Süddeutsche Zeitung

US-Wirtschaft:Trumps Steuerreform könnte Puerto Rico in den Abgrund stürzen

  • Mit ihrer Steuerreform wollen Trumps Republikaner auch Steueroasen austrocknen.
  • Was an sich ein guter Plan ist, kommt für die von zwei Hurrikans heimgesuchte Insel Puerto Rico zum denkbar schlimmsten Zeitpunkt.
  • Mehr als 200 000 Arbeitsplätze von US-Bürgern sind jetzt in Gefahr.

Von Thorsten Denkler, New York

Ricardo Rosselló ist außer sich. Es sei geradezu "verheerend", was auf seine Insel jetzt zukomme, sagte der Gouverneur von Puerto Rico kürzlich im US-Fernsehen. Er fühlt sich im Stich gelassen. Und das aus gutem Grund: Nach den beiden Stürmen Irma und Maria könnte Puerto Rico, das zu den Außengebieten der USA gehört, nun die dritte große Katastrophe heimsuchen. Nur ist es diesmal keine Naturgewalt.

Es ist die Steuerreform von US-Präsident Donald Trump, vor der sich der Gouverneur fürchtet. Das Gesetzespaket dazu hat am Mittwoch den Kongress passiert. Während Ökonomen durchaus lobende Worte für Teile der Reform finden, wird sie Puerto Rico nach Ansicht vieler Experten schwer erschüttern. Die Reform könnte "der letzte Nagel für den Sarg der puerto-ricanischen Ökonomie sein", schreibt Federico A. de Jesús, ehemals stellvertretender Direktor der puerto-ricanischen Behörde für die Beziehungen zu den USA.

Sorgen bereitet den Puerto Ricanern ein ganz bestimmter Teil von Trumps Reform. Sie sieht eine neue Steuer für US-Unternehmen vor, die Ableger im Ausland haben. Auslandsgewinne dieser Konzerne sollen künftig der inländischen Besteuerung unterworfen werden. Das soll die Unternehmen davon abhalten, sich in Niedrigsteuer-Ländern anzusiedeln.

Das klingt erstmal nach einer vernünftigen Idee. Viele Großkonzerne und Superreiche verschieben ihre Gewinne in Steueroasen, um ihre Steuerlast zu drücken. Die "Panama Papers" und zuletzt die "Paradise Papers" haben gezeigt, wie weit verzweigt diese Konstruktionen sind und welchen Schaden Steueroasen jenen Ländern zufügen, in denen die Steuern eigentlich zu zahlen wären.

Puerto Rico ist allerdings ein spezieller Fall. Einerseits ist die Insel ohne Frage eine Steueroase. Andererseits ist sie aus US-Sicht nicht wirklich Ausland. Die Puerto Ricaner sind amerikanische Staatsbürger. Produkte von der Insel werden als "Made in America" vermarktet. Steuerlich wird die Insel aber seit jeher wie Ausland behandelt. Heißt: Wer in Puerto Rico lebt oder produziert, ist nicht der US-Besteuerung unterworfen. Ausnahmen gibt es nur für Abgaben an das Gesundheitswesen und die Sozialversicherung.

Mit seinen niedrigen Steuersätzen hat die Insel über die Jahre einige US-Festlandsunternehmen zu sich gelockt. Ein Drittel der puerto-ricanischen Steuererlöse ist von solchen Unternehmen abhängig, die auf der Insel produzieren lassen. Angesichts der verheerenden Sturmschäden steht Puerto Rico nun aber vor einem riesigen Problem. Wenn die in Puerto Rico beheimateten Konzerne künftig einer Anti-Steueroasen-Steuer unterworfen werden, dürften viele von ihnen über kurz oder lang wieder abwandern. Nach Schätzungen stehen mit der Reform mehr als 230 000 Jobs auf dem Spiel. Jobs von US-Amerikanern, die Präsident Trump ja eigentlich schützen will.

Gouverneur Rosselló fordert dringend, die Insel von der Steuer auszunehmen. Die ganze Woche hat er in Washington versucht, das Schlimmste zu verhindern. Erfolglos. Die Republikaner unter Trump wollen auch auf Puerto Rico "immaterielle Vermögenswerte" künftig mit 12,5 Prozent besteuern, Pharma-Patente zum Beispiel. Die Pharmaindustrie ist eines der wichtigsten wirtschaftlichen Standbeine der Insel. Konzerne wie Pfizer stellen hier einen Großteil ihrer Produkte für die USA und den Welthandel her. Dazu soll eine Mindeststeuer von zehn Prozent auf alle Gewinne kommen, die Unternehmen aus Puerto Rico im US-Mutterland machen. "Das ist für uns ein zerstörerischer Schlag in einer Zeit der größten Not", sagt Rosselló.

Puerto Rico ist seit gut 120 Jahren ein mit den USA assoziierter Freistaat - ein Überbleibsel der Kolonialzeit. Seine 3,4 Millionen Bürger haben die US-Staatsbürgerschaft, sind aber in US-weiten Wahlen nicht stimmberechtigt. Die Region entsendet zwar Vertreter in den Kongress, sie haben aber dort ebenfalls kein Stimmrecht. Aus Sicht von Trump ist die Insel also vernachlässigbar. Ihre Bewohner sind für ihn allenfalls ungeliebte Kinder.

Auch in der US-Bevölkerung ist die Verbundenheit nicht besonders groß. Nur etwa 50 Prozent der Festland-Amerikaner wissen, das Puerto Ricaner ihre Mitbürger sind. Die Inselbewohner wollen dennoch endlich dazugehören. Im Juni erst forderten sie in einem Volksentscheid mit großer Mehrheit, von den USA als 51. Bundesstaat anerkannt zu werden. Im US-Kongress ist dafür aber weit und breit keine Mehrheit erkennbar.

Aus Sicht des Mutterlandes ist Puerto Rico vor allem eine nervende Steueroase, die sich einen Großteil ihrer Probleme selbst zuzuschreiben hat. Die Unternehmensteuern sind dort mit 39 Prozent zwar offiziell höher als in den USA; dort werden sie mit der jetzt beschlossenen Steuerreform auf 21 Prozent sinken. Für exportierende Unternehmen lässt sich der Steuersatz auf der Insel aber auf bis zu vier Prozent herunterrechnen. Ein Zustand, den die Republikaner verständlicherweise beenden wollen.

Der Zeitpunkt aber könnte ungünstiger nicht sein für die puerto-ricanische Bevölkerung. Die Menschen leiden noch immer unter den Sturmfolgen. Anfang September traf Irma die Insel mit der vollen Wucht eines Hurrikans der höchsten Kategorie fünf. Keine zwei Wochen später gab Maria der Insel den Rest und fegte jene Oberleitungen und Häuser hinweg, die Irma noch stehen gelassen hatte.

Die Stromversorgung auf Puerto Rico ist erst zu 65 Prozent wiederhergestellt. Neun der 78 Gemeinden des Inselstaates sind noch immer ohne Licht. Die Wasserversorgung ist katastrophal. Unzählige Menschen sind obdachlos, Zehntausende haben ihre Jobs verloren. Der Gouverneur ist gerade dabei, die bisherige Opferstatistik nach oben zu korrigieren. Von den Behörden wurden bisher 64 Opfer gezählt. Die Schätzungen aber reichen bis mehr als 1000 Todesopfer.

Die materiellen Schäden belaufen sich nach ersten konservativen Schätzungen auf 30 Milliarden Dollar. 20 Milliarden Dollar gehen davon auf das Konto von physischen Verwüstungen. Um weitere zehn Milliarden Dollar wird wohl die schon jetzt marode Wirtschaft der Insel geschwächt. Andere Schätzungen gehen sogar von einem Gesamtschaden von bis zu 95 Milliarden Dollar aus.

Seit Oktober haben zudem fast 240 000 Puerto Ricaner die Insel gen Florida verlassen. Das ist die größte Massenflucht in der Geschichte des Landes. Schon vorher haben viele Menschen der Insel wegen der anhaltenden wirtschaftlichen Misere den Rücken zugekehrt, etwa eine halbe Million zwischen 2005 und 2015. Und derzeit gibt es für die Geflüchteten auch keinen Grund, in ihre Heimat zurückzukehren. Es gab und gibt in Teilen der Insel nicht genügend Nahrungsmittel. Es fehlt an Treibstoff und es gibt vielerorts keinen Strom. Und damit auch keine Jobs und kein Einkommen.

Die Regierung von Puerto Rico kann nichts für die Stürme. Aber sie hat erheblich dazu beigetragen, dass die Insel so verletzlich geworden ist. Über Jahrzehnte hat ein korrupter Regierungsapparat das Land heruntergewirtschaftet. So sehr, dass zwei Stürme reichten, damit das Land k. o. auf der Matte liegt.

Die umstrittene Niedrigsteuer-Politik der Regierung hat die Insel auch nicht reich gemacht. Seit mehr als zehn Jahren befindet sich das US-Außengebiet in einer tiefen Rezession und ist hoch verschuldet. Erst im Mai hat die Regierung von Puerto Rico eine Staatsinsolvenz beantragt. Die Regierung steht unter der Finanzaufsicht einer vom Kongress eingesetzten Kommission. Seit Sommer hat die Region keinen eigenen Zugang mehr zu den Kapitalmärkten, was eine Lösung der Probleme noch schwerer macht. Es war zuletzt kein Geld da, um Kraftwerke sturmsicher zu machen und die Stromkabel unterirdisch zu verlegen. Das hätte aber manches Problem von heute verhindert.

Die USA haben es dem Land zusätzlich schwergemacht, auf eigenen Beinen zu stehen. Seit 1920 etwa gilt der sogenannte "Jones Act" (Merchant Marine Act of 1920). Das Gesetz erlaubt Puerto Rico die Ein- und Ausfuhr von Waren nur mit Schiffen, die in den USA gebaut wurden, von US-Reedereien betrieben werden und deren Besatzung aus US-Amerikanern besteht. Was den Seehandel über alle Maßen teuer macht und zu Preiskartellen unter den Reedereien führte. Trump hat das Gesetz Ende September für zehn Tage ausgesetzt, um mehr Nothilfe möglich zu machen. Alle Aufrufe aber, das Gesetz endlich abzuschaffen, verhallten bisher ungehört.

Der größte Stromausfall der US-Geschichte

Ohnehin hat US-Präsident Trump kaum eines seiner großen Hilfsversprechen eingelöst. Anfang Oktober hatte er den Puerto Ricanern in einem Fernsehinterview noch in Aussicht gestellt, dass er die Schulden des Landes "wegwischen" wolle. Die Gläubiger an der Wall Street sollten dem Geld schon einmal Lebewohl sagen, sagte er. Passiert ist nichts. Stattdessen hat sich Trump vor allem damit hervorgetan, Rollen von Papiertüchern wie Basketbälle in eine Menge von notleidenden Puerto Ricanern zu werfen. Auf Twitter beschimpfte er zudem regelmäßig Offizielle der Insel. Sie seien undankbar, angesichts seiner großzügigen Hilfe, befand der Präsident.

Es fällt allerdings schwer, die US-Regierung für ihre spärliche Nothilfe zu loben: Der Stromausfall ist jetzt schon der größte und längste in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Ohne Strom ist der Zugang zu sauberem Trunkwasser nicht gesichert. Die meisten Schulen haben geschlossen. Die Gesundheitsversorgung ist kaum gewährleistet. Kleine Unternehmen stehen kurz vor dem Ende, weil sie nichts mehr produzieren können. Erst für den kommenden Sommer wird wieder eine halbwegs verlässliche und flächendeckende Stromversorgung erwartet.

Und in Washington wollen sie jetzt auch noch die Steuerschraube anziehen. Trump könnte der undankbaren Insel damit den entscheidenden Tritt versetzen. Nach dem Sturm Maria "ist das Leben, wie wir es kannten, zusammengebrochen", sagt Hector Pesquara, Puerto Ricos Kommissar für öffentliche Sicherheit. Mit Trumps Steuerreform dürfte nun endgültig feststehen, dass das Leben, wie es die Puerto Ricaner einmal kannten, so schnell nicht zurückkehren wird.

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