US-Notenbank Fed:Die ruhigen Zeiten sind vorbei

Fed Chair Janet Yellen Testifies Before House Financial Services Committee

Fed-Chefin Janet Yellen hinter ihrem Schild bei einem Auftritt in Washington, über ihr die aktuelle Summe der amerikanischen Staatsverschuldung.

(Foto: Zach Gibson/Bloomberg)

Lange schien die US-Notenbank im Kampf um Vollbeschäftigung und gegen die Inflation erfolgreich zu sein. Doch plötzlich schwächelt die Wirtschaft - und es wird auch noch um Strategie und Personal gerungen.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Der Sommer ist für die US-Notenbank Fed für gewöhnlich die ruhigste Zeit des Jahres, die Juli-Sitzung des zinspolitischen Ausschusses gilt als reine Routine, wegweisende Beschlüsse werden meist nicht gefasst. Als Fed-Chefin Janet Yellen und ihre Kollegen jedoch an diesem Dienstag zu ihrem zweitägigen Treffen in Washington zusammenkamen, konnte von Sommerlaune keine Rede sein - und dabei stand noch nicht einmal die Frage im Mittelpunkt, ob der Leitzins zum vierten Mal binnen sieben Monaten angehoben werden sollte - die Währungshüter entschieden sich einstimmig dagegen und ließen den Satz mit 1,0 bis 1,25 Prozent unverändert.

Die Welt der Notenbank ist vielmehr grundsätzlich aus den Fugen geraten. Dabei schien der Kurs einer langsamen geldpolitischen Straffung, den die Fed seit einiger Zeit fährt, wie maßgeschneidert, um eine Konjunkturüberhitzung zu verhindern, die Inflation zu begrenzen und den jahrelang ultraniedrigen Leitzins wieder in neutralere Gefilde zu bewegen. Doch die Zweifel wachsen: Die Wirtschaft präsentiert sich weniger robust als erwartet; die Inflationsrate liegt trotz der niedrigen Arbeitslosenquote nicht über, sondern unter der Fed-Zielmarke von zwei Prozent; und über allem schwebt die Frage, ob Präsident Donald Trump Yellen eine zweite Amtszeit gewähren oder die Notenbank schon bald in großem Stil personell umbauen wird.

Das aktuell größte Problem sind die Konjunkturdaten, die sich seit Wochen in eine Richtung entwickeln, die den Prognosen und dem geldpolitischen Kurs der Fed zuwiderlaufen. Die Jubel-Wochen im Einzelhandel sind vorbei, das Verbrauchervertrauen ist gesunken und die Wachstumsschätzung der Regionalnotenbank von Atlanta für das zweite Quartal beträgt gerade einmal noch 2,5 Prozent. Noch Anfang Juni hatte die Prognose bei vier Prozent gelegen. Zugleich ist das wichtigste Inflationsbarometer der Fed binnen vier Monaten von 2,1 auf 1,4 Prozent abgesunken. Von überzogener Teuerung also keine Spur.

Bekannte Ökonomen wie Nobelpreisträger Stiglitz wollen einen neuen Kurs

Hinzu kommt ein Expertenstreit, der auch die Fed intern längst erfasst hat. Seit Monaten plädiert eine Gruppe renommierter Ökonomen, darunter der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, dafür, die geldpolitische Strategie zu überarbeiten, die Zwei-Prozent-Marke aufzugeben und durch einen höheren Zielwert zu ersetzen - beispielsweise vier Prozent. Wäre es schon so weit, könnte die Fed in der aktuellen Situation die Hände in den Schoß legen. Stattdessen bremst sie mit ihren Maßnahmen die Konjunktur, die ohnehin Probleme hat.

Alteingesessene Inflationsbekämpfer in Deutschland wie in den USA bekommen es angesichts solcher Ideen mit der Angst zu tun, doch völlig von der Hand zu weisen sind die Argumente der Kritiker nicht. Das Zwei-Prozent-Ziel dient ja einem doppelten Zweck: Es soll die allgemeine Preisteuerung strikt begrenzen, zugleich aber einen gewissen Sicherheitsabstand zur Nulllinie schaffen, ab der die Preise plötzlich nicht mehr steigen, sondern womöglich unkontrolliert sinken. Die wirtschaftlichen Flautejahre nach der Finanzkrise von 2008 haben jedoch gezeigt, dass es der Fed nur unter Inanspruchnahme extremster Maßnahmen - von Negativzinsen bis zu massiven Anleihekäufen - gelang, den Einstieg in eine fatale Deflationsspirale zu verhindern. Womöglich also war der zweiprozentige Sicherheitsabstand nicht groß genug.

Doch das ist nicht das einzige Problem. Vielmehr hat sich durch die jahrelange ultralockere Geldpolitik das gesamte Zinsgefüge nach unten verschoben. Das heißt: Galt früher ein Leitsatz von etwa 3,5 Prozent als konjunkturneutral, liegt der Zins, bei dem die Wirtschaft weder künstlich befeuert noch gebremst wird, heute irgendwo zwischen ein und zwei Prozent. Die Fed müsste Zinserhöhungszyklen also künftig viel früher stoppen, um ein Abwürgen der Konjunktur zu verhindern. Umgekehrt geriete sie bei den nötigen Zinssenkungen in Abschwungphasen viel häufiger in die Nähe der Nulllinie. Bei einer Anhebung des Inflationsziels hingegen könnte sie auch die nominellen Zinssätze stärker anheben, da der für Wirtschaft und Verbraucher wichtigere Realzins unverändert bliebe.

Das Resultat wäre ein größerer Zinssenkungsspielraum in der nächsten Rezession. Dennoch haben natürlich auch die Gegner einer solchen Reform gute Argumente. Sie verweisen etwa darauf, dass die Inflation bei einem höheren Zielwert rasch außer Kontrolle geraten und nur mit viel höheren Zinsen wieder eingedämmt werden könnte. Torsten Sløk, Chefvolkswirt für den Bereich Weltwirtschaft bei der Deutschen Bank in New York, betont zudem, dass die Fed zwar den Inflationszielwert per Dekret von zwei auf vier Prozent anheben könne, nicht aber die tatsächliche Teuerung. Viele Güter, die US-Firmen fertigen, müssten sich mit Produkten internationaler Konkurrenten messen - der Spielraum für eine deutliche Anhebung der Preise wäre also gering. Blieben die Dienstleistungen, darunter Arztbesuche, Studiengebühren und Mieten, die in den USA aber schon heute absurd teuer sind. Sollte die Fed hier auf eine weitere Anhebung dringen, würde sie unweigerlich in eine erbitterte politische Auseinandersetzung hineingezogen werden, die sie kaum gewinnen könnte.

Präsident Trump: "Ich mag sie, ich mag ihre Haltung, ich glaube, sie hat gute Arbeit geleistet"

Immerhin: Notenbankchefin Yellen hat bereits öffentlich eingestanden, dass auch sie sich schon gefragt hat, ob die Zwei-Prozent-Marke noch zeitgemäß ist. Dies sei "eine der wichtigsten Fragen, mit denen sich die Geldpolitik weltweit befassen" müsse. "Wir werden irgendwann in der Zukunft neu darüber nachdenken."

Ob sie selbst dann noch Fed-Chefin sein wird, ist allerdings offen, zumal nach den schroffen verbalen Attacken, die der damalige Präsidentschaftskandidat Trump im Wahlkampf gegen sie geritten hatte. Vor wenigen Tagen machte bereits das Gerücht die Runde, der Präsident werde seinen Wirtschaftsberater Gary Cohn an die Spitze der Notenbank befördern, wenn Yellens Chef-Vertrag im kommenden Februar ausläuft. Trump selbst bestätigte diese Woche in einem Interview des Wall Street Journals, dass Cohn ein heißer Anwärter sei. Dann jedoch folgte eine jener Volten, für die der Präsident so berüchtigt ist: Neben dem Ex-Goldman-Sachs-Vize, so Trump, gebe es noch jemanden, der beste Aussichten habe, Yellen-Nachfolger zu werden: Janet Yellen: "Ich mag sie, ich mag ihre Haltung, und ich glaube, sie hat gute Arbeit geleistet. Sie ist definitiv im Rennen."

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