Süddeutsche Zeitung

Urteil:Bundesrichter setzen Lobbyisten Grenzen

  • Der DIHK ist der Dachverband der 79 Industrie- und Handelskammern in Deutschland.
  • Er muss sich künftig mit allgemeinpolitischen Aussagen zurückhalten, die nichts mit den Aufgaben der Kammern zu tun haben.

Von Thomas Öchsner

Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Grundsatzurteil der Lobbyarbeit eines der wichtigsten Wirtschaftsverbände in Deutschland Grenzen gesetzt. Danach muss sich der DIHK, der Dachverband der 79 Industrie- und Handelskammern in Deutschland, mit allgemeinpolitischen Aussagen zurückhalten, die nichts mit den Aufgaben der Kammern zu tun haben. Als Beispiel nannte das Gericht kritische Äußerungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) zum Mindestlohn, zur Mütterrente, zur Rente mit 63, zum Hochwasserschutz, zur politischen Lage in Südafrika und zum außenpolitischen Auftreten der Kanzlerin. Alle diese Stellungnahmen seien "nicht mehr von der Kammerkompetenz gedeckt."

Förderung der gewerblichen Wirtschaft

Geklagt hatte vor dem höchsten deutschen Verwaltungsgericht ein Anbieter von Windenergieanlagen, der Mitglied der IHK Nord Westfalen in Münster ist. Dieser war nicht damit einverstanden, dass sich der DIHK 2007 gegen den Ausbau von erneuerbaren Energien und den Ausstieg aus der Kernenergie gewandt hatte. Der Kläger verlangte daher von seiner IHK aus dem DIHK auszutreten und ging dafür den langen Weg durch die Gerichtsinstanzen.

Das Bundesverwaltungsgericht nutzte die Vorlage laut dem nun veröffentlichten Urteil, um die Kammern an ihren Satzungszweck zu erinnern. Diese übernehmen staatliche Aufgaben wie die Abnahme von Prüfungen von Auszubildenden. Dafür sind Industrie- und Handelsunternehmen automatisch verpflichtet, Mitglied einer IHK zu werden und von einer bestimmten Gewinnschwelle an Beiträge zu zahlen. Das Gericht betont, dass den Kammern "bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben keine Grundrechte" zustünden. Sie sollten sich für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft in ihren Bezirken einsetzen. Politisch äußern dürften sie sich aber nur zu Themen, die mit der Wirtschaft im jeweiligen Kammerbezirk zu tun hätten.

"Polemisch überspitzte Stellungnahmen, die auf eine emotionalisierte Konfliktaustragung zielen, sind unzulässig"

Die Kammern seien nicht zuständig für "die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen". Auch "polemisch überspitzte Stellungnahmen, die auf eine emotionalisierte Konfliktaustragung zielen, sind unzulässig". Bei Mehrheitsentscheidungen seien "gegebenenfalls beachtliche Minderheitspositionen darzustellen". Dieser rechtlich enge Rahmen gelte auch für den Dachverband DIHK. Dieser und seine Präsidenten schalten sich wiederholt in politische Debatten ein. Im Moment wird der Verband von Eric Schweitzer geführt. Der DIHK solle sich zurückhaltend artikulieren. Als Negativbeispiel nannten die Richter ein Interview, in dem Klimaschutz mit geringerer Lebensqualität gleichgesetzt wurde, "illustriert durch die polemische Frage, ob wir wieder mit 34 PS über die Alpen nach Italien fahren wollten".

Das Oberverwaltungsgericht Münster muss nun entscheiden, wie es mit der Klage des Windenergiebetreibers weitergeht. Die entscheidende Frage wird dabei sein, ob die Gefahr besteht, dass der IHK-Dachverband sich weiter jenseits der Kammergrenzen betätigt. Die Wirtschaftslobbyisten haben jedoch schon angekündigt: "Der DIHK wird selbstverständlich zukünftig den vom Gericht neu konkretisierten rechtlichen Rahmen einhalten."

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SZ vom 24.06.2016/hgn
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