US-Wirtschaftspolitik:Konservative Revolution

Welche Rolle soll der Staat in der Wirtschaft überhaupt noch spielen? Das ist die zenrale Frage des US-Wahlkampfs. Denn mit der Ernennung von Paul Ryan zum Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten ist der Wahlkampf in ökonomischen Fragen grundsätzlich und ideologisch geworden.

Nikolaus Piper, New York

Seit vergangenem Samstag können sich die Amerikaner sicher sein: Die Präsidentenwahl am 6. November wird eine Richtungsentscheidung über den Kurs auf Jahrzehnte hinaus sein. Seit der republikanische Bewerber Mitt Romney den konservativen Haushaltspolitikers Paul Ryan als Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten bestimmte, ist der Kampf um das Weiße Haus in ökonomischen Fragen grundsätzlich und ideologisch geworden.

Paul Ryan

Spätestens mit der Ernennung Paul Ryans zu Mitt Romneys Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten ist eines sicher: Die Präsidentenwahl im November wird eine Richtungsentscheidung über den Kurs der USA sein - auf Jahrzehnte hinaus.

(Foto: AP)

Es geht darum, welche Rolle der Staat in der Wirtschaft überhaupt noch spielen soll. Bisher war Romneys Wirtschaftsprogramm, aller konservativen Rhetorik zum Trotz, ziemlich blass geblieben; es erschöpfte sich im Wesentlichen darin, dass der Kandidat sein Geld lange in der freien Wirtschaft verdient hat und daher weiß, wie man Jobs schafft. Jetzt steht eine konservative Revolution auf der Tagesordnung - die dritte seit der Präsidentschaft Ronald Reagans 1981, und der Herrschaft Newt Gingrichs im Kongress 1994.

Die Dimension lässt sich mit ein paar Zahlen veranschaulichen: Derzeit hat die Regierung in Washington einen Anteil von 22,5 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) - ein Wert, an dem Präsident Barack Obama nicht grundsätzlich etwas ändern möchte. Mitt Romney hat bisher für 20 Prozent Ausgabengrenze plädiert, Ryan dagegen möchte den Anteil auf 15 Prozent senken. Diese Quote hatten die USA zuletzt 1951 erreicht.

Ryan will sein Ziel zwar erst zur Mitte des Jahrhunderts erreicht haben, aber es ist klar, dass die Dynamik zur Erreichung des Ziels schnell einsetzen muss. Ein Mittel dazu dürfte die Steuerpolitik sein. Ryan will die progressive Einkommensteuer abschaffen und durch zwei Steuersätze ersetzen: zehn und 25 Prozent. Heute liegt der Spitzensteuersatz bei 35 Prozent.

Kampf gegen das Staatsdefizit

Die konservative Revolution des Mister Ryan kommt im Gewande des Kampfes gegen das Staatsdefizit daher. Das ist konsensfähig; niemand bezweifelt, dass die US-Staatsfinanzen mittelfristig durch harte Reformen saniert werden müssen.

Aber der Möchtegern-Vizepräsident hat deutlich gemacht, dass ihm niedrigere Steuern wichtiger sind als niedrigere Defizite: Er saß in der von Obama einberufenen überparteilichen Simpson-Bowles-Kommission zum Defizitabbau. Das hochgelobte Gremium hat im Dezember 2010 einen abgewogenen Bericht mit vielen Detailvorschlägen vorgelegt - Ryan stimmte jedoch dagegen, weil zu den Ideen auch Steuererhöhungen gehörten. Das lässt den Schluss zu, ein Präsident Romney werde niemals eine harte Austeritätspolitik nach britischem Vorbild versuchen.

Berühmt und berüchtigt wurde Ryan in den USA durch seine Vorschläge zur Reform der Krankenversicherung der Rentner ("Medicare"). Es war ein Zeichen von Mut, sich des Themas überhaupt anzunehmen. Alle wissen in Washington, dass Medicare im nächsten Jahrzehnt pleite geht, wenn nichts geschieht, doch Romney und Obama meiden das Thema. Kürzungen bei Medicare sind äußerst unpopulär, gerade bei den Anhängern der konservativen Tea-Party-Bewegung, die zum erheblichen Teil über 65 und daher bei Medicare versichert sind.

Nach Ryans Plan wird Medicare nicht gekürzt - sondern ganz abgeschafft. Aus der staatlichen Versicherung wird ein System von Gutscheinen, mit denen Rentner auf dem freien Markt eine private Krankenversicherung kaufen können. Gesundheit würde für ältere Amerikaner deutlich teurer. Bemerkenswert mit Blick auf den Wahlkampf ist, dass die Reform nur für jene kommen sollen, die jünger als 55 sind und dann auch nur als "Option". Das weckt Zweifel, ob das Staatsdefizit durch die Reform tatsächlich abgebaut wird.

Auch bei anderen Kürzungen gibt es Unklarheiten. Ryan möchte bis 2050 alle "sonstigen" Ausgaben des Staates - vom Straßenbau über Umweltschutz bis zu Bundespolizei und Militär - auf vier Prozent des BIP reduzieren. Gleichzeitig hatte jedoch Romney avisiert, die Verteidigungsausgaben sollten nie unter vier Prozent des BIP sinken. Das würde bedeuten, dass die USA für Nicht-Militärisches buchstäblich nichts mehr ausgeben würden. Es gehört wenig Phantasie zur Voraussage, dass dieser Fall nie eintreten wird.

Was wird Romney tun? Er hat klar gemacht, dass er den Ryan-Plan nicht komplett umsetzen wird. Er lässt sich von Glenn Hubbard und Greg Mankiw beraten, zwei gemäßigt konservativen Ökonomen. Allerdings würde ein republikanischer Wahlsieg eine kaum kontrollierbare Dynamik in Gang setzen.

Interessant dürfte auch das Verhältnis einer neuen republikanischen Regierung zur Notenbank Federal Reserve sein. Ryan wird zwar ein gutes persönliches Verhältnis zu Fed-Präsident Ben Bernanke nachgesagt - ideologisch gehört er jedoch zu jenen, die die Fed am liebsten abschaffen und zum Goldstandard zurückkehren würden. Zumindest würde Ryan versuchen, die Fed auf das alleinige Ziel der Preisstabilität festzulegen und das Ziel Vollbeschäftigung zu streichen. Für die Deutschen könnte dies einen angenehmen Nebeneffekt haben: Niemand in Washington wird dann von ihnen oder der Europäischen Zentralbank verlangen, mit mehr Geld die Euro-Krise bekämpfen.

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