Luftfahrt:Trotz Angebots für 25 Prozent mehr Lohn – Boeing-Belegschaft streikt

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Mit großer Mehrheit haben die Boeing-Mitarbeiter für den Streik gestimmt. (Foto: Jason Redmond/AFP)

96 Prozent der etwa 30 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Werken des Flugzeugherstellers an der US-Westküste stimmen für die Arbeitsniederlegung. Sie wollen 40 Prozent Erhöhung durchsetzen.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Am Donnerstag hatte Boeing-Chef Kelly Ortberg noch einen letzten Versuch unternommen. „Ich bitte Euch, die Möglichkeit, unsere Zukunft gemeinsam zu sichern, nicht den Frustrationen der Vergangenheit zu opfern“, schrieb er seinen Mitarbeitern. Der „andere Weg“ sei einer, bei dem „niemand gewinnt“.

Der andere Weg, der erste Streik bei Boeing seit 2008, ist allerdings genau der, den die 33 000 Mitarbeiter, die bei Boeing in der Region Seattle Flugzeuge zusammenbauen, gewählt haben. Fast 95 Prozent lehnten in einer Urabstimmung den erst Anfang der Woche vorgelegten Tarifvertrag ab, den sogar die Führung der Gewerkschaft International Association of Machinists and Aerospace Workers (IAM) empfohlen hatte. Sogar 96 Prozent stimmten für einen Streik, der auch prompt, in der Nacht von Donnerstag auf Freitag um Mitternacht Westküstenzeit begann. Boeing baut erst einmal keine Flugzeuge mehr.

Ortberg, der erst seit August im Amt ist und den glücklosen bis unsäglichen David Calhoun abgelöst hatte, hatte die Stimmungslage in seinem Brief richtig erahnt. Mehr als 16 Jahre hat sich so viel Frust bei den Mitarbeitern aufgestaut, dass er jetzt in einem Streik sein Ventil finden musste. Zu tief die Verletzungen, zu groß das Misstrauen gegenüber dem Management. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Analysten von Melius Research haben ausgerechnet, dass die Gehälter im amerikanischen Luftfahrtsektor in den vergangenen fünf Jahren um durchschnittlich zwölf Prozent gestiegen sind. Bei Boeing sind sie im gleichen Zeitraum um sechs Prozent gesunken.

Der Konzern hatte seine einstige Position der Stärke gnadenlos ausgenutzt und mehrfach damit gedroht, wichtige Programme aus der Region um Seattle zu verlegen, wenn die Mitarbeiter nicht zu erheblichen Konzessionen bereit seien. Die Folge waren unter anderem minimale Gehaltssteigerungen, der Verlust der Firmenpension und schlechtere Regeln im Hinblick auf Überstunden. Boeing verlegte trotzdem die Produktion des Langstreckenjets 787 nach Charleston im Bundesstaat South Carolina, was sich auch unter Qualitätsgesichtspunkten als Fehler herausstellte.

Ein Streik könnte Boeing mehrere Milliarden Dollar kosten

Seit den beiden Abstürzen der 737 Max von Lion Air 2018 und Ethiopian Airlines 2019, bei denen 346 Menschen uns Leben kamen, sowie dem Beinahe-Crash eines Alaska Airlines-Jets Anfang des Jahres steckt Boeing in einer tiefen Krise. Die Aufsichtsbehörde hat wegen eklatanter Produktionsmängel zuletzt die Zahl der Lieferungen gedeckelt, Boeing muss die Abläufe in der Endmontage verändern, um die Qualität wiederherzustellen. Das Werk in Wichita im US-Bundesstaat Kansas, das Mitte der 2000er-Jahre an den inzwischen strauchelnden Lieferanten Spirit Aerosystems abgegeben wurde, will Boeing zurückkaufen. In dieser Schwächephase sahen die Mitarbeiter ihre Chance gekommen, sich das zu holen, was ihnen ihrer Ansicht nach zusteht. Denn nichts kann Boeing weniger brauchen, als einen Streik, der die sowieso schon äußerst verärgerten Kunden weiter vergrätzt.

Der Vorschlag, auf den sich Boeing und die IAM-Führung am vergangenen Wochenende geeinigt hatten, sah ein Gehaltsplus von 25 Prozent über vier Jahre vor, auch bessere Regeln für Überstunden und höhere Beiträge des Unternehmens zu Gesundheitskosten. Vor allem aber sicherte Boeing zu, das nächste neue Flugzeug in der Region bauen zu lassen, wenn es während der Laufzeit des Tarifvertrages gestartet wird. Den Mitarbeitern reichte dies nach eineinhalb Jahrzehnten Frust nicht aus, sie wollten 40 Prozent mehr Geld.

Wie lange der Streik dauert, ist noch völlig ungewiss. 2008 blieben die Mitarbeiter rund 50 Tage der Arbeit fern. Für Boeing würde ein Ausstand in ähnlicher Länge geschätzte Verluste von mehr als drei Milliarden US-Dollar bedeuten.

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