Süddeutsche Zeitung

US-Wahl:Wall Street gegen Obama

Wenn die Amerikaner heute ihren neuen Präsidenten wählen, stimmen sie indirekt auch darüber ab, ob Banken und Hedgefonds weiter zocken können. Mit dem Dodd-Frank Act will Obama die Finanzindustrie in Zaum halten. Wall-Street-Lobbyisten versuchen, das mit allen Mitteln zu verhindern. Gewinnt Romney, dürften sie ihr Ziel erreichen.

Von Jannis Brühl

In den Hallen der Macht ist Zeit für Zärtlichkeit: "Du bist ein Pfirsich", schrieb David Becker, oberster Jurist der US-Börsenaufsicht SEC, an die Top-Anwältin Annette Nazareth - eine amerikanische Art zu sagen: "Wie lieb von dir." So bedankte sich Becker bei Nazareth, weil die ihm einen Experten vermittelt hatte. Die E-Mails hat die Nachrichtenagentur Bloomberg veröffentlicht. Das Pikante: Nazareth war zuvor länger als zwei Jahre einer von fünf Kommissaren gewesen, welche die SEC, Beckers Arbeitgeber, leiteten.

Jetzt ist sie in hoher Position bei der Kanzlei Davis, Polk & Wardwell - kurz: Davis Polk -, jener Lobbyfirma, die wie keine andere im Auftrag der Finanzbranche dafür kämpft, dass Präsident Barack Obamas Reform der Wall Street scheitert: der Dodd-Frank Act. Die einstige Kommissarin der Aufpasser-Behörde ist nun im Auftrag der Banken unterwegs - deren Interesse es ist, ebenjene Behörde zu schwächen. Dabei pflegt sie weiterhin beste Beziehungen zu ihrer alten Arbeitsstelle.

Aus Sicht von Banken und Hedgefonds sind es 848 Seiten Teufelswerk. Der Dodd-Frank Act, benannt nach seinen zwei demokratischen Initiatoren im Senat, ist die Antwort der US-Politik auf die Finanzkrise (Gesetz als PDF). Lasche Aufsicht ermöglichte Bank-Tradern damals undurchschaubare, immer riskantere Finanzprodukte zu entwerfen. Die vernichteten am Ende Milliarden und brachten die Weltwirtschaft aus dem Gleichgewicht. Die neuen Gesetze sollen unter anderem - mittels der sogenannten Volcker-Regel - den Eigenhandel der Banken einschränken, damit sie nicht mit den Einlagen ihrer Kunden zocken können.

Der Handel mit Finanzderivaten soll transparent gemacht werden; Bonuszahlungen an oberste Geldmanager kontrolliert werden, vor allem wenn Finanzfirmen finanzielle Schwierigkeiten haben. Befürworter halten das komplizierte Gesetzespaket für ein längst überfälliges Kontrollinstrument, das Gier und übertriebene Risikobereitschaft in den Bankentürmen Manhattans in Zaum halten soll.

"White shoe firms" heißen traditionsreiche Großkanzleien wie Davis Polk, nach den weißen Wildlederschuhen, mit denen sich früher Absolventen der Eliteunis von der Masse abgrenzten (mehr zur Geschichte des Begriffs hier in der New York Times). Noch heute arbeiten die besten Köpfe für diese Firmen. Ihre Aufgabe: Großunternehmen vertreten. Im schlimmsten Fall vor Gericht, aber auch im täglichen Kampf um Einfluss in der US-Hauptstadt Washington. Für die Branche unterhält Davis Polk im Internet die wohl umfangreichste Datenbank zu Dodd-Frank. Die Firma hat deshalb einen so guten Einblick, weil zu ihren Kunden Sifma, den Verband der Finanzindustrie, und Geldhäuser wie Bank of America zählen.

237 Dodd-Frank-Regeln sollten bis 1. November umgesetzt sein. Doch für 144 Regeln - mehr als 60 Prozent - sind die Stichtage verstrichen, ohne dass sie in Kraft getreten sind. Auf die Gesamtzahl gerechnet sind gerade mal ein Drittel umgesetzt (November-Report als PDF). Der Linken-Abgeordnete Axel Troost, Mitglied des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, war im Sommer in den USA, traf Regulierer wie Regulierte und erhielt einen Eindruck, wie nervös sie sind: "Banker und Finanzpolitiker sind in heller Aufregung, weil sie nicht wissen, wie die Regeln am Ende aussehen werden."

Hauptargument der Lobbyisten: Regulierung würgt die Wirtschaft ab. Das klingt sehr nach der Anti-Kontroll-Ideologie der Republikaner - selbst wenn hochrangige Lobbyisten wie Annette Nazareth Demokraten sind. Die Finanzindustrie unterstützt keineswegs nur Republikaner. Sogar Mitarbeiter der Investmentfirma Bain Capital, die Mitt Romney mitgründete, spendeten ihr Geld in diesem Jahr zu 40 Prozent an demokratische Politiker. Romney hat versprochen, Dodd-Frank rückgängig zu machen. Im Zuge seines Schwenks von rechts in die Mitte schränkte er das im letzten Fernsehduell mit Obama in äußerst vager Form ein. Er sagte, "Teile" des Gesetzespakets könnten in Kraft bleiben.

Annette Nazareth traf sich mit SEC-Chefin Mary Schapiro 2010 und 2011 elf Mal - mehr als jeder andere Lobbyist. Das kann jeder in Schapiros öffentlichem Kalender einsehen (PDF). Wenn Vertreter von Deutscher Bank oder Morgan Stanley sich mit Vertretern der Behörden treffen, nehmen sie oft Anwälte ihrer Lieblingskanzlei Davis Polk mit. Nazareth behauptet zwar, sie selbst betreibe kein Lobbying. Aber sie ist Partnerin der Firma, die es intensiv tut. Ihr Gehalt hat sich damit etwa verzehnfacht, die Gehälter der SEC-Beamten sind bei 240.000 Dollar gedeckelt. "60 Prozent der Lobbyisten im Finanzsektor haben zuvor für die Regierung gearbeitet", sagt Sarah Bryner vom Center for Responsive Politics. Sie pflegt die Datenbank, mit der die unabhängige Organisation Wahlkampfspenden von Lobbyisten überwacht.

Der direkte Kontakt mit der Branche und ihren Lobbyisten hat zwei Seiten: Einerseits können sich Behörden so von Insidern Einblick in die Zusammenhänge der Finanzwelt verschaffen. Andererseits sind sie anfällig für deren Version der Geschichte, und die lautet meist: Weniger Aufsicht ist besser! Lasst es den Markt regeln! Mehr als 2000-mal in den vergangenen zwei Jahren trafen sich Lobbyisten laut Davis Polk mit Regulierungsbehörden wie der Einlagensicherungsbehörde FDIC, der Derivate-Aufsicht CFTC oder den Börsenwächtern von der SEC. Weil das Gesetz längst den Kongress passiert hat, ist der deshalb nicht mehr Ziel der Lobby. Sie bearbeitet nun Regulierungsbehörden direkt.

Zum Beispiel die CFTC: Die Behörde ist für den riesigen Markt der Finanzderivate zuständig. Sie soll darüber wachen, dass Händler keine übermäßigen Risiken eingehen. In der Finanzkrise 2008 stellte sich heraus, dass sie über zu wenige Kompetenzen und Mittel verfügte. Dodd-Frank soll ihr nun mehr Macht verschaffen. Unter ihrer Mithilfe sollen die berüchtigten OTC-Derivate (OTC steht für "over the counter"), die nicht an Börsen gehandelt werden und über deren Anzahl und Art niemand einen Überblick hatte, zentral erfasst und geprüft werden. Zu den OTC-Derivaten zählen auch jene Kreditausfallversicherungen und Bündelungen verbriefter Hypothekenkredite, die beim Ausbruch der Krise 2007 eine Schlüsselrolle spielten.

Doch es gibt noch einen anderen Grund für Lobbyisten, sich direkt an die vergleichsweise kleinen Behörden zu wenden, sagt Sarah Bryner: "Wenn Sie versuchen, ein Mitglied des Repräsentantenhauses zu beeinflussen, ist derjenige nur einer von 435. Aber wenn sie auf jemanden in einer Regulierungsbehörde Einfluss nehmen, ist der vielleicht jemand mit viel Entscheidungsgewalt."

Bryners Büro liegt in Washingtons Innenstadt, wo der Stadtplan von der Politik erzählt. Von hier sind es nur wenige Blocks zur K Street, jener Straße, deren Name wegen der vielen "White Shoe"-Firmen, die früher von hier aus Lobbyarbeit betrieben, zur Metapher geworden ist: K Street - das steht bis heute für die Nähe von Interessengruppen und Politik. An ihrer Ecke liegt das Washingtoner Büro von Davis Polk, 500 Meter entfernt vom Weißen Haus.

Auch Regulierungsbehörden wie die CFTC veröffentlichen Treffen und Telefongespräche mit der Finanzbranche. Die Listen zeigen, von wem die Wächter bearbeitet werden: Goldman Sachs Asset Management, die Getreidebörse in Minneapolis, Rabobank oder der Investor Blackrock. Diese Treffen sind völlig legal, haben aber klar Schlagseite.

Die Nichtregierungsorganisation Sunlight Foundation hat sich die Mühe gemacht, die Kontakte der Notenbank, des Finanzministeriums und der CFTC zu analysieren. Am häufigsten trafen sich Vertreter von Großbanken mit den Regulierern: Goldman Sachs und JP Morgan Chase mehr als 170-mal, rein rechnerisch fast zweimal die Woche. 2011 saßen Goldman-Gesandte allein an einem Tag in vier Treffen mit der CFTC. Verbraucherorganisationen kommen im Schnitt auf ein Treffen im Monat.

Auch der zärtliche David Becker arbeitet nicht mehr für die Börsenaufsicht. Er wird heute von der Kanzlei Cleary Gottlieb bezahlt. Sie arbeitet unter anderem für Credit Suisse.

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SZ vom 06.11.2012/bero
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