Süddeutsche Zeitung

US-Wirtschaftskrise:Obamas Kapitalismus

Barack Obama muss das Verhältnis von Markt und Staat neu justieren. Die schlimmste Rezession seit der Weltwirtschaftskrise ist dabei eine ungeheure Last, aber auch eine Chance.

Nikolaus Piper

Mindestens einmal in einer Generation balanciert Amerika das Verhältnis von Markt und Staat neu aus. Auf das ungezügelte Zeitalter der Räuberbarone folgte gegen Ende des 19. Jahrhunderts die progressive Ära, in der Farmer und die junge Arbeiterbewegung gegen Industrie- und Bankmagnaten aufbegehrten. Die wilden zwanziger Jahre wurden abgelöst vom New Deal Franklin Roosevelts; nach dem organisierten Kapitalismus der sechziger und siebziger Jahre kam die marktwirtschaftliche Renaissance unter Ronald Reagan. Jetzt ist in Washington wieder ein Zeitalter des Staatsinterventionismus ausgebrochen, und es wurde eingeleitet von George W. Bush. Der ehemalige Präsident ist regelrecht in die Wirtschaftskrise getaumelt.

Präsident Barack Obama übernahm am 20. Januar die Regierung der "Vereinigten Sozialistischen Staaten von Amerika", wie der Ökonom Nouriel Roubini spottete.

Der Neue im Weißen Haus muss nun seinerseits das Verhältnis von Markt und Staat neu justieren. Die schlimmste Rezession seit der Weltwirtschaftskrise ist dabei eine ungeheure Last, aber auch eine Chance. Obamas erste Entscheidungen sind aus der Not geboren: Banken, die Geld vom Staat bekommen, dürfen ihren Chefs nicht mehr als 500.000 Dollar zahlen - mit solch plakativen Aktionen will der Präsident die Interessen der Steuerzahler wahren und Mehrheiten dafür sichern, dass noch einmal Abermilliarden Dollar in die maroden Geldinstitute gesteckt werden. Amerika ist derzeit den Bossen feindlich gesonnen, und der Präsident versteht etwas von Stimmungen.

Wirtschaftspolitisch ist Obama aber ein Mann der Mitte, und dies in einem sehr umfassenden Sinn des Wortes: Er will die ideologischen Gräben der Bush- und Clinton-Jahre zuschütten. Seine Rhetorik knüpft an Abraham Lincoln und John F. Kennedy an, gelegentlich sogar an Ronald Reagan. Nach seiner Vereidigung sagte Obama: "Heute fragen wir nicht, ob unser Staat zu groß oder zu klein ist, sondern ob er funktioniert." Er propagiert nicht, dass der Staat neue Aufgaben an sich zieht, sondern dass er seine Kernaufgaben ordentlich macht, dass die Infrastruktur nicht weiter verfällt, dass weniger junge Amerikaner die Schule ohne Abschluss verlassen, dass Geld für die Grundlagenforschung da ist.

Das Wirtschaftsteam des Präsidenten ist von Grund auf politisch moderat: Wirtschaftsberater Larry Summers hat den marktliberalen Kurs von Präsident Clinton einst mitbestimmt; Paul Volcker besiegte als Notenbankpräsident in den achtziger Jahren die Inflation; Finanzminister Timothy Geithner, ein Techniker der Finanzmärkte, wirkte schon vor dem Regierungswechsel in der Krisenpolitik mit. Zwar hat Obama im Wahlkampf gelegentlich mit protektionistischen Parolen gespielt, seine jüngsten Äußerungen zeigen aber, dass er weiß, wie wichtig Freihandel gerade in einer globalen Wirtschaftskrise ist. Deshalb gibt es begründete Hoffnungen, dass er "Buy-American"-Klauseln im Konjunkturpaket und ähnlichen Unsinn verhindern wird.

Nun ist die Wirtschaftsphilosophie des Präsidenten das eine, die ökonomische Realität das andere. Der Abschwung hat gegenwärtig eine mörderische Wucht, die amerikanische Wirtschaft befindet sich praktisch im freien Fall. Der Absatz der Autokonzerne hat sich binnen Jahresfrist halbiert, jede Woche fallen Zehntausende Arbeitsplätze weg. Ob es Obama überhaupt gelingen kann, seine Ideen zu verwirklichen, entscheidet sich jetzt an ganz praktischen Dingen: Schafft er es, sein Konjunkturpaket schnell und ohne Obstruktion durch den Kongress zu bringen? Wird sein Team nicht durch weitere Steueraffären geschwächt? Kann er das Grundvertrauen in die Wirtschaft erneuern?

Wenn ja, bekommt seine Präsidentschaft die nötige Dynamik, wenn nein, könnte die Rezession sehr schnell zu einer globalen Depression werden mit Folgen, die sich niemand vorstellen möchte. Und auch wenn das Schlimmste überstanden ist, werden die Zeiten hart bleiben für Amerika. Das Land hat über seine Verhältnisse gelebt und muss dies jetzt korrigieren. Die Zeiten des leichten Geldes sind vorbei, die Wall Street wird nie wieder zur alten Größe aufsteigen, die Amerikaner müssen sparen, der Konsum wird zurückgehen, und der Staat schon allein deshalb im Alltag wichtiger werden.

Um die wirtschaftshistorische Dimension der Präsidentschaft Obamas zu würdigen, hilft der Vergleich mit Franklin Roosevelt. Noch nie seit 1933 musste ein Präsident sein Amt unter so schwierigen ökonomischen Bedingungen antreten wie Obama. Roosevelts New Deal ist zu Recht ein Mythos, er führte die USA aus der Weltwirtschaftskrise und versetzte Amerika in die Lage, Faschismus und Nationalsozialismus zu widerstehen. Aber Roosevelt war auch ein Produkt seiner Zeit: willkürlich im Entwurf, autoritär in der Umsetzung, im Ergebnis oft schädlich - die USA konnten die Massenarbeitslosigkeit bis zum Zweiten Weltkrieg nicht besiegen. Obama wird aus Roosevelts Fehlern lernen, wenn er denn die Gelegenheit dazu bekommt. Er wird keinen Bruch einleiten, sondern den Kapitalismus von der ideologischen Überfrachtung der Bush-Jahre befreien und ihn pragmatisch reformieren.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.490799
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.02.2009/mel
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.