US-Ökonom Jeffrey Sachs im Interview:"Diese Krise wird länger dauern als viele glauben"

Dem Ökonom und UN-Berater Jeffrey Sachs zufolge war die globale Nahrungsmittelkrise absehbar. Im SZ-Interview spricht er über die Fehler der Industriestaaten und fordert massive Hilfen für die afrikanische Landwirtschaft.

Nikolaus Piper

Jeffrey Sachs, 53, ist Direktor des Earth Institutes an der Columbia-Universität New York. 2002 wurde er zum Sonderberater für Entwicklungspolitik ernannt. Sachs wurde bekannt als Wirtschaftsberater von Regierungen in Lateinamerika und Osteuropa, denen er einen radikalen Übergang zur Marktwirtschaft empfahl. Vor seinem Wechsel nach New York lehrte er zwanzig Jahre lang an der Harvard-Universität. Er berät UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in Fragen der Entwicklungspolitik.

US-Ökonom Jeffrey Sachs im Interview: Jeffrey Sachs, 53, ist Direktor des Earth Institutes an der Columbia-Universität New York

Jeffrey Sachs, 53, ist Direktor des Earth Institutes an der Columbia-Universität New York

(Foto: Foto: Reuters)

SZ: Herr Professor Sachs, die Welt erlebt die schlimmste Nahrungskrise seit Jahrzehnten. Was sind die Ursachen?

Sachs: Die Zahl der Menschen und deren Einkommen wächst, gleichzeitig stoßen wir an Grenzen, was die Anbaufläche und die Erträge der Landwirtschaft betrifft. Klimaschocks haben die Getreideernte in Australien und Teilen Europas gedrückt. Zunehmend wird Ackerland für die Produktion von Bio-Treibstoff verwendet. All das wird potenziert durch niedrige Lagerhaltung, durch Investitionen neuer Anleger in Rohstofffonds und durch den schwachen Dollar.

SZ: Schwaches Angebot und steigende Nachfrage - sind das einfach ökonomische Gesetze oder gibt es auch eine politische Verantwortung dafür?

Sachs: Generell haben wir sehr wenig getan, um solchen Schocks vorzubeugen. Schon seit Jahren warnen die Agrarexperten. Sie konnten zwar nicht voraussehen, dass sich die Preise von Dezember 2007 bis April 2008 verdoppeln würden, aber sie wussten, dass die Nachfrage schneller steigt als das Angebot, dass die Landwirtschaft in armen Ländern produktiver werden muss und die Subventionen für Biodiesel eine schlechte Idee sind. Nur hat niemand auf sie gehört.

SZ: Sind auch die Spekulanten schuld, dass es so schlimm geworden ist?

Sachs: Auf Rohstoffmärkten gibt es immer extreme Preisausschläge, da kann man schwer Prognosen machen. Bei einer guten Ernte in diesem Jahr werden die Preise sinken. Kommt es zu einer neuen Serie von Klimaschocks, kann es noch schlimmer werden, weil die Vorräte so niedrig sind. Tritt erneut "El Nino" auf (eine sehr warme Meeresströmung vor der südamerikanischen Pazifikküste), dürfte dies eine Eruption auslösen. Ganz unabhängig davon müssen wir handeln.

SZ: Aber sind die hohen Preise nicht auch Teil der Lösung, weil sie zu mehr Angebot führen werden?

Sachs: So wäre das, wenn nur die Lebensmittelpreise hoch wären. Nun ist aber auch Energie sehr teuer und der Preis für Dünger ist außer Kontrolle geraten. Es gibt Hinweise darauf, dass viele Bauern in armen Ländern dieses Jahr weniger Dünger nutzen als im vergangenen. Gut möglich, dass die Agrarproduktion in armen Ländern sinkt statt zu steigen.

SZ: Was ist also zu tun?

Sachs: Zunächst einmal müssen die Agrarmärkte in den armen Ländern funktionieren: Keine Preiskontrollen, damit die Bauern einen Anreiz haben, mehr zu produzieren. Dann sollten die Regierungen, so weit möglich, den Bauern Saatgut und Dünger vorfinanzieren. Die Weltbank hat früher gelehrt, dass die Regierungen das Geschäft den Banken überlassen sollen. Aber die Banken leihen armen Bauern nichts, sie leihen nur Leuten, die Geld haben. Wir brauchen einen Finanzierungsplan für Agrar-Inputs.

SZ: Was ist mit den reichen Ländern?

Sachs: Kurzfristig geht es um Hungerhilfe. Das Welternährungsprogramm der UN kann wegen der hohen Preise nicht einmal seinen laufenden Verpflichtungen nachkommen. Flüchtlinge, Vertriebene, Schulkinder und andere Bedürftige brauchen Essen, das ist das Minimum. Und dann müssen wir armen Menschen dabei helfen, mehr Nahrungsmittel anzubauen. Ich habe die Einrichtung eines Fonds vorgeschlagen, der Saatgut, Dünger und Bewässerungssysteme in Afrika finanzieren soll. Leider leistet die EU-Kommission erbitterten Widerstand.

"Diese Krise wird länger dauern als viele glauben"

SZ: Wie viel Geld wollen Sie dafür?

US-Ökonom Jeffrey Sachs im Interview: Kampf ums Überleben: Frauen in Pakistan bei der Ausgabe von kostenlosem Reis

Kampf ums Überleben: Frauen in Pakistan bei der Ausgabe von kostenlosem Reis

(Foto: Foto: Getty Images)

Sachs: Der Bedarf liegt bei acht bis zehn Milliarden Dollar in den nächsten vier bis fünf Jahren. Einige europäische Regierungen sagen: Wir wollen keine Agrarhilfe, aber das ist absurd, genau das wird jetzt gebraucht. Die Kommission verweist auf ihre eigenen Töpfe, aber sie reagiert zu langsam und die Summen sind zu gering.

SZ: Was ist mit den Amerikanern? Das ist nicht nur ein europäisches Problem.

Sachs: Da warten wir auf den nächsten Präsidenten. Washington hat sich bisher völlig desinteressiert gezeigt an Hilfen für die Landwirtschaft.

SZ: Aber Europa und die USA liefern Nahrungsmittel in die Dritte Welt.

Sachs: Ein riesiger Fehler. Es ist viel billiger und wichtiger für das Überleben, wenn die armen Menschen ihre Lebensmittel selbst anbauen. Getreide aus Europa und den USA ist teuer, kommt meistens zu spät und sorgt nicht für Einkommen. Die Menschen brauchen aber Einkommen, um Saatgut und Dünger kaufen zu können.

SZ: Was sollten die Industrieländer noch tun?

Sachs: Sie sollten die Subventionen für Biotreibstoff abschaffen. In Europa wird wertvolle Ackerfläche für Rapsöl verwendet, in den USA enden 30 Prozent der Mais-Produktion als Bio-Alkohol. Außerdem brauchen wir mehr Forschung und Entwicklung in der Landwirtschaft. Diese Lebensmittelkrise wird länger dauern als viele glauben. Es geht darum, eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Dazu ist bessere Technik nötig, besseres Saatgut, Pflanzen, die sich auf den Klimawandel einstellen können. Das kostet viel Geld.

SZ: Kann die Gentechnik die Probleme lösen?

Sachs: Es gibt einige erfolgversprechende Entwicklungen, vor allem Pflanzen, die Dürre aushalten können. Firmen wie Syngenta und Monsanto versuchen Gene aus Kakteen in Nutzpflanzen zu übertragen, damit dieses ihren Wasserhaushalt besser regulieren können. Ich weiß, dass es dagegen in Europa viel Widerstand gibt, aber man muss sehen, dass dürre-resistente Pflanzen ein Durchbruch für viele arme Länder wären.

SZ: Viele ärmere Länder schützen ihre Bevölkerung vor höheren Preisen, in dem sie Exportschranken errichten. Ökonomen lehnen so etwas immer ab, aber eigentlich ist es doch verständlich?

Sachs: Natürlich ist das verständlich. Wir haben immer gesagt, die Regierungen sollten Lebensmittel nicht subventionieren, sondern sich auf den Weltmarkt verlassen. Und jetzt, wo man ihn braucht, ist der Weltmarkt nicht da. Es gibt daher schon ein paar Gründe, vielleicht nicht für Autarkie, aber doch für einen hohen Grad an Selbstversorgung mit Lebensmitteln.

SZ: Ist absehbar, dass die Krise irgendwann vorbei sein wird?

Sachs: Der langfristige Druck bleibt: mehr Nachfrage, Agrarproduktion unter Öko-Stress, Erschöpfung der Grundwasserreserven. Indien und China laufen in gewaltige Wasserprobleme hinein, die Hunderte Millionen Menschen betreffen. Wir sollten die ärmsten Länder dabei unterstützen, ihre Geburtenrate zu senken. Wenn Frauen immer noch sechs bis sieben Kinder haben, tut das den betroffenen Ländern nicht gut, uns nicht und auch dem Planeten nicht. Es würde viel helfen, wenn es 2050 nicht neun, sondern nur acht Milliarden Menschen gäbe.

SZ: Werden wir künftig in einer Welt mit auswegloser Knappheit und ständigen Hungerkatastrophen leben, so wie es der britische Ökonom Thomas Malthus zu Beginn der Industrialisierung beschrieben hat?

Sachs: Afrika lebt seit dreißig Jahren in einer solchen Situation. Auch aus einer globalen Perspektive würde ich Ihre Frage mit "Ja" beantworten - vorausgesetzt, es kommt nicht noch zu technologischen Durchbrüchen. Deshalb sind Forschung und Entwicklung so wichtig. Wir dürfen keine Technik ausschließen. Und wir können nicht darauf bauen, dass es die Märkte schon richten werden. Wenn die Regierungen der Industrieländer hier nicht massiv investieren, werden wir die Lösungen nicht rechtzeitig bekommen.

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