Süddeutsche Zeitung

USA:Der Eier-Trend

  • In den USA galten Eier als Krankmacher. Erst 2016 kam die Wende, seitdem gelten Eier als gesunde Proteinquelle.
  • Die US-Amerikaner werden in diesem Jahr Schätzungen zufolge wieder 280 pro Kopf essen - der höchste Wert seit fast fünf Jahrzehnten.

Von Claus Hulverscheidt

Einmal, im Jahr 1945, trieben es die Amerikaner wirklich auf die Spitze. Der Krieg war gewonnen, und die Menschen lechzten danach, die Entbehrungen der Vorjahre hinter sich zu lassen und endlich wieder zu schlemmen - Rührei und Omelett, Kuchen und Gebäck. 405 Eier verdrückte damals jeder Bürger statistisch gesehen zwischen Januar und Dezember, mehr als das Jahr Tage hat. Es war eine Zahl, die nie wieder erreicht werden sollte.

Dass der Verbrauch in den Folgejahrzehnten regelrecht einbrach, lag vor allem daran, dass die Gesundheitsbehörden weltweit Eier als Hauptschuldige für hohe Cholesterinwerte im menschlichen Körper und als Auslöser für schwere Herzerkrankungen brandmarkten. Erst 2016 kam die Wende: In ihren "Ernährungsrichtlinien für Amerikaner" ließ die US-Regierung ihre bisherige Standardmahnung fallen. Sie schloss sich stattdessen der veränderten Meinung vieler Fachleute an, wonach Eier - genauso wie mageres Fleisch, Geflügel, Gemüse, Meeresfrüchte und Nüsse - in normalen Mengen eine gesunde Proteinquelle sind.

Welchen Effekt die Kurskorrektur auf das Verhalten der Bürger hatte, zeigt die jüngste landwirtschaftliche Verbrauchsschätzung, die das Agrarministerium in Washington jetzt vorgelegt hat. Demnach werden die Amerikaner dieses Jahr fast 93 Milliarden Eier verdrücken. Das sind 280 pro Kopf - der höchste Wert seit fast fünf Jahrzehnten. Allein seit 2015 ist der Konsum um beinahe zehn Prozent gestiegen. Zum Vergleich: In Deutschland, wo der Verbrauch längerfristig gesehen ebenfalls spürbar zunimmt, isst jeder Bürger im Schnitt etwa 230 Eier pro Jahr.

Dass die Amerikaner so euphorisch auf das Ende des staatlichen Eierbanns reagieren, liegt an der Esskultur: Das Ei ist in den USA, vor allem beim Frühstück, nicht nur nettes Beiwerk, sondern integraler Bestandteil. Es wird in Dutzenden Formen gereicht - gekocht, pochiert oder gebraten, als Rührei, Spiegelei oder Omelett, als arme Ritter, Eggs Benedict oder Eggs Florentine. Internet-Kochseiten bieten "24 Eier-Frühstücksrezepte, um gut in den Tag zu kommen" oder "48 Wege, dein Frühstücksei zuzubereiten".

Allein Spiegeleier gibt es in unzähligen Varianten, was jeder bestätigen wird, der einmal im US-Restaurant nach "fried eggs" gefragt hat und vom Kellner mit einem Dutzend Gegenfragen traktiert wurde. Für manche Versionen haben die Amerikaner fast poetische Bezeichnungen gefunden: Die einfache Form mit intaktem Eigelb heißt "sunny side up", also "Sonnenseite oben". Die einmal gewendete, kurz beidseitig gebratene Variante mit noch flüssigem Eigelb im Inneren hört auf den schönen Namen "over easy".

Im vergangenen Dezember produzierten Amerikas Hühnerfarmen 9,44 Milliarden Eier, so viele wie nie zuvor. Würde man sie aneinanderreihen, ergäbe sich eine Kette von der Erde bis zum Mond und die Hälfte der Strecke zurück. Doch nicht für jeden ist der Ei-Rekord eine gute Nachricht. Vor allem nicht für viele Hühner, die immer noch unter teils desaströsen Zuständen gehalten werden. Und auch Umweltforscher sind durchaus zwiegespalten: "Aus klimapolitischer Sicht ist es besser, Eier zu verzehren als Fleisch", sagte Sujatha Bergen vom Naturschutzbund NRDC der Washington Post. Noch besser aber wäre es, so die Expertin, wenn die Menschen mit beidem maßhielten und endlich etwas anderes äßen: Gemüse.

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SZ vom 02.03.2019/lüü
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