Süddeutsche Zeitung

USA: Aufhebung des Bohrstopps:Ein Schritt ins eigene Unglück

US-Präsident Obama will Tiefseebohrungen nach Öl stoppen, Richter sagen: So geht das nicht. Das zeigt zugleich, wie tief gespalten die amerikanische Gesellschaft auf die Katastrophe reagiert.

Reymer Klüver

Eines ist klar: Unmittelbare Konsequenzen wird die Aufhebung des Bohrstopps im Golf von Mexiko durch einen US-Bundesrichter in New Orleans nicht haben. Auf keiner der 33 Bohrinseln, die wie die untergegangene Deepwater Horizon in extremen Tiefen des Golfs Ölreservoirs anzapfen sollen, werden die Bohrköpfe so schnell wieder eingefahren. Das von Präsident Barack Obama verhängte Moratorium bleibt weiter bestehen, weil die Ölindustrie erst einmal die Entscheidung der Berufungsinstanz abwarten wird, deren Anrufung die US-Regierung sofort angekündigt hat.

Und doch kommt dem Richterspruch enorme Bedeutung zu, weil er zeigt, wie tief gespalten die amerikanische Gesellschaft auf die Katastrophe reagiert. Und noch ist keineswegs klar, welche Seite sich durchsetzen wird. Die Apologeten des American Way of Life, die die Ausbeutung auch unzugänglichster Ressourcen weiter vorantreiben wollen und die Risiken grundsätzlich für beherrschbar halten. Oder die Skeptiker, die den sprudelnden Ölgeysir in der Tiefsee als Menetekel begreifen und längst die Grenzen des Wachstums erreicht sehen.

Es ist ein Kampf zwischen denen, die in guter amerikanischer Tradition der freien Entfaltung der Wirtschaft möglichst wenig Fesseln anlegen wollen, und denjenigen, die, in ebenso etablierter amerikanischer Überlieferung, angesichts der erwiesenen Verantwortungslosigkeit von Big Business einen stärkeren staatlichen Eingriff grundsätzlich für richtig halten. Die Aufhebung des Bohrstopps ist die Entscheidung eines ohne Zweifel konservativen Bundesrichters. Noch dazu eines Richters, dessen Unparteilichkeit in der Angelegenheit zu Recht in Frage gestellt werden dürfte: Martin Feldman besaß zumindest bis vor kurzem zahlreiche Aktien von Konzernen der Ölindustrie, unter anderem der Firma Transocean, der Betreiberin der gesunkenen Deepwater Horizon. Jedenfalls offenbart er in seiner Entscheidung den Reflex, im Zweifel Ökonomie vor Ökologie gehen zu lassen.

Er wirft der US-Regierung vor, den "unermesslichen Effekt" des Bohrstopps auf die lokale Wirtschaft außer Acht gelassen zu haben. Tatsächlich sind Tausende Arbeitsplätze durch das Moratorium bedroht. Kaum erwähnt der Richter indes die ungeheuren, noch gar nicht absehbaren Dimensionen der Umweltkatastrophe, die ein Unfall auf nur einer der Bohrinseln ausgelöst hat. Das ökologische Gleichgewicht des gesamten Golfs von Mexiko könnte durch die Ölwolken außer Balance geraten. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn - aus welchen Gründen auch immer - im Golf noch ein zweites Bohrloch außer Kontrolle geraten würde. Praktisch undenkbar, so hat der Richter indes dieses von der US-Regierung vorgetragene Argument beiseitegewischt. Tatsächlich sind größere Bohrunfälle im Golf von Mexiko - von den fast alltäglichen, kleineren Verschmutzungen abgesehen - nicht bekannt geworden. Doch der Richterspruch ignoriert vollkommen die Leichtfertigkeit von Ölmanagern und die mängelbeladenen, oft gänzlich fehlenden Kontrollen durch staatliche Behörden, kurz, die allgemeine Kultur der Sorglosigkeit bei der Ölindustrie im Golf, die die Anhörungen vor Ausschüssen des US-Kongresses in den letzten Wochen offenbart haben.

Sie legen nahe, dass ein Unfall wie der auf der Deepwater Horizon jederzeit wieder passieren könnte, wenn nicht neue Sicherheitsstandards etabliert werden. Das aber dauert. Daher ist ein Moratorium durchaus gerechtfertigt, in dem die Ursachen des Unglücks geklärt und die nötigen Konsequenzen für neue Bohrungen gezogen werden. Alles andere wäre leichtfertig. Deshalb muss der Bohrstopp wieder etabliert werden. Den Preis muss die Ölindustrie, muss Amerika bereit sein zu zahlen. Doch die einstweilige gerichtliche Aufhebung des Bohrstopps zeigt erneut, wie weit das Land davon noch entfernt ist.

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Quelle:
SZ vom 24.6.2010
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