Bundesarbeitsgericht:Urlaub verjährt nicht

Bundesarbeitsgericht: Bundesrichter regeln neu, wann Urlaub verfällt.

Bundesrichter regeln neu, wann Urlaub verfällt.

(Foto: Jessy Asmus)

Resturlaub verfällt nur, wenn der Arbeitgeber rechtzeitig darauf hinweist. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts könnte weitreichende Folgen für Unternehmen und Arbeitnehmer haben.

Von Benedikt Peters

Es ist eine Entscheidung, die weitreichende Folgen für Firmen und Arbeitnehmer haben könnte: Der Resturlaub eines Beschäftigten kann nicht mehr ohne Weiteres verfallen. Das ergibt sich aus einer Entscheidung, die das Bundesarbeitsgericht am Dienstag getroffen hat. Die Erfurter Richter kippen die bisher gültige Frist, nach der Urlaubsansprüche grundsätzlich nach drei Jahren verjähren.

Die Frist fällt zwar nicht komplett weg, sie gilt aber nur noch unter einer Bedingung: Urlaubsansprüche verfallen nur dann nach drei Jahren, wenn der Arbeitgeber einen Beschäftigten rechtzeitig und persönlich auf seinen Resturlaub hingewiesen und ihn aufgefordert hat, diesen auch zu nehmen. Wenn nicht, dann kann ein Beschäftigter nicht genommene Urlaubstage auch noch nach vielen Jahren einfordern. Womöglich - auch diese Frage steht seit heute im Raum - kann ein Beschäftigter für nicht genommene Urlaubstage auch eine finanzielle Entschädigung verlangen.

Um die Tragweite der Entscheidung zu verstehen, hilft ein Blick ins Bundesurlaubsgesetz. Es legt fest, dass ein Arbeitnehmer grundsätzlich seinen Urlaub nehmen muss, bevor das Kalenderjahr abläuft. In Ausnahmefällen darf er ihn auch bis Ende März des nächsten Jahres nehmen, zum Beispiel, wenn der Arbeitnehmer vorher lange krank oder die Firma auf ihn angewiesen war. Danach erlischt der Urlaubsanspruch - aber nur, wenn der Arbeitgeber den Beschäftigten davor informiert hat, dass bei ihm noch Urlaubstage offen sind, zum Beispiel per Mail oder per Vermerk in der Gehaltsabrechnung. Das haben der Europäische Gerichtshof und das Bundesarbeitsgericht schon vor etwa vier Jahren klargestellt.

Bisher konnten sich deutsche Arbeitgeber aber zusätzlich noch auf eine Verjährungsfrist von drei Jahren berufen. Ansprüche, die länger zurücklagen, waren auch dann nichtig, wenn die Firmen ihre Beschäftigten über deren Resturlaub im Unklaren gelassen hatten. Genau das gilt jetzt nicht mehr. In der Praxis heißt das: Firmen müssen jetzt fürchten, dass viele Arbeitnehmer mit Urlaubsansprüchen zu ihnen kommen, die schon einige Jahre zurückliegen. Sie könnten freie Tage verlangen. Unter bestimmten Umständen können sie statt freier Tage auch Geld fordern.

So war es auch in dem Fall, der zur Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts geführt hat: Geklagt hatte eine Steuerfachangestellte, die über mehrere Jahre Resturlaub angehäuft hatte, ihr zufolge insgesamt 101 Tage. Nachdem sie 2017 aus der Kanzlei ausgeschieden war, verlangte sie für die Urlaubstage eine Entschädigung von 23 000 Euro. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf erkannte ihre Ansprüche weitgehend an, wogegen die Steuerkanzlei vor dem Bundesarbeitsgericht Berufung einlegte - allerdings ohne Erfolg.

Die Frage, die sich aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgericht ergibt, ist nun, ob nicht nur der Urlaubsanspruch nicht verjährt, sondern auch Ansprüche auf finanzielle Entschädigung für nicht genommene Urlaubstage. Darüber will das Bundesarbeitsgericht im Januar entscheiden. Der Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott von der Kanzlei FHM hält es für möglich, dass dann eine Klagewelle auf viele Firmen zurollen könnte. "Die Gefahr sehe ich", sagte er der SZ. Vor Gericht könnte es dann kompliziert werden, denn die Beweislast liegt nach Ansicht führender Arbeitsrechtler bei den Arbeitgebern. Sie müssten dann belegen, dass ihre Angestellten den Urlaub genommen haben oder zumindest rechtzeitig über ihre Ansprüche informiert wurden.

Solche Belege könnten schwierig zu erbringen sein, befürchtet der Arbeitsrechtler Philipp Byers von der Kanzlei Watson Farley & Williams. "Im Einklang mit der Datenschutzgrundverordnung löschen viele Unternehmen recht schnell die Informationen über genommene Urlaube ihrer Mitarbeiter", sagt er. Das gelte insbesondere für die Zeit vor 2018. "Bis zu den damaligen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts konnten die Firmen davon ausgehen, dass die Urlaubsansprüche ihrer Mitarbeiter drei Monate nach Ablauf eines Kalenderjahrs endgültig erloschen waren."

Geprüft werden müsse nun, ob Ansprüche nach vielen Jahren nicht doch verwirkt sein könnten, sagt Byers. "Die Frage ist, ob ein Arbeitnehmer, der seinen Resturlaub jahrelang nicht einfordert, nicht mal dann, wenn er den Arbeitsplatz wechselt, durch sein Verhalten Zustimmung signalisiert." Um solche Fragen zu klären, bedarf es womöglich noch weiterer Gerichtsprozesse - oder aber einer Präzisierung im Gesetzbuch.

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