Urteile:Richter sollten nicht regieren müssen

Constitutional Court Rules On NPD Ban

Dass sich in den vergangenen Jahren für die Bürger in Deutschland finanziell einiges zum Besseren verändert hat, ist vor allem einigen höchstrichterlichen Entscheidungen zu verdanken.

(Foto: Getty Images)

Viel zu oft werden wichtige Entscheidung in Gerichten gefällt und nicht in der Politik. Doch die Parteien unterliegen einem gefährlichen Irrtum.

Kommentar von Stephan Radomsky

Deutschland ist wieder ein bisschen gerechter. Allerdings einmal mehr nicht dank einer politischen, sondern einer höchstrichterlichen Entscheidung, diesmal vom Bundesfinanzhof: Der hat geurteilt, dass ein Verein grundsätzlich nicht gemeinnützig sein kann, wenn er einem Geschlecht einfach so, ohne wirklich triftigen Grund, die Mitgliedschaft verweigert. Wer die Allgemeinheit wirklich "selbstlos fördern" will, wie es das Gesetz fordert, kann nicht einfach die eine Hälfte dieser Allgemeinheit von vornherein ausschließen - zugleich aber sich und seine Gönner vom Staat mit Steuervorteilen päppeln lassen.

Dieses Urteil ist richtig, es ist konsequent und der gesellschaftlichen Realität angemessen. Bis auf nur sehr wenige denkbare Ausnahmen ist es schlicht aus der Zeit gefallen, dass sich Männer oder Frauen in geschlossenen Zirkeln treffen und dafür auch noch gefördert werden.

Zugleich ist es aber traurig, weil es wieder einmal eine juristische und keine politische Entscheidung ist, die diese Erkenntnis formuliert. Dabei wäre genau das die Aufgabe der Bundesregierung und ihrer Parlamentsmehrheit gewesen. Die aber hat sich gerade auf der so wichtigen Schnittstelle von Finanz- und Gesellschaftspolitik in den vergangenen Jahren fast völlig abgemeldet und das Regieren weitgehend den Richtern überlassen.

Geistig leben viele Politiker immer noch in den Sechzigern

Es wirkt beinahe so, als ob im politischen Berlin viele geistig noch immer in den seligen Sechzigern leben. In einer Zeit als Vati arbeiten ging, Mutti sich daheim um Kinder und Küche kümmerte und ein ordentliches Einkommen zum Leben reichte. Die Realität vieler Großstädter sieht zwar längst nicht mehr so aus, politisch wird aber trotzdem einfach festgehalten an überkommenen Modellen wie dem Ehegattensplitting, das Alleinverdiener belohnt. Am besten noch ergänzt um ein Betreuungsgeld, vulgo: Herdprämie. Und die wachsende Vermögensungleichheit wird noch zusätzlich gefördert, indem Firmenerben bei der Erbschaftsteuer nach wie vor bevorzugt werden. Dass bis jetzt auch noch viele männer- und ein paar frauenbündlerische Vereine wie Burschenschaften, Freimaurerlogen oder Schützenbruderschaften als gemeinnützig anerkannt und subventioniert werden, passt da gut ins Bild.

Dabei ließe sich der Wandel hin zu mehr Gleichberechtigung und Gerechtigkeit über das Portemonnaie der Bürger besonders leicht und effektiv fördern. Dass sich dabei in den vergangenen Jahren in Deutschland einiges zum Besseren verändert hat, ist vor allem einigen höchstrichterlichen Entscheidungen zu verdanken. So war es eben nicht der Bundestag, sondern das Bundesverfassungsgericht, das als erstes die Gleichstellung homosexueller Paare im Steuer-, Erb- und Sozialrecht durchsetzte, das Betreuungsgeld in weiten Teilen wieder abschaffte und die Regelungen zur Erbschaftsteuer als ungerecht brandmarkte.

Gestalten ist nicht Aufgabe der Gerichte, sondern der Politik

Das Problem solch weitreichender Entscheidungen ist, dass Richter nicht gestalten können. Sie sollen das bestehende Recht in ihren Urteilen auslegen, es nutzbar machen und Orientierung liefern. In dieser Rolle aber können sie die gesellschaftliche Entwicklung bestenfalls wohlwollend begleiten und die schlimmsten Fehlentwicklungen korrigieren.

Neue Ideen auf allen Feldern aufzugreifen und die Gesellschaft insgesamt weiterzuentwickeln, ist dagegen die ureigene Aufgabe der Politik. Die aber verweigert sich, so scheint es, immer häufiger. Dabei wären ihre Impulse wichtig, haben sich die Veränderungsprozesse in der Gesellschaft doch enorm beschleunigt. Was vor ein, zwei Jahrzehnten noch exotisch schien - Männer, die auch jenseits der 65 noch arbeiten können und wollen; Mütter, die eine Familie und eine Karriere haben möchten; schwule Ehepaare - ist heute alltägliche gesellschaftliche Realität.

Die aber muss eben entwickelt und gestaltet werden, auch rechtlich. Dass gerade CDU und CSU sich darum zuletzt nicht gekümmert haben und am liebsten so weitermachen wollten wie immer schon, ändert daran nichts. Dabei ist es ein Irrtum zu glauben, die alten Werte und Strukturen ließen sich mit Steuergeschenken für alleinverdienende Väter, Unternehmerfamilien und Männergesangsvereine konservieren. Und nicht einmal die umworbene Klientel hat etwas davon, wenn die zuvor unter Getöse eingeführten Regelungen von den Gerichten schnell und trocken wieder kassiert werden.

Gerade beginnt die heiße Phase des Wahlkampfs, für die Parteien wäre das der ideale Zeitpunkt zu erklären, wie sie die Gesellschaft in Zukunft gestalten wollen. Und anschließend müssten sie es dann auch tun, anstatt das Regieren den Richtern zu überlassen.

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