Urheberrecht:"Größter Humbug war die Behauptung, die Richtlinie könne ohne Upload-Filter umgesetzt werden"

Tabea Rößner MdB Die Grünen Nachhaltigkeit im Film

Die Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner ist Netzexpertin bei den Grünen.

(Foto: Christian Kuhlmann/Tabea Rößner)

Deutschland muss die EU-Urheberrechtsreform umsetzen. Die grüne Netzpolitikerin Tabea Rößner erklärt, warum das alle Nutzer etwas angeht - und was Rezo damit zu tun hat.

Interview von Simon Hurtz, Berlin

Wenige Gesetzgebungsverfahren haben so heftigen Widerstand ausgelöst wie die EU-Urheberrechtsreform. Vor gut einem Jahr wurde die Richtlinie verabschiedet - nach Jahren des Ringens und Feilschens, nach erbitterten Lobbyschlachten und Protesten, die Hunderttausende junge Menschen auf die Straße brachten. Bis Juni 2021 muss Deutschland die Reform in nationales Recht umsetzen. Nun wurde ein Diskussionsentwurf veröffentlicht, der unter anderem klären soll, wie die besonders kontrovers diskutierten Upload-Filter gestaltet werden können. Tabea Rößner, netzpolitische Sprecherin der Grünen, erklärt im Interview, wie sie den Entwurf einschätzt, warum Upload-Filter alternativlos sind und was Rezo mit dem plötzlichen Interesse für das Urheberrecht zu tun hat.

SZ: Das Urheberrecht ist ein komplexes Thema. In Deutschland wird erbittert um Paragrafen, Formulierungen und einzelne Wörter gerungen. Warum sollten sich normale Nutzer dafür interessieren?

Tabea Rößner: Viele Menschen, die in sozialen Netzwerken Inhalte hochladen, könnten mit sogenannten Upload-Filtern in Berührung kommen. Diese Filter prüfen alles, was hochgeladen wird, auf mögliche Urheberrechtsverstöße. Die neuen Regelungen könnten Nutzer darin einschränken, was sie wie hochladen können. Denn die Filter, die es heute schon gibt, sind fehleranfällig. Das könnte Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit gefährden. Es ist ein komplexes Thema, das die Politik verständlich erklären muss.

Können Sie verständlich erklären, warum diese Upload-Filter überhaupt nötig sind?

Der größte Humbug der Urheberrechtsdebatte aus dem vergangenen Jahr war die Behauptung von Union und SPD, die Richtlinie könne national ohne Upload-Filter umgesetzt werden. Mit Artikel 17 haften nun die Plattformen für die Urheberrechtsverstöße durch Nutzer, selbst wenn die Plattformbetreiber keine Kenntnis davon haben. Die Plattformen müssen die Erlaubnis des Rechteinhabers einholen oder "alle Anstrengungen" unternehmen, um sicherzustellen, dass unerlaubt hochgeladene Inhalte nicht verfügbar sind. Angesichts der Masse an Daten, die jede Minute auf den großen Plattformen hochgeladen werden, bleiben nur Upload-Filter.

Das Bundesjustizministerium hat einen Diskussionsentwurf veröffentlicht, der unter anderem regeln soll, wie Upload-Filter gestaltet werden könnten. Was halten Sie davon?

Auf den ersten Blick sieht vieles im neuen Entwurf ganz vernünftig aus, aber die Tücke steckt oft im Detail. Das müssen wir in Ruhe prüfen. Auf jeden Fall ist es positiv, dass Ausnahmen für Karikaturen und Parodien geregelt werden. Damit wurde wohl auf einige der zentralen Sorgen der Protestierenden eingegangen. Aber der pauschale Zusatz, dass die Plattformen ihren Verpflichtungen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nachgehen müssen, kommt mir zum Beispiel immer noch zu vage daher. Mir ist es wichtig, die möglichen negativen Auswirkungen von Upload-Filtern zu minimieren. Dafür wäre etwa ein effektives Beschwerdesystem für Nutzer erforderlich, wenn ihre Inhalte unberechtigterweise geblockt wurden.

Neben Upload-Filtern gibt es ein zweites Reizwort: Leistungsschutzrecht. Suchmaschinenbetreiber sollen Verleger an Einnahmen beteiligen, die sie erzielen, indem sie Presseerzeugnisse verlinken. Google verdient Milliarden, die meisten Medien stecken in der Krise. Was spricht dagegen, einen kleinen Teil der Erlöse umzuverteilen?

In Deutschland gab es bereits 2013 einen ähnlichen Versuch, der sich als untauglich erwiesen hat. Es wurde nicht bedacht, dass die Verlage selbst von der Vorschau profitieren, die Suchmaschinen anzeigen. Das schwächt die Verhandlungsposition der Presseverleger. Nachdem Google die Webseiten nicht mehr in seinen Suchergebnissen berücksichtigte, haben viele Verleger der Suchmaschine eine Ausnahme erteilt. Dann kann man es auch gleich lassen. Bis heute wurde das Leistungsschutzrecht nicht evaluiert. Vermutlich war den Verantwortlichen klar, was sie für ein Desaster produziert haben. Mittlerweile haben die Presseverleger hohe Kosten zu tragen, die ihnen der jahrelange Rechtsstreit mit Google eingebracht hat.

Trotzdem sieht Artikel 15 ein verschärftes Leistungsschutzrecht für die gesamte EU vor. Hat es diesmal bessere Chancen?

Das Leistungsschutzrecht wurde damals auf Druck der Verlage eingeführt, um damit wegbrechende Einnahmen zu kompensieren. Auch diesmal haben Verleger in Berlin und Brüssel dafür lobbyiert. Aber letztlich hat sich das Leistungsschutzrecht nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Staaten als völlig wirkungslos herausgestellt, zumal die Autoren gar nicht davon profitieren. Daher sehe ich keinen Grund, warum es beim zweiten Versuch klappen sollte.

Das Urheberrecht soll es Künstlern, Kulturschaffenden und Journalisten ermöglichen, im digitalen Zeitalter von ihrer Arbeit zu leben. Wer wird von der Neufassung am meisten profitieren: Urheber - oder Verwerter, deren Lobbyvertreter einen großen Einfluss auf die Richtlinie hatten?

Als Gesellschaft haben wir ein Interesse an kultureller Vielfalt auch im Netz. Ob die Urheberrechtsreform dazu beiträgt und wer am Ende am meisten davon hat, können wir heute noch nicht abschließend beantworten. Dafür sind noch zu viele Fragen ungeklärt. Die CDU will etwa einen Passus streichen, der eine Mindestbeteiligung der Urheber an den Einnahmen der Verwertungsgesellschaften vorsieht. Abgesehen von den Urhebern und den Verwertern finde ich es wichtig, auch die Interessen der Nutzer zu berücksichtigen. Die haben keine große Lobby und sitzen bei den wichtigen Diskussionen nicht mit am Tisch. Denn sie sind es ja am Ende, die Inhalte nutzen, lieben und weiterverbreiten. Der Fokus richtet sich naturgemäß auf die umstrittenen Punkte. Viele der neuen Regelungen bringen aber eine deutliche Verbesserung für alle.

Die EU-Urheberrechtsreform hat große Proteste ausgelöst. Erwarten Sie, dass die deutsche Umsetzung ähnliche Aufmerksamkeit bekommt, sobald es konkreter wird?

Ja, das denke ich schon. Die angeblich so desinteressierten jungen Menschen haben sich im Zuge der Proteste breit politisiert. Da standen Tausende Menschen auf der Straße und haben auf Social Media oder bei Youtube intensiv über das Urheberrecht diskutiert. Ich glaube, dass das nachhaltig war. Denken Sie an Rezo, der sich in die Debatte über die Upload-Filter eingebracht hat. Jetzt ist er eine wichtige Stimme im politischen Diskurs, viele junge Menschen fühlen sich von ihm vertreten. Ich hoffe, dass wir auch bei der nationalen Umsetzung der Richtlinie so eine lebendige Diskussion bekommen.

Manchmal war der Ton auf beiden Seiten etwas mehr als nur lebendig.

Das stimmt, die Fronten zwischen den verschiedenen Positionen waren verhärtet. Teilweise wurden extrem scharfe und nicht immer zutreffende Vorwürfe in beide Richtungen gemacht. Auch wir Grüne hatten heftige interne Diskussionen. Mir ist es wichtig, dass wir konstruktiv debattieren. Deswegen haben wir Grüne bereits im Januar mit unserem Gutachten erste Vorschläge vorgelegt. Die Umsetzung sollte zu einem fairen Ausgleich zwischen allen Beteiligten führen.

Wie können normale Nutzer und Kreative in den kommenden Monaten auf die nationale Umsetzung Einfluss nehmen, wenn sie ihre Interessen berücksichtigt sehen wollen?

Jeder kann eine Stellungnahme zum Diskussionsentwurf der Bundesregierung abgeben oder sich direkt an die Fraktionen und Abgeordneten wenden. Es empfiehlt sich, wenn sich Einzelne in Interessenvertretungen zusammenschließen, da sie so mehr Gewicht in der politischen Debatte gewinnen können. Sicherlich werden wir auch wieder viel in der Presse, auf Blogs, in Youtube-Videos und anderen Formaten über die Einzelheiten der Reform diskutieren. Ich freue mich auf alle, die sich in den konstruktiven Austausch einbringen.

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