Süddeutsche Zeitung

Konjunktur:Impferfolge befeuern Aufschwung in den USA

Die amerikanische Wirtschaft ist im ersten Quartal dieses Jahres um 6,4 Prozent gewachsen. Der Abstand zu Deutschland und Europa wird damit immer größer.

Von Claus Hulverscheidt

Drei Millionen Impfungen am Tag, wiedereröffnete Geschäfte und Restaurants, neue Freiheiten für die Bürger: Die Erfolge der USA im Kampf gegen die Corona-Pandemie schlagen sich zunehmend auch in guten Konjunkturdaten nieder. Wie die Regierung in Washington am Donnerstag mitteilte, legte die gesamtwirtschaftliche Leistung im Zeitraum Januar bis März gegenüber dem Schlussquartal 2020 mit einer auf das Gesamtjahr hochgerechneten Rate von 6,4 Prozent zu. Das war noch einmal deutlich mehr als der Anstieg von 4,3 Prozent, den das Land zwischen Oktober und Dezember verbucht hatte. Noch im Frühsommer vergangenen Jahres, auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle, war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um mehr als 30 Prozent eingebrochen.

Mit dem starken Wachstum vergrößern die USA den Abstand etwa zu Europa, wo sich die Wirtschaft nur schleppend erholt. Was den Amerikanern vor allem Mut machen kann, ist, dass sich der Aufschwung nicht nur stabilisiert, sondern auch auf einem immer breiteren Fundament steht. Vor allem der Konsum und der Arbeitsmarkt, die bisherigen konjunkturellen Sorgenkinder, präsentieren sich mittlerweile in deutlich besserer Verfassung als noch vor wenigen Monaten. Der Einzelhandelsumsatz etwa stieg im März um satte zehn Prozent, das Verbrauchervertrauen erreichte im April gar erstmals wieder einen Wert, wie ihn die Ökonomen des Wirtschaftsforschungsinstituts Conference Board zuletzt vor Ausbruch der Pandemie gemessen hatten.

In manchen Wirtschaftsbereichen führt der Wiederaufschwung bereits zu kurios anmutenden Folgeerscheinungen: So klagen etwa viele Restaurants und Restaurantketten, die im vergangenen Jahr in großem Stil Mitarbeiter entlassen hatten, dass sie nicht genügend Köchinnen und Köche, Kellner und Platzanweiserinnen finden. Manche Betreiber bieten Jobsuchenden bereits höhere Gehälter, Einstellungsboni oder bezahlte Mutterschutzzeiten an, um attraktiver zu werden. Die Fast-Food-Kette Chipotle Mexican Grill will gar bestimmte College-Gebühren übernehmen, wenn ein Student mindestens 15 Stunden pro Woche für sie arbeitet.

Das alles bedeutet allerdings nicht, dass die USA bereits alle Probleme gemeistert und die Corona-Rezession endgültig hinter sich gelassen hätten. So ist der Arbeitskräftemangel in der Gastronomie wohl zumindest teilweise darauf zurückzuführen, dass derzeit auch viele andere, oft besser zahlende Branchen nach neuen Mitarbeitern suchen. Manch Erwerbsloser schreckt zudem womöglich noch vor dem ausgeprägten Kundenkontakt zurück, der mit vielen Restaurantjobs notwendigerweise einhergeht. Wieder andere sehen keinen Grund, eine schlecht bezahlte Stelle anzunehmen, solange der Staat die in den jüngsten Konjunkturprogrammen verankerte deutlich erhöhte Arbeitslosenhilfe zahlt.

Höhere Preise für viele Rohstoffe könnten der Industrie zu schaffen machen

Hinzu kommen weitere Risikofaktoren, die die zuletzt so positive gesamtwirtschaftliche Entwicklung wieder bremsen könnten. Dazu zählen die deutlich höheren Preise für viele Rohstoffe und Lebensmittel, die der Industrie zu schaffen machen, aber auch mögliche neue Corona-Mutanten in anderen Erdteilen sowie politischer Streit im Inland. Präsident Joe Biden will in den kommenden Monaten nicht nur ein Infrastruktur- und ein Sozialprogramm im Gesamtvolumen von mehr als vier Billionen Dollar (rund 3,3 Billionen Euro) durch den Kongress boxen, sondern auch teils kräftige Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und Vermögende einführen - ein Mix, den die oppositionellen Republikaner strikt ablehnen. Als ein weiteres Problem könnten sich Firmen- und Privatinsolvenzen erweisen, deren Zahlen typischerweise erst im Nachgang zu einer Wirtschaftskrise in die Höhe schnellen.

Angesichts der vielen Unwägbarkeiten sind auch die Prognosen der Experten für die weitere US-Wirtschaftsentwicklung sehr uneinheitlich: Während etwa der Internationale Währungsfonds den Vereinigten Staaten in den kommenden Jahren deutlich überdurchschnittliche Wachstumsraten zutraut, warnen andere vor zu viel Optimismus. Joseph LaVorgna, Amerika-Chefvolkswirt der französischen Investmentbank Natixis, etwa betonte, er halte die Konjunkturentwicklung bisher für nicht sonderlich nachhaltig. "Der Aufschwung wird sich im kommenden Jahr erheblich mehr verlangsamen als viele das glauben", sagte er. Er persönlich erwarte für 2022 nur ein kleines Plus von "deutlich unter drei Prozent".

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