US-Reaktionen auf Google-Urteil:"Das Internet vergisst niemals"

Statt mehr Privatsphäre viele Unklarheiten und Gefahr für die freie Meinung: Amerikanische Kommentatoren kritisieren das Urteil des EuGH zur Löschung von Suchergebnissen. Sie stehen eher auf Googles Seite. Die wichtigsten Stimmen zur Suchmaschinen-Entscheidung

Wo beginnt das Recht auf Privatsphäre, wann schränkt es das Recht auf freie Meinungsäußerung und unbeschränkten Zugang zu Informationen ein? In den USA, wo die freie Rede viel und die Privatsphäre wenig wiegt, irritiert das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu Google viele Kommentatoren. Eine Auswahl von Einschätzungen.

Der bekannte Harvard-Jurist Jonathan Zittrain kritisiert das Konzept des "Rechts auf Vergessen", das er hinter der EuGH-Entscheidung sieht. "Ich bin skeptisch, ob man ein solches Recht zulassen sollte, auch wenn in der Prä-Suchmaschinen-Ära Tonnen solcher Informationen tatsächlich gelöscht wurden oder nicht auffindbar waren. Wir können diese Einschränkungen (durch den EuGH, d. Red.) als Zustimmung und Wiederherstellung eines Status Quo von 1995 sehen." Er schreibt weiter: "Den größten Schaden durch diese Entscheidung tragen nicht die Suchmaschinen-Firmen, sondern die Öffentlichkeit und ihre Fähigkeit, korrekte öffentliche Informationen zu finden."

Ähnlich, nur lautstärker argumentiert der bekannte Mashable-Autor Lance Ulanoff in seinem Stück "Das Internet vergisst niemals": Er wirft dem Gericht vor, ein "fundamentales Fehlverständnis" zu haben, "wie das Web und digitale Aufbewahrung funktioniert". Sein Argument: "Googles Aufgabe ist es nicht, das Internet nach negativen Kommentaren oder sogar gefährlichen Informationen zu durchsuchen. Das ist so, als würde man Büchereien verbieten, Bücher über Nazis oder Morde zu führen."

Der bekannte liberale Autor Kevin Drum sieht auf Mother Jones sogar die Pressefreiheit in Gefahr, da der Europäische Gerichtshof einen Unterschied zwischen Google und der Zeitung macht, die die Information im verhandelten Fall online stellte. Er kritisiere das Urteil "nicht deshalb, weil Google einige Links löschen muss - ich kann mir Szenarien vorstellen, in denen das gerechtfertigt sein mag. Sondern weil es (Google, d. Red.) anders als die Zeitung behandelt wird, die überhaupt erst die Information publiziert hat. Es scheint, dass das Gericht La Vanguardia die Pressefreiheit zugesteht, aber nicht Google."

Nathanial Mott vom Tech-Blog Pando Daily formuliert keine Kritik, er hält das Problem einfach für derzeit für unlösbar, weil das Internet nicht auf Vergessen ausgelegt sei. Das sei ein Problem, wie auch der Datenmissbrauch im Zuge der NSA-Affäre zeige. "Regeln werden auf absehbare Zeit einige Ideale nicht schützen können (das Recht auf Privatsphäre), ohne andere zu verletzten (Meinungsfreiheit). Technologie wird keine bessere Privatsphäre ermöglichen, solange die Infrastruktur hinter dem Web nicht neu gedacht wird und Unternehmen Geheimdienste auf ihrer Suche nach Informationen stoppen können."

James Ball von der US-Ausgabe des Guardian fragt nach den Konsequenzen: "Werden Menschen, die in den USA suchen, die 'privaten' Daten von EU-Bürgern sehen, während die Bewohner des betroffenen Landes dies nicht können? Oder werden Firmen ohne EU-Anbindung die Ergebnisse zeigen dürfen, während die mit Büros in EU-Ländern sie zensieren müssen? Das Resultat ist entweder eine schauerliche Parallele zur Chinas Zensur von Suchergebnissen oder ein großer Anreiz für Tech-Investoren, Europa schnell zu verlassen. Beides ist wahrscheinlich nicht im Entferntesten ein wünschenswertes Ergebnis."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: