Süddeutsche Zeitung

Starke Währung:Dollar-Rausch mit Katergarantie

Seit Wochen eilt die amerikanische Währung von Rekord zu Rekord. Doch was wie eine Erfolgsgeschichte klingt, könnte im Desaster enden.

Kommentar von Claus Hulverscheidt, Berlin

Säße Donald Trump noch im Weißen Haus, dann wäre in seiner kleinen Gedankenwelt vermutlich schon wieder der Teufel los: Seit Monaten gewinnt der US-Dollar gegenüber fast allen anderen namhaften Währungen beständig an Wert, er hat den Euro erstmals seit 20 Jahren wieder unter die Marke von eins zu eins gedrückt und treibt USA-Besuchern etwa aus Deutschland damit die Tränen in die Augen. Er ist, wie Trump sagen würde, "the envy of the world" - jenes Zahlungsmittel also, das den Rest der Welt vor Neid erblassen lässt.

Von Joe Biden hat man derlei Kraftmeierei noch nie gehört, und das hat gleich zwei Gründe: Zum einen neigt der amtierende Präsident im Gegensatz zu seinem Vorgänger nicht zur Prahlerei. Und zum anderen weiß der Demokrat, dass eine derart starke Währung leicht zum Bumerang werden kann - für die Welt, aber letztlich auch für die USA selbst.

Dabei sind die Gründe für die hohe Dollar-Nachfrage vielfältig. Zunächst einmal sind Wirtschaft und Arbeitsmarkt in den USA schlicht in einem besseren Zustand als etwa in Europa, das überdies vom russischen Öl- und Gaslieferanten Wladimir Putin erpresst wird. Zudem schichten internationale Kapitalanleger ihr Geld in turbulenten Zeiten traditionell gerne in Dollar und Dollar-Wertpapiere um, weil die USA immer noch als Land gelten, das selbst in der tiefsten Krise garantiert solvent bleibt. Am wichtigsten aber: Während die Europäische Zentralbank (EZB) den massiven Anstieg der Inflationsraten in aller Welt lange Zeit selig schlummernd begleitete, erhöht die US-Notenbank seit Monaten aggressiv die Leitzinsen. Ergebnis ist, dass US-Staatsanleihen für Kapitalanleger viel attraktiver sind als etwa deutsche. Wer aber US-Bonds kaufen will, braucht dafür, genau, Dollar.

Für Amerikaner ist all das eine schöne Sache. Selten beispielsweise war es so billig, in Europa zu urlauben. Und auch wer als US-Bürger im Ausland gefertigte Waren bestellt, erlebt derzeit trotz Inflation eine Art Schnäppchenrausch. Doch dieser Rausch ist mit einer Katergarantie versehen, denn die Freude über Billigimporte hat eine Kehrseite: Exporte amerikanischer Firmen nämlich lassen sich immer schwerer verkaufen, weil die Erwerber die Waren in Dollar bezahlen müssen. Mit jedem Cent, den der Dollar an Wert zulegt, wächst also auch der Schmerz der Exportindustrie - und das Handelsdefizit. Doch nicht nur die Exporteure, auch im Ausland produzierende US-Firmen ächzen: Verkauft etwa Apple in Deutschland ein iPhone, erhält der Konzern dafür Euro. Tauscht er den Gewinn jedoch in Dollar, um ihn an die Aktionäre auszuschütten, geht ein beträchtlicher Teil verloren.

Weltweit drohen Konjunktureinbrüche, Arbeitslosigkeit und neue Schuldenkrisen

Noch dramatischer sind die Folgen für Bürger, Firmen und Regierungen im Rest der Welt. So müssen Schwellen- und Entwicklungsländer Milliarden an Devisenreserven auf den Markt werfen, um ihre Landeswährungen vor Kursstürzen und ihre Bürgerinnen und Bürger vor Rezession, Arbeitslosigkeit und Hyperinflation zu schützen. Zudem drohen neue Schuldenkrisen, weil viele ärmere Länder Kredite in Dollar aufgenommen haben, deren Rückzahlung jetzt viel teurer wird.

Aber auch die reicheren US-Handelspartner in Europa oder Ostasien geraten immer stärker unter Druck. Sie müssen nicht nur für Importe aus den Vereinigten Staaten viel mehr Geld ausgeben, sondern auch für Öl, Metalle, Holz und zahllose andere Rohstoffe, die in Dollar gehandelt werden. Zusätzlich zu den immens hohen Teuerungsraten daheim importieren sie also auch noch Inflation aus dem Ausland. Damit wächst die Gefahr, dass die EZB und andere Notenbanken die Zinsen noch sehr viel drastischer werden anheben müssen und die Konjunktur so abwürgen. Eine Rezession in Europa, dazu womöglich in Japan, Südkorea oder gar China, würde aber auch die US-Wirtschaft in massive Turbulenzen stürzen.

Dramatische Wechselkursausschläge sind immer entweder das Ergebnis staatlicher Manipulationen oder aber - wie in diesem Fall - ein klarer Hinweis darauf, dass die Welt in Unordnung ist. Anders als mancher Einfaltspinsel glaubt, ist deshalb nicht die Dollar-Stärke ein Grund zum Feiern. Eine Rückkehr zu normaleren, besser austarierten Kursen wäre es.

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