Urteil des Bundesfinanzhofs über Lohnzuschüsse:Millionen Angestellten drohen Gehaltseinbußen

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Der Bundesfinanzhof mit Sitz in München will die Steuerbegünstigung von Arbeitgeber-Zuwendungen weitgehend abschaffen. (Foto: DPA)

Ob Zuschüsse für Kinderbetreuung oder Fahrtkosten: Auf verschiedene Weise können Unternehmen ihren Mitarbeitern Gutes tun - einfach und vor allem steuerfrei. Ein Urteil des Bundesfinanzhofs macht damit nun Schluss.

Von Malte Conradi

Nichts bewegt sich, die Positionen sind unvereinbar, Chef und Mitarbeiter sitzen sich unversöhnlich gegenüber. Wenn Gehaltsverhandlungen an diesen Punkt kommen, gab es bislang immer noch einen eleganten Ausweg: Statt eines Gehaltsaufschlags konnte der Chef seinem Mitarbeiter eine kleine Zuwendung anbieten: Als Ausgleich für den Weg zur Arbeit, als Beitrag für die Kinderbetreuungskosten, als sogenannte Erholungsbeihilfe oder auch für die private Internetnutzung.

Von solch einer Lösung profitieren beide Seiten: Der Angestellte bekommt wenigstens ein bisschen mehr Geld, für den Arbeitgeber wird es nicht zu teuer. Denn von einer regulären Gehaltserhöhung kommen nach Steuern und Abgaben nur etwa 50 Prozent tatsächlich beim Arbeitnehmer an. Um ihm am Ende des Monats also 100 Euro mehr auf dem Konto zu bescheren, muss der Arbeitgeber 200 Euro ausgeben. Freiwillige Zuwendungen hingegen kommen netto wie brutto beim Lohnempfänger an. Lediglich eine niedrige pauschale Lohnsteuer zwischen 15 und 25 Prozent müssen die Unternehmen abführen.

Dementsprechend beliebt waren die Sahnehäubchen auf dem Lohn. Nach Schätzungen von Experten erhielten in den vergangenen Jahren einige Millionen Angestellte solche Zahlungen, im Durchschnitt 200 Euro jährlich. Dass Staat und Sozialkasse dadurch viel Geld entgeht, ist gewollt: Die Politik sah die steuerbegünstigten Zuschüsse immer als Förderinstrument. Eine Regelung also, von der alle profitierten.

Nur noch freiwillige Zahlungen sollen steuerbegünstigt sein

Doch es wird eng für den bequemen Ausweg aus festgefahrenen Lohnverhandlungen. Schon 2010 schränkte der sechste Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) die Steuerbegünstigung von Arbeitgeber-Zuwendungen ein. Ein neues BFH-Urteil könnte sie nun weitgehend abschaffen (Az.: VI R 54/11). Die Münchner Richter stellten fest, dass nur noch solche Zahlungen steuerbegünstigt sein sollen, die freiwillig gezahlt werden. Bislang war die einzige Bedingung, dass sie zusätzlich zum regulären Lohn erfolgen.

Aber was ist schon freiwillig? Im Arbeitsrecht finden sich dafür vor allem zwei Bedingungen: Der Empfänger darf keinen vertraglichen Anspruch auf die Zahlung haben - das lässt sich noch leicht vermeiden. Aber auch ohne Passus im Vertrag kann ein Anspruch entstehen: Durch eine sogenannte betriebliche Übung. In vielen Fällen reicht es schon, eine Zuwendung drei Monate in Folge zu zahlen, damit dem Arbeitnehmer ein Anspruch erwächst.

Es könnte zu erheblichen Steuernachzahlungen kommen

"Das BFH-Urteil ist wirklich einschneidend und kann noch zu einem bösen Erwachen bei vielen Unternehmen und Arbeitnehmern führen", sagt Marc Krischer, Wirtschaftsrechtler bei der Kölner Kanzlei Oppenhoff und Partner. Schon jetzt würden die Zuschüsse bei Steuerprüfungen verstärkt unter die Lupe genommen.

Auch Sebastian Arendt, Vorsitzender des Bundes verbraucherorientierter Steueranalytiker, befürchtet, dass "erhebliche Steuernachzahlungen" auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer zukommen. In jedem Fall aber bestehe nun "keine praktikable Möglichkeit mehr, die Steuerbegünstigungen zu erlangen". Andere Experten sehen die Sache weniger drastisch. Sie glauben, dass die Finanzverwaltung nicht so schnell mit dem Argument der betrieblichen Übung bei der Hand sein wird. Grund für die Verwirrung: In der jüngeren Vergangenheit urteilten Arbeitsgerichte in Sachen betrieblicher Übung sehr uneinheitlich. Es bleibt nun abzuwarten, wie strikt die Finanzämter der Auffassung des BFH folgen werden.

In jedem Fall aber werden Unternehmen sich künftig intensiv darum kümmern müssen, sicherzustellen, dass die Zuwendungen rechtlich freiwillig erscheinen. Vielen ist die neue Situation nämlich noch nicht bewusst; oft stehen Kinderbetreuungszuschuss oder Fahrtkostenpauschale sogar noch in den Arbeitsverträgen.

Schon arbeiten Steuerberater Strategien aus, wie die Sache gelingen könnte. Die Summen leicht zu variieren und vielleicht auch mal ganz ausfallen zu lassen, schlägt der Starnberger Steuerberater Thomas Roßknecht vor. Das Extra-Geld nicht mit dem monatlichen Lohn, sondern auf einen Schlag am Ende des Jahres auszuzahlen, empfiehlt Marc Krischer. "Im Grunde muss jeder Fall einzeln betrachtet werden. Das bedeutet einen enormen Aufwand für jeden Arbeitgeber, der seinen Mitarbeitern unkompliziert etwas Gutes tun will. Das ist vollkommen unpraktikabel." Nebeneffekt für die Arbeitnehmer: Einmal versprochene Zuwendungen können ihnen jederzeit nach Gutdünken wieder genommen werden. Ist ja alles freiwillig.

Dabei ist fraglich, ob sich viele Unternehmen den Aufwand überhaupt noch antun werden. Das Urteil konterkariere den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, Berufspendler, Internetnutzer und Eltern von Kindergartenkindern steuerlich zu entlasten", meint Sebastian Arendt. Die Summen mögen im Einzelfall überschaubar sein, doch in der Masse käme ein Wegfall der Zuwendungen oder ihre volle Besteuerung einer Gehaltskürzung auf breiter Front gleich. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Martin Wansleben, bezeichnet die derzeitige Rechtslage daher als "kontraproduktiv". Viele Betriebe würden sich in Zukunft "zweimal überlegen, ob sie scheinbar steuerfreie Leistungen überhaupt anbieten".

Zumindest eine Konsequenz aus dem Urteil ist für Wansleben daher klar: "Die Politik muss dringend gesetzliche Klarheit schaffen." Ein Gedanke, auf den auch schon die BFH-Richter gekommen waren: Versteckt in einer Randnotiz des Urteils schreiben sie: "Hier Änderungen vorzunehmen, ist Aufgabe des Gesetzgebers."

© SZ vom 02.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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