Süddeutsche Zeitung

Urteil zum Sonntagsverkauf:"Ein kollektives Burn-out vermeiden"

EKD-Ratsvorsitzende Käßmann über den Ladenschluss am Sonntag, unwichtigen Kommerz - und ihren Weihnachtseinkauf.

Melanie Ahlemeier

Margot Käßmann, 51, hat seit Ende Oktober den Ratsvorsitz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) inne, seit Juni 1999 ist sie als Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover tätig. Evangelische und katholische Kirche hatten gemeinsam gegen die Berlin-Regelung zum Sonntagsverkauf vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe geklagt - und recht bekommen.

sueddeutsche.de: Frau Bischöfin, die Berliner Sonntagsverkaufs-Regelung ist verfassungswidrig. Wie groß ist Ihre Erleichterung als EKD-Ratsvorsitzende?

Margot Käßmann: Wir sind über das Urteil froh und erleichtert, weil die christliche Feiertagskultur klar gestärkt worden ist.

sueddeutsche.de: Die Kommerzialisierung des Sonntags erfährt qua Gerichtsentscheid ihre Grenzen - aber werden die Kirchen deswegen wieder voller?

Käßmann: Mir geht es natürlich zuallererst um den Gottesdienst, den christlichen Feiertag, aber auch insgesamt um die Kultur in unserem Land. Der Sonntag hat eine andere Gestalt als der Werktag. Er ist wichtig, um ein kollektives Burn-out-Syndrom zu vermeiden. Wir brauchen Zeit für die Familien und für verlässliche Freundschaften. Es geht um Kirche, aber auch um Kultur insgesamt.

sueddeutsche.de: Wenige von der Senatsverwaltung bestimmte Sonntage dürfen während des Jahres geöffnet bleiben - wann passt es der Kirche?

Käßmann: Am liebsten wäre mir natürlich, dass Sonntage von Ladenöffnungen ganz verschont blieben, damit nicht alles dem Konsum und Kommerz anheimgegeben wird. Die Menschen klagen ohnehin schon, die Adventszeit sei eine stressige Zeit. Hier noch einmal zur Ruhe zu finden und sich zu fragen, was wir eigentlich feiern und worum es am Ende geht, das ist mir wichtig. Darum sind für mich die Adventssonntage besonders schützenswert.

sueddeutsche.de: Religion statt Kommerz - schaffen wir mit einem stärkeren Glauben den Weg aus der Wirtschaftskrise?

Käßmann: Der Glaube kann deutlich machen, dass Konsum, Kommerz, Geld, Raffgier, Gewinnstreben und Aktien das Leben nicht dominieren sollten. Entscheidend im Leben sind doch ganz andere Fragen, wie beispielsweise: Warum bin ich auf dieser Welt? Vor wem verantworte ich mich? Wie will ich das Leben in seiner ganzen Fülle wahrnehmen? Solche Nachdenklichkeit werden unsere Kirchen immer einbringen in eine Welt, die völlig ökonomisiert und egomanisch zu werden scheint.

sueddeutsche.de: Warum ist der Sonntagsverkauf hierzulande eigentlich so ein großes Thema? In Polen beispielsweise öffnen die Läden auch sonntags, und die Menschen gehen trotzdem in die Kirche.

Käßmann: Wir haben in Deutschland eine gewachsene Struktur und Kultur. Ich muss ja auch am Sonntag arbeiten, aber der Sonntag ist ein anderer Tag. Es ist schon ein ganz besonderer Schatz in unserer Tradition, dass es diese heilsame Unterbrechung des Alltags gibt. Das Urteil aus Karlsruhe stärkt genau das - indem es sagt, die Ladenöffnung am Wochenende bleibt die Ausnahme und die Normalität ist eine Sonntagsruhe, die uns im Land aus Erfahrung guttut. Die Menschen können doch gar nicht mehr Geld ausgeben als sie haben. Schon jetzt stellt sich für viele Menschen die Frage, ob wir nicht an der Grenze des Konsums angekommen sind.

sueddeutsche.de: Profitieren nicht auch die Kirchen von Besuchern in Einkaufslaune, weil vielleicht die Kollekte höher ausfällt?

Käßmann: Das glaube ich, offen gestanden, nicht. Ich wünsche mir, dass die Menschen in sich eine Sehnsucht nach dem Gottesdienst spüren. Und dass sie wissen, dass sie etwas für ihre Seele bekommen, was sie nirgendwo kaufen können.

sueddeutsche.de: Wann kaufen Sie Weihnachtsgeschenke ein?

Käßmann: Mal schaun, ich weiß es noch nicht. Das schiebe ich noch weit von mir.

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