Süddeutsche Zeitung

Urteil in Berlin:Streit um den Mietspiegel

  • Das Amtsgericht Charlottenburg hat Anfang der Woche den Berliner Mietspiegel von 2013 kurzerhand für unwissenschaftlich und damit irrelevant erklärt hat.
  • Das Urteil zeigt ein Problem auf: Wie sollen die sogenannten qualifizierten Mietspiegel erstellt werden?

Von Wolfgang Janisch

Es gab ja, was die steigenden Mieten angeht, in letzter Zeit ein paar gute Nachrichten. Im Frühjahr hat der Bundestag die Mietpreisbremse beschlossen. Als Bremsklotz - um im Bild zu bleiben - dient die "ortsübliche Vergleichsmiete", bei der Neuvermietung bestehender Wohnungen darf man höchstens zehn Prozent darüber liegen.

Auch bei laufenden Verträgen kommt die Vergleichsmiete als Obergrenze ins Spiel. Ob all das wirklich günstig für den Wohnungsmarkt ist, darüber herrscht naturgemäß Streit. Klar ist aber: Das Maß aller gesetzgeberischen Mühen ist die "ortsübliche Vergleichsmiete".

Deshalb war es schon, wie man so sagt, ein Aufreger, als das Amtsgericht Charlottenburg Anfang der Woche den Berliner Mietspiegel von 2013 kurzerhand für unwissenschaftlich und damit irrelevant erklärt hat. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, zudem gilt es nicht für den neuen Berliner Mietspiegel, der nächste Woche vorgestellt wird.

Weil aber ein Mietspiegel die in Tabellen und Zahlenkolonnen materialisierte Vergleichsmiete ist, könnte sein Verlust die Preisbremse lockern. Und dies sozusagen auf abschüssiger Strecke, wenn man sich Wohnungsmärkte wie in Berlin oder München anschaut.

"Erwartbare Katastrophe"

Tatsächlich zeigt das Urteil ein Problem auf. Oder, wie es Kai Warnecke vom Eigentümerverband Haus und Grund formuliert, "eine erwartbare Katastrophe". Viele Kommunen hätten aus politischen Gründen die Zahlen kleingerechnet, um das Mietniveau niedrig zu halten. Das räche sich nun. Warnecke erwartet, dass weitere Mietspiegel gekippt werden.

Doch die Sache ist komplizierter. In Berlin ging es um einen "qualifizierten" Mietspiegel, das ist ein besonders anspruchsvolles Rechenwerk. Nach "wissenschaftlichen Grundsätzen" wird das Stadtgebiet in verschiedene Wohnlagen unterteilt, Infrastruktur, Sanierungsgrad, solche Dinge spielen da hinein. Alle zwei Jahre muss er angepasst und alle vier Jahre neu erstellt werden - bei Kosten von 200 000 Euro aufwärts leisten sich das vorwiegend große Städte. Dafür hat der "qualifizierte" Mietspiegel bei Mieterhöhungen eine hohe Beweiskraft.

124 qualifizierte Mietspiegel gibt es in Deutschland, aber Wolfgang Neußer, Wohnungsmarktexperte am Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, schätzt, dass die Hälfte vom Abstieg in die zweite Liga bedroht ist, weil nicht rechtzeitig aktualisiert wird. Hinzu kommt herbe Kritik aus der Wissenschaft. Mietspiegel würden häufig von Soziologen oder Geografen erstellt, denen die Kenntnis statistischer Methoden fehle, sagt Walter Krämer, Professor für Statistik in Dortmund und oft Gutachter in Mietspiegel-Prozessen - zum Beispiel im Charlottenburger Fall: "In Berlin waren Amateure am Werk." Das Bundesjustizministerium plant, Qualitätskriterien aufzustellen.

Aber es gibt, auch ohne die teuren Zahlenwerke, noch andere Bremsfaktoren. Zum Beispiel die 350 "einfachen", also von den Verbänden ausgehandelten Mietspiegel, die vor Gericht ein gewisses Gewicht haben. Außerdem: Ohne festgeschriebene Vergleichsmiete müssen Vermieter oft teure Gutachten beibringen - was sich nicht immer rechnet. So schätzen Mieterbund und Vermieterverband am Mietspiegel vor allem eines: Er schafft Rechtsfrieden.

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SZ vom 13.05.2015/hgn
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