Geldanlage:US-Notenbank wagt Jumbo-Zinsschritt

Geldanlage: Fed-Chef Jerome Powell muss eine schwierige Aufgabe lösen.

Fed-Chef Jerome Powell muss eine schwierige Aufgabe lösen.

(Foto: Manuel Balce Ceneta/AP)

Die US-Geldhüter erhöhen den Leitzins um 0,75 Prozentpunkte. Das soll die Inflation bremsen, könnte aber die Wirtschaft treffen. Die Börsen reagieren zynisch.

Von Victor Gojdka

Vielleicht gibt es keinen Ort, an dem sich die Befindlichkeiten der US-Amerikaner so gut messen lassen, wie in den Läden der Handelsikone Walmart. Der Preis für Milch im Land ist um 16 Prozent gestiegen, der für Eier sogar um 33 Prozent. Anfang der Woche musste die Handelskette gar öffentlich einräumen, dass die Kunden wegen der steigenden Preise nur noch das Nötigste kaufen. Nun könnte man sagen: Nur drei Tage später reagiert die US-Notenbank auf die Causa Walmart und schraubt den Leitzins im Land um 0,75 Prozentpunkte nach oben - auf einen Schlag.

Was sich wenig anhört, ist in der Welt der Notenbanker ein enormer Schritt. Normal sind eigentlich Zinserhöhungen von einem Viertelprozentpunkt, jetzt aber schrauben die Geldhüter den Leitzins gleich um das Dreifache nach oben. Und das, obwohl sie sich bei der vergangenen Zinssitzung im Juni schon einmal einen solchen dreifachen Zinsschritt genehmigt hatten. Wohlgemerkt: Noch Anfang März hatte der wohl wichtigste Zins der Welt an der Nulllinie geklebt, nun liegt der US-Leitzins in einer Spanne zwischen 2,25 und 2,5 Prozent. "Sie sind fest entschlossen, die Inflation zu bekämpfen", sagt US-Experte Christian Scherrmann von der Deutsche-Bank-Fondstochter DWS.

Wer den Grund für diese geldpolitische Rosskur verstehen will, muss nur in die Geldbeutel der US-Amerikaner blicken. Im Münzfach klimpern zwar immer noch dieselben Münzen, bloß lässt sich davon immer weniger kaufen. Die Inflation in den Vereinigten Staaten ist im Juni auf 9,1 Prozent geklettert. Lieferkettenprobleme, hohe Energiepreise und üppige Lohnerhöhungen sorgen zwischen Alabama und Wyoming für steigende Preise. "Der wichtigste Feind der Fed ist nun die Inflation", sagt Frédéric Leroux vom Fondshaus Carmignac.

Torschlusspanik trieb die Notenbanker

Leitzinszahlen wie die neue Spanne von 2,25 bis 2,5 Prozent mögen abstrakt scheinen, die Logik hinter diesen Zahlen ist jedoch denkbar konkret: Höhere Leitzinsen machen Kredite teurer, US-Privatleute geben nicht mehr so viel Geld aus. Um ihre Produkte weiter verkaufen zu können, müssen Unternehmen ihre Preise heruntersetzen, die Inflation würde zumindest laut Lehrbuch sinken. In den Daten für die aktuellen Monate gibt es dafür bislang wenig Indizien, beim Blick in die Zukunft scheint die Fed-Strategie jedoch aufzugehen: Viele US-Amerikaner erwarten für die kommenden fünf Jahre nur eine jährliche Inflation von 2,8 Prozent, eine Rate deutlich unter dem aktuellen Wert.

Doch jede Zinserhöhung der Notenbank hat auch Nebenwirkungen: Während höhere Leitzinsen die Inflation bremsen sollen, können sie die Wirtschaft gefährlich abwürgen. Wenn Zinsen steigen, müssen Unternehmen beispielsweise mehr für Kredite zahlen. Bereits jetzt gibt es erste Frühindikatoren, die auf schwächeres Wachstum in den USA deuten, gar eine mögliche Rezession nahelegen.

Experten zufolge dürfte bei den Notenbankern daher auch eine Art Torschlusspanik zu dem heftigen Zinsschritt beigetragen haben: Hätten sie die Zinsen jetzt nicht deutlich heraufgesetzt, hätten sich die wirtschaftlichen Eckdaten bis zum nächsten Zinsentscheid bereits deutlich eintrüben können. Im Endeffekt hätten die Notenbanker dann weniger scharf gegen die Inflation vorgehen können. Der deutliche Zinsschritt von 0,75 Prozentpunkten dürfte daher auch ein taktisches Manöver gewesen sein, bevor große Zinsbewegungen im Herbst zunehmend schwieriger werden könnten.

Andere Anleger deuteten die Politik der Geldhüter jedoch ganz anders: Die US-Notenbank wolle mit ihrem Zinsentscheid bewusst eine kleine Rezession provozieren, damit die Wirtschaft abkühlt und auch die Preise wieder sinken. "Es ist gut möglich, dass die Zentralbank eine Rezession geradezu will, weil sie die Preise dämpfen würde", sagt Marktstratege Leroux. US-Notenbankchef Jerome Powell versuchte solche Vorhaltungen am Abend von sich zu weisen, die US-Wirtschaft befinde sich zumindest aktuell eben nicht in einer Rezession.

Die Börsenanleger reagieren zynisch

Viel wichtiger als der aktuelle Juli-Zinsentscheid ist jedoch der Kurs, den Chef-Notenbanker Jerome Powell für die kommenden Monate vorgibt. Powell sagte am Abend auf einer Pressekonferenz, die Notenbank könnte das Zinstempo künftig verringern. Eine Zinserhöhung um nochmals 0,75 Prozentpunkte im September sei zwar nicht vom Tisch, aber "von den Daten abhängig". Überdies verwiesen die Notenbanker in ihrem schriftlichen Statement auch auf schlechtere Konjunktur- und Konsumdaten.

Auch wenn schlechtere Konjunkturaussichten kaum zur Freude taugen, kauften die Börsenanleger schon während Powells Notenbankrede massiv Aktien. So sprang der amerikanische Traditionsindex Dow Jones an der New Yorker Börse zwischenzeitlich um satte vier Prozent nach oben. "Von daher können die Händler einen Haken an die heutige Zinssitzung machen", sagt Marktstratege Thomas Altmann von QC Partners.

Warum die Anleger trotz mauer Wirtschaftsaussichten zugriffen, lässt sich nur mit Kaffeesatzleserei erklären. Der Unterton des Notenbankchefs bei seiner Rede schien den Anlegern zunächst skeptischer als erwartet. Sollte die Notenbank mit ihren Zinserhöhungen künftig zaghafter vorgehen als bislang erwartet, könnte das unverhofften Rückenwind für die Börsen bringen. Denn je weniger Rendite klassische Zinsanlagen bringen, desto attraktiver scheinen im Vergleich dazu Aktien.

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