Süddeutsche Zeitung

Handel:In Chinas Orbit

China will der transpazifischen Freihandelszone beitreten, die Donald Trump einst aus Einfältigkeit verließ. Sein Nachfolger Joe Biden steht damit vor einem gewaltigen Problem.

Von Claus Hulverscheidt

Unter den vielen Torheiten, die das vierjährige Wirken des Präsidenten Donald Trump geprägt haben, sticht ein Denkfehler ganz besonders hervor: die Idee, den Aufstieg Chinas zur Weltmacht mithilfe eines Handelskriegs zu stoppen und zugleich die Mitwirkung der USA am transpazifischen Freihandelsvertrag CPTPP aufzukündigen. Der Pakt, damals noch TPP genannt, war einst von den Vereinigten Staaten selbst erdacht worden, um Asien, Ozeanien, Nord- und Südamerika wirtschaftlich stärker zu verzahnen und das Pekinger Hegemonialstreben einzudämmen. Stattdessen entschied sich Trump dafür, den Argwohn vieler US-Bürger gegenüber Handelsabkommen aller Art politisch auszuschlachten und einen billigen Punktsieg einzufahren. Seither ist für China der Weg frei.

Wie frei, das zeigt sich dieser Tage: Die Volksrepublik hat offiziell den Antrag gestellt, eben jenem Handelsbündnis beizutreten, das einst als Bollwerk gegen sie selbst konzipiert war. Käme es tatsächlich dazu, übernähmen Chinas Staatskapitalisten bald wohl nicht nur die Führung der Allianz, sie hätten vielmehr wie alle Mitglieder fortan das Recht, jeden weiteren Beitritt zu blockieren - den der USA oder etwa den Taiwans, der bereits beantragt ist. Für Washington wäre das ein wirtschafts- wie sicherheitspolitisches Desaster.

Um Peking zuvorzukommen, müsste Trumps Nachfolger Joe Biden eigentlich umgehend Gespräche mit den elf CPTPP-Ländern über einen Doch-noch-Beitritt des einstigen Mitinitiators USA aufnehmen. Doch dafür fehlt ihm der Rückhalt, denn derartige Abkommen sind auch in Teilen seiner Demokratischen Partei weiter höchst unpopulär. Sie gelten als Jobkiller, als Freifahrtschein für Konzerninteressen und als Musterbeispiel für intransparentes Regierungsgemauschel. Dabei wird ausgeblendet, dass Freihandelsverträge den Firmen, vor allem aber den Bürgern der beteiligten Staaten, sehr wohl nutzen, wenn sie gut konzipiert sind.

In Peking weiß man, dass der US-Präsident politisch gelähmt ist

Solange Bidens heimische Wirtschafts-und Sozialreformen nicht umgesetzt sind, wird er also alles unterlassen, was den linken Parteiflügel gegen ihn aufbringt. Das weiß man in Peking natürlich, weshalb der Zeitpunkt für den CPTPP-Mitgliedsantrag bewusst gewählt ist: Der US-Präsident ist politisch gelähmt, sein Pendant Xi Jinping erhält mehr Zeit, bei den bisherigen Mitgliedsländern für seine Initiative zu werben.

Nun könnte man in Washington natürlich auf die Idee kommen, die Sache einfach auszusitzen und zu hoffen, dass China mit seinen Bemühungen scheitert. Das wäre durchaus denkbar, denn die Volksrepublik ist in zentralen Punkten wie Arbeitnehmerrechten oder dem Umgang mit Staatsbetrieben meilenweit von der Erfüllung der CPTPP-Beitrittskriterien entfernt. Einige Mitgliedstaaten fürchten zudem eine Dominanz Chinas; mit anderen, etwa mit Kanada, hat sich Peking zuletzt heftige politische Scharmützel geliefert.

Und doch wäre eine solche Strategie Washingtons ein Vabanque-Spiel, denn Kriterien sind das eine, Grundsatzüberlegungen das andere: Mit Ausnahme Kanadas und Mexikos ist China für alle elf CPTPP-Länder der wichtigere Handelspartner als die USA. Träte Peking bei und öffnete seine Märkte für die neuen Bundesgenossen, gewänne dieser Vorteil noch an Gewicht.

Biden muss signalisieren, dass die USA doch noch zu einem Beitritt bereit sind

Was also könnte Biden tun? Da unter den bisherigen Mitgliedern der Freihandelszone enge US-Alliierte wie Australien und Japan sind, wird der Präsident hinter den Kulissen längst ausloten, wie groß die Chancen Pekings auf einen Beitritt sind. Parallel sollte er signalisieren, dass die Vereinigten Staaten ihrerseits zum Mitmachen bereit sind, wenn das Vertragswerk insbesondere mit Blick auf den Kampf gegen den Klimawandel, bessere Arbeitnehmerrechte und den digitalen Handel modernisiert würde. Das ließe sich auch in der eigenen Partei als Erfolg verkaufen.

Einfach zuzusehen ist jedenfalls keine Option, denn solange die USA nicht mit am Verhandlungstisch sitzen, ist ihr Einfluss bei oder nahe null. Schaffte es China, zwölftes Mitglied der Handelszone zu werden, hieße das nicht nur, dass enge Verbündete Washingtons noch stärker in den Orbit der Volksrepublik gezogen würden. Es bedeutete vielmehr auch, dass wesentliche Welthandelsregeln des 21. Jahrhunderts am Ende weder in Washington und Ottawa, noch in Tokio oder gar Brüssel geschrieben würden. Sondern in Peking.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5447788
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.