Süddeutsche Zeitung

Urteil im Libor-Manipulationsskandal:Einblick in die Welt der hoch bezahlten Banker

Investmentbanker Tom Hayes muss für 14 Jahre in Haft, weil er den Zinssatz Libor manipuliert hat. Die Strafe ist zu hart - das Urteil richtig.

Ein Kommentar von Björn Finke

Es ist mit Abstand die härteste Strafe, die ein Gericht nach der Finanzkrise gegen Banker verhängte: Für 14 Jahre soll Tom Hayes ins Gefängnis, weil der Brite als Wertpapier-Händler in Tokio den wichtigen Zinssatz Libor manipulierte. Das Strafmaß des Londoner Gerichts ist unangemessen hoch. Schließlich hat der 35-Jährige niemanden überfallen oder verletzt, und sein persönlicher Gewinn aus dem Betrug bestand nur darin, mehr Gehalt und Boni zu kassieren - die Mauscheleien erhöhten in erster Linie die Profite seines Arbeitgebers.

In Deutschland wäre die Strafe vermutlich geringer ausgefallen. So verurteilte das Landgericht München I einen ehemaligen Vorstand der BayernLB, der 44 Millionen Dollar Schmiergeld kassiert hatte, 2012 zu achteinhalb Jahren Haft.

Die Strafe gegen Hayes wirkt vor allem deshalb zu drakonisch, weil der frühere Star-Händler keineswegs so etwas wie der Hauptverantwortliche für den Libor-Skandal ist. So etwas wie der große sinistre Strippenzieher im Hintergrund. Seine Manipulationen betrafen nur einen Teil des Marktes, und zahlreiche andere Händler nutzten genau die gleichen Tricks.

Hayes fühlt sich nach eigenem Bekunden als Sündenbock, während seine Vorgesetzten und viele weitere Banker ungeschoren davonkämen. Das ist wehleidig, denn Hayes fädelte wissentlich Betrügereien ein - und niemand zwang ihn dazu. Er machte sich schuldig. Daher ist seine Verurteilung richtig, selbst wenn die Höhe der Strafe falsch ist. Damit Hayes aber am Ende nicht wirklich wie ein Sündenbock wirkt, müssen viele weitere Prozesse folgen. Sehr viele.

Niederschmetternde Einblicke

Vor sieben Jahren begannen die Libor-Ermittlungen. Trotzdem ist Hayes der erste Händler, der vor Gericht stand. Und gerade mal 20 anderen Managern drohen Strafverfahren. Vorgesetzte von Hayes sind nicht darunter. Es heißt zwar, dass Staatsanwälte - ermuntert von Hayes' Verurteilung - jetzt Prozesse gegen eine Reihe weiterer Banker vorbereiten werden, dennoch wirkt die geringe Zahl an Beschuldigten absurd. Den Libor-Satz zu manipulieren, war schließlich übliche Praxis in vielen Geldinstituten: Das zeigte auch der Prozess gegen Hayes.

Das Verfahren bot niederschmetternde Einblicke in eine Welt, in der hoch bezahlten Bankern der moralische Kompass abhanden gekommen war. Hayes und seine Komplizen spekulierten mit Termingeschäften auf Yen-Zinsprodukte. Und sie stellten sicher, dass sich der Zins in die gewünschte Richtung bewegt, indem sie den Libor manipulierten. Dieser Satz ist Orientierungsgröße für Abertausende Wertpapiere; er wird täglich ermittelt auf Grundlage der Angaben von Banken, wie viel Zinsen sie selbst zahlen müssen. Hayes überredete die zuständigen Kollegen, irreführende Daten zu schicken.

Die Art, wie der Libor berechnet wird, lädt zu Missbrauch geradezu ein. Als der Betrug aufflog, verlangten Aufseher daher eine grundlegende Reform - doch passiert ist bis heute nicht viel.

Hayes sagte vor Gericht, seine Vorgesetzten hätten von den Tricks gewusst, und diese Mauscheleien seien in der Branche nichts Ungewöhnliches gewesen. Deswegen machte er sich nicht die Mühe, kompromittierende E-Mails zu löschen - ihm fehlte das Schuldbewusstsein.

Damit steht er nicht alleine da. Andere Bankhändler tauschten sich zulasten der Kunden über Devisengeschäfte aus und manipulierten Wechselkurse. Auch bei diesem Skandal waren viele der Betrüger erschütternd unbesorgt. Absprachen mit Konkurrenten? Kunden über den Tisch ziehen? Kurse frisieren? Die Händler schienen das normal zu finden, vor Aufsehern hatten sie keine Angst.

Die Mauscheleien bei Devisen und beim Libor zeigen, wie verrottet die Kultur in zahlreichen Banken war. Und das noch Jahre nach Beginn der Finanzkrise 2008. Auf der Jagd nach Boni war Händlern offenbar jede Methode recht. Jede legale Methode. Jede legale, aber unmoralische. Und falls es sein musste, auch illegale Methoden. Es machen doch alle so; die Kunden sind selbst schuld, wenn sie die Tricks nicht durchschauen - damit beruhigten viele der Finanzmarkt-Rambos ihr Gewissen.

Bankvorstände geloben darum stets, sie nähmen das Thema Kulturwandel unglaublich wichtig. Es wird allerdings dauern, eine über Jahrzehnte eingeübte Kultur der Abzocke in Konzernen mit Zehntausenden Beschäftigten zu ändern.

Staatsanwälte könnten diesen Wandel enorm beschleunigen, wenn sie nach Hayes viele, viele andere Banker wegen des Libor-Skandals vor Gericht brächten. Und wenn darunter der ein oder andere Vorgesetzte wäre. Diese Botschaft würden die Manager sicher schnell verstehen.

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SZ vom 05.08.2015/hgn
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