US-Notenbank Fed:Alles, was Sie über den Leitzins wissen müssen

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Sie wecken das Interesse an Tradingbüchern und liefern den Stoff für Romane. Händler an der New Yorker Börse. (Foto: Spencer Platt/AFP)

Steigt er nun oder nicht? Was sind die Folgen, wenn die Fed zum ersten Mal nach fast zehn Jahren eine Erhöhung des Leitzinses beschließen sollte? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Claus Hulverscheidt

Zu den zweifelhaften Errungenschaften der Menschheit gehört ihr Drang, die Verkündung kleinstmöglicher Neuigkeiten größtmöglich zu inszenieren. Wechselt ein halbwegs begabter Fußballspieler den Verein, wird er vor 75 000 Menschen im Stadion präsentiert. Und wird ein Fernsehsternchen schwanger, landen die Ultraschallbilder des Babys im Internet.

Am kommenden Donnerstag wird es einmal genau umgekehrt ablaufen: In Washington wird eine freundliche ältere Dame einen kleinen, holzgetäfelten Saal betreten, vor dem schweren blauen Wandvorhang an einem Pult Platz nehmen und eine Handvoll Zuhörer mit einem langatmigen Vortrag quälen - dem vielleicht wichtigsten wirtschaftspolitischen Vortrag der vergangenen sechs, sieben Jahre. Seit Monaten fiebern Regierungen, Ökonomen, Banker und Börsenhändler auf jenen ominösen 17. September hin, an dem Janet Yellen, die Chefin der US-Notenbank Fed, bekanntgeben wird, ob die Leitzinsen in Amerika erstmals seit fast zehn Jahren wieder steigen. Die Süddeutsche Zeitung erläutert, welche Folgen die Entscheidung der Fed mutmaßlich haben wird.

Wieso ist der Leitzins überhaupt wichtig?

Der Leitzins ist jener Satz, zu dem sich Geschäftsbanken bei der Zentralbank Geld leihen können. Er beeinflusst damit die Zinssätze, die die Institute ihren Kunden für Kredite in Rechnung stellen. Die Notenbank ist so in der Lage, die Wirtschafts- und Preisentwicklung - wenn auch nur sehr grob - zu steuern. Sind die Zinsen niedrig, sind Kredite billig, und Investitionen von Firmen rentieren sich schneller. In der Folge gewinnt das Wirtschaftswachstum an Fahrt, allerdings wächst zugleich die Inflationsgefahr. Erhöht die Notenbank den Leitzins, wirkt sie damit einer übertriebenen Preisteuerung entgegen - dämpft aber womöglich die Konjunktur.

Wie betrifft das den einfachen Bürger?

Zunächst einmal führt mehr Wachstum in aller Regel zu mehr Arbeitsplätzen, wohingegen mehr Inflation die Ersparnisse der Menschen auffrisst. Darüber hinaus beeinflusst die Höhe der Kreditrate die Guthabenzinsen, was derzeit sehr gut zu beobachten ist: Während Bürger, die ein Haus bauen oder ein Auto kaufen wollen, sich über historisch niedrige Kreditzinsen freuen, leiden andere darunter, dass Sparguthaben kaum noch Erträge abwerfen.

Auf und Ab bei den Leitzinsen hat es immer gegeben. Warum ist diesmal schon vorher die Aufregung derart groß?

Tatsächlich haben die großen Notenbanken ihre Ausleihsätze schon unzählige Male verändert, seit Anfang der 1990er-Jahre meist innerhalb eines Bands von drei bis sechs Prozent. 2007 jedoch begann die US-Notenbank damit, ihren Satz von damals gut fünf Prozent Schritt für Schritt zu senken, um die Folgen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen. Seit Ende 2008 liegt der Leitzins nun praktisch bei null - das hat es noch nie gegeben. Entsprechend groß ist die Verunsicherung, welche Folgen die erste Anhebung nach fast zehn Jahren haben wird.

Wieso wird die Fed überhaupt tätig?

Liegt der Leitzins bei null, fehlt der Notenbank die Munition zur Bekämpfung erneuter Konjunkturschwächen. Um sich für die nächste Krise zu wappnen, muss sie bestrebt sein, den Satz mittelfristig wieder auf ein Ausgangsniveau von beispielsweise drei Prozent anzuheben.

Kommt die Zinserhöhung also?

Lange Zeit galt es als ausgemacht, dass die Fed am 17. September die Wende einleitet und den Leitsatz um 0,25 oder gar 0,5 Prozentpunkte anhebt. Dafür spricht, dass die US-Wirtschaft zuletzt sehr robust gewachsen und die Erwerbslosenquote mit nur noch gut fünf Prozent auf den niedrigsten Stand seit sieben Jahren gefallen ist. Die Folge könnten steigende Löhne sein und, so Modellrechnungen der Fed, steigende Preise.

Aber?

Viele Experten trauen dem Aufschwung immer noch nicht so recht und glauben, dass die offizielle Statistik die tatsächliche Situation auf dem Arbeitsmarkt beschönigt. Hinzu kommen negative Einflüsse von außen, vor allem die jüngste Wachstumsschwäche in China, die der US-Exportwirtschaft noch schwer zu schaffen machen könnte. Die meisten Fachleute beziffern die Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung am kommenden Donnerstag deshalb nur noch mit 50 Prozent.

Was würde es bedeuten, wenn die Notenbank tatsächlich die Wende einleitet?

Das Signal wäre zunächst ein doppelt positives: Erstens würde eine Zinserhöhung bedeuten, dass die Fed die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten 80 Jahre tatsächlich für ausgestanden hält. Und zweitens hätte sie den ersten Schritt unternommen, um die These von Kritikern zu widerlegen, dass nach einer Phase extremer geldpolitischer Maßnahmen eine Rückkehr zur Normalität nicht möglich ist.

Alle wären also begeistert?

Nein. Auf den Finanzmärkten etwa könnte der "Schock", dass die Phase des ultra-billigen Geldes tatsächlich zu Ende geht, Kursstürze auslösen. Weitere Leidtragende wären vermutlich Schwellenländer wie Brasilien, denen Kapitalabflüsse drohten (siehe Artikel unten). Auch würde der Dollar-Kurs steigen, was erneut der US-Exportindustrie schaden und die Konjunktur in Amerika abwürgen könnte. Und schließlich: Auch in den USA liegt die Inflationsrate trotz des Wirtschaftsaufschwungs immer noch unter der Zielmarke von zwei Prozent. Eine Straffung der Geldpolitik könnte die Preise weiter dämpfen und in eine Deflation münden. Eine Deflation aber ist für eine Notenbank noch schwieriger zu bekämpfen als eine Inflation - weshalb viele Währungshüter keine Inflationsrate von null, sondern eine mit genügend Abstand zu eben dieser Nulllinie anstreben.

Wenn es so viele Unsicherheiten gibt, warum wartet die Fed dann nicht einfach?

Weil auch zu spätes Handeln Gefahren birgt. Nach der langen Nullzinsphase schwimmt die Welt in billigem Geld. Es ist deshalb denkbar, dass die Inflationsrate in den USA jetzt, da die Krise überwunden zu sein scheint, explosionsartig ansteigt.

Wird die Europäische Zentralbank (EZB) der Fed bei einer Zinserhöhung folgen?

Nein, jedenfalls nicht auf absehbare Zeit. Die wirtschaftliche Lage ist in weiten Teilen der Euro-Zone viel schlechter als in den Vereinigten Staaten, die Arbeitslosigkeit mancherorts fünf Mal so hoch. Gleichzeitig läuft die Inflation nicht nach oben, sondern nach unten aus dem Ruder. Die EZB wird deshalb ihren Leitzins aller Voraussicht nach noch für längere Zeit bei fast null belassen und zudem weiter versuchen, durch den groß angelegten Kauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren auch die langfristigen Zinsen sowie den Kurs des Euro niedrig zu halten.

War die Nullzinspolitik der großen Notenbanken nun erfolgreich oder nicht?

Das lässt sich noch nicht abschließend beurteilen. Die extrem lockere Geldpolitik nach der Finanzkrise von 2008 hat sicherlich dazu beigetragen, einen noch tieferen Absturz der Weltwirtschaft, vielleicht gar eine große Depression, zu verhindern. Ob das viele billige Geld die Situation aber auf Dauer stabilisieren oder sich im Gegenteil als Nährboden für die nächste Finanzkrise erweisen wird, muss sich noch zeigen.

© SZ vom 12.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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