprechen. Einige wünschen sich sogar, dass Trump einen Sitz im Führungsgremium der Fed bekommt. Das wäre ein Tabubruch, denn die Hüter der Geldpolitik sind qua Gesetz politisch unabhängig. Doch Trump hatte im Wahlkampf wiederholt mit seinen Entmachtungsfantasien für die Fed kokettiert. Zuletzt spielte er diese herunter. In einem Interview sagte er, Powell dürfe seinen Job behalten, sofern er „das Richtige“ tue. Trump, so muss man das interpretieren, stellt sich den Fed-Chef als Lakaien vor, der seine Befehle ausführt.
Man würde gern wissen, was Jerome Powell darüber denkt. Doch er ist per Mandat zur Neutralität verpflichtet. Bei seiner Pressekonferenz an diesem Donnerstag erklärte Powell zwar bis ins letzte Detail, warum er mit der aktuellen Entwicklung der US-Wirtschaft zufrieden ist, kommentierte das Wahlergebnis aber nicht – oder höchstens sehr indirekt. „Wir raten nicht, wir spekulieren nicht, wir nehmen nicht an“, sagte er auf die Frage, ob die künftige Wirtschaftspolitik der Trump-Regierung die Entscheidungen der Fed beeinflussen könnte. „Rein theoretisch“ sei das natürlich möglich, sagte Powell, und lehnte sich damit für seine Verhältnisse schon weit aus dem Fenster.
Hohe Zinsen haben einen Preis
Dabei stellt Trumps Wahlsieg die Fed vor ein Dilemma. Nachdem die Inflation im Sommer 2022 einen beängstigenden Wert von mehr als neun Prozent erreicht hatte, versuchte die US-Notenbank gegenzusteuern. Sie erhöhte den Leitzins nach und nach auf mehr als fünf Prozentpunkte, und tatsächlich gab die Inflation nach. Aber hohe Zinsen haben einen Preis. Sie machen es Firmen schwerer, zu investieren – und verteuern unter anderem Immobilienkredite. Das ärgert die Verbraucher. In den vergangenen Monaten mussten die US-Notenbanker deshalb abwägen, wann der richtige Zeitpunkt für eine Zinswende gekommen ist. Im September war es aus ihrer Sicht so weit. Die Inflation schien erst einmal bezwungen. Gleichzeitig sah es so aus, als würde sich die US-Konjunktur abkühlen. Die Fed musste also handeln, und tat das auch.
Jerome Powell sagte bei seiner jüngsten Pressekonferenz, dass er mit zwei weiteren Zinssenkungen bis Jahresende rechne. In ihren Prognosen gehen er und seine Kollegen aktuell davon aus, dass sie den Leitzins auch 2025 nach und nach senken werden. So funktioniert Geldpolitik üblicherweise: Wenn die Notenbank einmal eine Trendwende in die eine oder die andere Richtung eingeleitet hat, bleibt sie normalerweise eine Zeit lang auf diesem Pfad. Diese Berechenbarkeit ist wichtig.
Nun haben die Amerikaner mit Donald Trump einen Präsidenten gewählt, der für seine Unberechenbarkeit berüchtigt ist. Er könnte alle Pläne für eine längerfristige Zinswende zunichtemachen. Denn die von ihm angedrohten Handelszölle dürften die Inflation nach übereinstimmender Einschätzung von Ökonomen wieder anheizen. Dann müsste die Fed gegensteuern und die Zinsen wieder erhöhen. So könnte die Zinswende schon wieder Geschichte sein, bevor sie richtig angefangen hat.