Süddeutsche Zeitung

US-Notenbank Fed:Die volle Dosis

Fast drei Billionen Dollar in den letzten sechs Jahren: Noch nie hat eine Notenbank die Wirtschaft mit so viel frischem Geld stabilisiert. Die US-amerikanische Fed weiß, dass sie die Politik des Dollardruckens beenden muss, aber sie hält den Zeitpunkt noch nicht für gekommen.

Von Nikolaus Piper, New York

Trotz anziehender Konjunktur wagt die US-Notenbank Fed wider Erwarten noch keine Abkehr von der Politik des billigen Geldes. Die Zentralbanker um Fed-Chef Ben Bernanke entschieden am Mittwoch überraschend, den Umfang der monatlichen Käufe von Staatsanleihen und Immobilienpapieren bei insgesamt 85 Milliarden Dollar zu belassen. Ökonomen hatten fest damit gerechnet, dass die Fed die Konjunkturhilfen auf 75 Milliarden Dollar pro Monat stutzen würde. "Um die Wahrheit zu sagen, ich bin wirklich erschüttert", sagte beispielsweise Chef-Marktstratege Joseph Trevisani von Worldwide-Markets. Die Aktien- und Anleihemärkte dagegen reagierten mit deutlichen Kursgewinnen. Der Dow Jones und der S&P-500-Index erreichten historische Höchststände, der Dollar verlor zum Euro an Wert. Gold verteuerte sich kräftig.

Die Fed hält offenbar die amerikanische Wirtschaft für noch nicht robust genug, um ohne Geldspritzen in der bisherigen Dosis auskommen zu können. Wie es in der Erklärung des Offenmarktausschusses der Fed hieß, hat die Wirtschaft zwar an Stärke gewinnen. "Der Ausschuss entschied sich jedoch dafür, weitere Indizien dafür abzuwarten, dass die Erholung nachhaltig ist, ehe sie den Umfang der Wertpapierkäufe korrigiert." Als Risiko für die Konjunktur und als Wachstumsbremse gilt vor allem die Sparpolitik der amerikanischen Regierung. Dem Beschluss stimmten neun von zehn stimmberechtigten Mitgliedern des Ausschusses zu.

Am ultra-niedrigen Leitzins von null bis 0,25 Prozent will die Notenbank ohnehin noch mindestens solange festhalten, wie die Arbeitslosenquote über 6,5 Prozent verharrt. Im August lag sie bei 7,3 Prozent. Selbst bei guter Konjunktur wird der Leitzins 2016 erst bei etwa 2,0 Prozent und damit unter dem langfristigen Normaliniveau liegen, glaubt die Mehrheit der Notenbanker.

Tapering - Einstieg in den Ausstieg

Die dann anstehende neue Phase, die viele Beobachter schon für jetzt erwartet hatten, heißt im Fachjargon "Tapering". Das Verb "to taper off" bedeutet "langsam abnehmen", entsprechend steht "Tapering" für den Einstieg in den Ausstieg von der Politik des Gelddruckens. Dieser Weg wird die Fed in unerforschtes Gelände führen. Noch nie hat eine Notenbank die Wirtschaft mit so viel frischem Geld stabilisiert, wie die Fed dies im Zuge der Finanzkrise tat. Die Bilanz der Fed wurde von 900 Milliarden Dollar 2007 auf 3,6 Billionen Dollar in der vorigen Woche aufgebläht. Niemand hat Erfahrung damit, was passiert, wenn das Geld wieder eingesammelt wird. Für diesen Prozess möchte sich die Fed daher möglichst viel Flexibilität erhalten. Der Ausstieg aus den Wertpapierkäufen sei "kein vorgegebener Weg", sagte Bernanke nach der Sitzung vor Journalisten in Washington.

Bis jetzt ist die Politik der Notenbank so locker wie nie in ihrer Geschichte. Der Leitzins ("Federal Funds Rate") liegt bei null bis 0,25 Prozent, außerdem erwirbt die Fed jeden Monat Staatsanleihen für 45 Milliarden Dollar und Hypothekenanleihen für 40 Milliarden Dollar. Dieses unkonventionelle Programm (offizielle Bezeichnung: "Quantitative Easing 3") wird nun vorerst beibehalten. Der Abschied von dem Programm wird allerdings bereits seit Mai getestet. Damals fingen Experten im Umfeld der Fed an, über den Nutzen und die Kosten der Wertpapierkäufe zu diskutieren. Fed-Chef Ben Bernanke kündigte am 17. Juli vor dem Kongress an, Quantitative Easing werde "später im Jahr" zurückgefahren und solle bis Mitte 2014 beendet sein. An dem Ziel hat sich offenbar nichts geändert.

Folgen für den Rest der Welt

Der Test hatte bereits weitreichende Folgen. Die Rendite zehnjähriger US- Bundesanleihen ("Treasurys") stieg von 1,62 Prozent Anfang Mai auf 2,99 Prozent Anfang September. Das klingt nach wenig, ist aber im Verhältnis ein Sprung um 84 Prozent, was in normalen Zeiten unvorstellbar wäre. Wahrscheinlich war die Reaktion der Finanzmärkte heftiger, als die Experten der Fed selbst erwartet hatten. Am Mittwoch ging die Rendite - sie entwickelt sich immer gegenläufig zum Kurs einer Anleihe - auf 2,69 Prozent. Die Reden über "Tapering" machte Hypothekenkredite - entscheidend für den weiteren Aufschwung - teurer, es hatte aber auch Folgen für den Rest der Welt. In einigen Schwellenländern, besonders in Brasilien und Indien, setzte eine regelrechte Kapitalflucht ein. Die Anleger, die auf der Suche nach höheren Renditen in den Süden gegangen waren, kehrten nun, wegen der Aussicht auf steigende Zinsen, in die als sicher empfundenen Industrieländer zurück. Der Aufschub des Tapering dürfte nun auch den Schwellenländern Erleichterung bringen, Geld bleibt in Amerika billig.

Die Amtszeit Bernankes endet am 31. Januar 2014. Es wird bisher allgemein erwartet, das Präsident Barack Obama Bernankes Stellvertreterin Janet Yellen als dessen Nachfolgerin nominiert. Yellen unterstützte den jüngsten Beschluss des Offenmarktausschusses.

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SZ vom 19.09.2013/mike
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