USA:Der US-Kompromiss macht für VW vieles nur noch schlimmer

Volkswagen Whistleblowers Receive End Of November Deadline

VW - hier die Fabrik in Wolfsburg - produziert weiterhin kräftig. Doch muss der Konzern mehr Rabatt als sonst gewähren, um die Autos zu verkaufen.

(Foto: Sean Gallup/Getty)
  • Der 15-Milliarden-Dollar-Kompromiss in den USA ist für Volkswagen zwar ein wichtiger Schritt, er generiert jedoch an anderer Stelle neue Probleme.
  • Die Autos deutscher und europäischer Kunden bekommen lediglich ein Software-Update, während die US-Besitzer zwischen verschiedenen Entschädigungen wählen können.
  • Wenn jedoch allein 475 000 Autos in den USA 15 Milliarden Dollar kosten, dann würden die anderen zehn Millionen Autos VW wahrscheinlich das Genick brechen.

Von Thomas Fromm

Es gab Zeiten bei Volkswagen, da sprach man von "Meilensteinen" und meinte damit Autos und Motoren. Die Entwicklung des ersten Dieselmotors 1897 zum Beispiel oder auch den einmillionsten Škoda Octavia der dritten Generation.

Am Dienstagabend nun eröffnete Matthias Müller ein neues Digital-Labor in Berlin und sprach einmal mehr von einem "Meilenstein". Doch der VW-Konzernchef meinte damit weder Autos noch Motoren, sondern einen teuren juristischen Vergleich in den USA.

So ändern sich die Zeiten: Der amerikanische Bundesrichter Charles Breyer winkt in San Francisco einen Plan durch, der Volkswagen verpflichtet, an die 15 Milliarden Dollar Wiedergutmachung zu zahlen, davon zehn Milliarden an Halter von Dieselfahrzeugen - und der VW-Chef sagt: "Das ist für uns ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Aufarbeitung des Problems, das wir vor geraumer Zeit verursacht haben."

Ein kleines Software-Update für die Europäer und weiter geht's

Mehr als ein Jahr nachdem der Dieselskandal um manipulierte Abgasmessungen in den USA begann, haben sich die Maßstäbe im Autokonzern sehr verändert. Das Besondere an diesen neuen Wolfsburger Meilensteinen ist: Es gibt viele davon, nicht nur einen. Das macht das Ganze zu einem gigantischen Kraftakt für den Konzern, der gerade an vielen Fronten kämpft: Die Probleme drohen VW zunehmend zu überfordern.

Ausgerechnet die Lösung in den USA verkompliziert die Dinge - woanders. US-Besitzer von 475 000 Dieselautos mit der Betrugs-Software dürfen nun wählen. Entweder können sie ihre Wagen an VW zurückverkaufen oder diese auf Kosten des Hauses umrüsten lassen; dazu kommen Entschädigungen von bis zu 10 000 Dollar pro Kunde. In den USA also entschädigt VW seine Käufer, findet seine Autohändler ab und kauft schmutzige Autos zurück. Für deutsche und europäische Kunden dagegen ist nur ein Software-Update vorgesehen. Weg mit der bösen Software, die bei Abgasmessungen manipuliert. Und weiter geht's!

Zehn Millionen weitere Umrüstungen würden VW das Genick brechen

Vielen ist das zu einfach. Auch deshalb fordern Verbraucherschützer und -anwälte, Grüne und SPD die Möglichkeit von Musterklagen, bei denen sich Kunden gemeinsam für Schadenersatzansprüche anstellen können - und so mehr Schlagkraft haben. 5000 Euro für einen alten Diesel, für einen VW, Audi, Seat oder Škoda, statt eines schnellen Software-Updates? Es gibt derzeit kaum etwas, das VW mit mehr Verve bekämpft als das: eine Übertragung des amerikanischen Rückkaufverfahrens auf den Rest der Welt.

Wenn 475 000 Autos mit Zwei-Liter-Motoren schon in den USA, alles eingerechnet, an die 15 Milliarden Dollar kosten, was kosten dann erst die anderen zehn Millionen Kisten? Das ginge an die Substanz des Unternehmens.

Meilensteine? Eher Mühlsteine!

Und auch in den USA ist noch längst nicht alles unter Dach und Fach. Noch rätseln Behörden und Autokonzern, wie es mit den 80 000 ebenfalls betroffenen größeren Drei-Liter-Fahrzeugen - vor allem Audis und Porsches - weitergehen soll. Umrüstung? Rückkauf? Sollten die Behörden eine Rücknahme durch VW verlangen, könnte es für den Konzern noch einmal richtig teuer werden. Nach Kalifornien haben auch andere US-Bundesstaaten, unter ihnen Maryland, Massachusetts und New York, Klage gegen VW eingereicht. Parallel verhandeln VW-Emissäre im US-Justizministerium über ein mögliches Strafmaß für den Betrug. Nach dem Meilenstein vom Dienstagabend rollen nun die nächsten dicken Brocken an - und sie sehen eher wie Mühl- als wie Meilensteine aus. Der Konzern, der zurzeit am liebsten über Elektroautos und autonomes Fahren spricht, wird die rußige Vergangenheit nicht los.

An diesem Donnerstag wird VW über seine Bilanzzahlen der vergangenen Monate berichten, Branchenbeobachter gehen davon aus, dass VW im dritten Jahresquartal zwischen Juli und September einen schweren Gewinnbruch einstecken muss. Nicht dass man keine Autos mehr verkaufte. Das Problem ist offenbar, dass VW seine Autos immer seltener zu normalen Preisen verkaufen kann, sondern nur noch mit sehr hohen Rabatten unter die Leute bekommt. Die Affäre zehrt am Image und damit am Gewinn. Um die Bänder am Laufen zu halten, muss man den Kunden mehr entgegenkommen als sonst. Keine komfortable Situation für einen börsennotierten Konzern, bei dem Gewinn als eine der wichtigsten Größen gilt.

VW kann seine Versprechen nicht einhalten

Wenn das Vertrauen weg bricht, wird es schwierig. Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass das Kraftfahrtbundesamt erst für rund 60 Prozent der 8,5 Millionen betroffenen Autos aus dem VW-Konzern die Freigabe für einen Rückruf gegeben hat. Davon wiederum sollen derzeit umgerüstet sein: je nach Region bis zu 20 Prozent. Der ganz große Teil jener Dieselautos, die dank einer manipulativen Motorensoftware auf der Straße ein Vielfaches mehr an Stickoxiden ausstoßen können als auf dem kontrollierten Prüfstand, rollt also weiterhin durch Städte und über Autobahnen. Eigentlich wollte der Konzern noch in diesem Jahr bei allen Modellen mit der Umrüstung begonnen haben - ein kaum mehr einzuhaltendes Versprechen.

Besitzer von VW-Dieselfahrzeugen diskutieren noch etwas anderes. Die Umrüstung könnte sich ungünstig auf Leistung und Spritverbrauch der Autos auswirken. Die Frage, die schon die US-Kunden umtrieb, wird auch hierzulande gestellt: Sind die Dieselfahrzeuge noch dieselben, nachdem die Mechaniker die betrügerische Software entfernt haben? Müssten die Fahrzeughalter von VW nicht zumindest das Angebot eines Rückkaufs bekommen?

Die Beziehung zwischen VW und seinen Dieselkunden ist reichlich schwierig geworden. Wie schwierig, zeigt sich in diesen Tagen am Landgericht Gießen. Verhandelt wird der Fall eines VW-Diesel-Fahrers - dumm nur, dass der zuständige Richter schon vor Prozessbeginn klargestellt hatte, dass auch er als Dieselfahrer von dem Abgasskandal betroffen ist. Folge: Die VW-Anwälte lehnen den Richter nun "wegen Besorgnis der Befangenheit" ab. "Man wird Richter künftig erst einmal fragen müssen, ob sie einen VW-Diesel fahren", meint der Münchner Anwalt Markus Klamert. VW will einen Richter nicht, weil der VW fährt - das hätte es früher so auch nicht gegeben.

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