Urheberrecht:Das Netz-Gesetz

Protest gegen neues Urheberrecht

Tausende haben in den vergangenen Wochen wie hier in Berlin gegen das neue Urheberrecht demonstriert. Sie fürchten Upload-Filter.

(Foto: Paul Zinken/dpa)

Die umstrittene Neuregelung des Urheberrechts in Europa kommt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Simon Hurtz

Eines der umstrittensten europäischen Gesetzgebungsverfahren könnte nun die letzte Hürde genommen haben: Nach Jahren des Ringens und Feilschens, immer neuen Volten und einer erbitterten Auseinandersetzung von Lobbyisten hat der EU-Ministerrat der "Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt" zugestimmt. Ihre Befürworter sagen, die Reform schaffe einen fairen Ausgleich zwischen Urhebern und Plattformen und garantiert, dass Künstler und Kreative mehr Geld für ihre Arbeit erhalten. Die Richtlinie bedrohe das freie Netz, stärke die Macht der großen Plattformen und nütze eher den Verwertern wie Verlagen und Plattenlabels als den Urhebern, sagen dagegen die Gegner der Reform.

In jedem Fall stirbt das Internet an diesem Montag noch nicht - und es wird auch noch ein paar Jahre weiterleben. Richtlinien gelten nicht unmittelbar in der ganzen EU, sondern müssen von den Mitgliedstaaten jeweils erst in nationales Recht umgesetzt werden. Warum dennoch so viele Menschen Angst vor der Reform haben - und wie es jetzt weitergeht:

Warum ist die Reform so umstritten?

Im Zentrum der Kritik stehen drei Artikel: 15, 16 und 17 (in früheren Gesetzestexten als 11, 12 und 13 gelistet). Artikel 15 besagt, dass Suchmaschinen und andere Nachrichten-Aggregatoren Presseverlage bezahlen sollen, wenn sie kurze Ausschnitte aus deren Artikeln anzeigen. Vergleichbare Gesetze gibt es bereits in Deutschland und in Spanien. Sie gelten als gescheitert und waren für Medien wegen der Gerichtskosten sogar ein Verlustgeschäft. Große Verlage haben jahrelang für das sogenannte Leistungsschutzrecht gekämpft und dabei teils mit zweifelhaften Argumenten argumentiert.

Auch Artikel 16 kommt ausschließlich den Verwertern und nicht den Urhebern zugute. 2016 hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort Einnahmen ausschließlich an die Urheber und nicht mehr an die Verlage ausschütten müssen. Artikel 16 würde die Verlegerbeteiligung in Deutschland nun wieder einführen - und damit vor allem freien Journalisten schaden, weil sie entsprechend geringere Ausschüttungen erhielten.

Die heftigsten Proteste gab es gegen Artikel 17. Hunderttausende Menschen gingen gegen (damals noch) Artikel 13 auf die Straße. Sie fürchten, dass die dort formulierten Regelungen auf sogenannte Upload-Filter hinauslaufen, mit denen Plattformen alle Inhalte, die Nutzer ins Netz stellen wollen, vorab durchleuchten. Solche Software könnte massenhaft Uploads zu Unrecht blockieren, weil Maschinen Fehler machen und nicht in der Lage sind, treffsicher legale von illegaler Nutzung zu unterscheiden. Das Zitatrecht beispielsweise erlaubt es, unter bestimmten Voraussetzungen urheberrechtlich geschützte Inhalte zu nutzen.

Außerdem könnte der Filterzwang die Vormachtstellung von großen Plattformen wie Youtube stärken: Kleinere Wettbewerber wären nicht in der Lage, eigene Filter zu entwickeln, und müssten die Software einkaufen.

Aber in der Richtlinie steht doch nichts von Upload-Filtern?

"Das Wort Upload-Filter kommt in diesem Artikel 17 gar nicht vor", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Fragestunde des Bundestags. Das Argument war in den vergangenen Monaten immer wieder zu hören: Artikel 17 zwinge die Plattformen nicht ausdrücklich zum Filtern. Sie könnten doch einfach Verträge mit den Rechteinhabern abschließen, um deren Inhalte legal nutzen zu können.

Was in der Theorie möglich erscheint, dürfte sich praktisch nicht konsequent umsetzen lassen. Vielleicht einigt sich Youtube mit der Gema und erhält damit auf einen Schlag Lizenzen für viele Tonaufnahmen. Aber auch damit hätte die Plattform noch keine umfassende Rechtssicherheit, weil die Gema nicht alle Urheber vertritt. Und für Texte, Fotos und Videos gibt es keine zentrale Verwertungsgesellschaft, jede Plattform müsste Tausende Einzelverträge aushandeln. Für Youtube wäre das schwierig - für kleinere Betreiber dürfte es geradezu unmöglich sein. Deshalb warnen etwa fast 500 Online-Foren vor den Auswirkungen von Artikel 17.

Die Richtlinie verlangt von allen kommerziellen Plattformen, die nutzergenerierte Inhalte veröffentlichen, dass diese "nach Maßgabe hoher branchenüblicher Standards für die berufliche Sorgfalt alle Anstrengungen" unternehmen, um Urheberrechtsverletzungen zu verhindern. Andernfalls haften die Betreiber. Die einzige Möglichkeit, um das zu verhindern, sind wohl Upload-Filter.

Wie werden die Plattformen jetzt mit der neuen Rechtslage konkret umgehen?

Anfang April machten Aussagen von Emmet Shear, dem Chef der Livestreaming-Plattform Twitch, die Runde im Netz: In mehreren Interviews hatte er gewarnt, dass sich Twitch durch die europäische Reform gezwungen sehe, Upload-Filter einzusetzen. Man erwäge sogar Geoblocking: "Wenn jemand in den USA streamt, werden die europäischen Nutzer aus dem Stream herausgefiltert", sagte Shear. Die Aufregung im Anschluss war groß - und übertrieben. Später stellte Twitch klar, dass Shear keine konkreten Maßnahmen für die Nutzer angekündigt habe. Er habe nur darüber informieren wollen, welche Konsequenzen die Urheberrechtsreform haben könnte. Die Mitgliedstaaten müssten zunächst daran arbeiten, die Richtlinie umzusetzen. Das Unternehmen werde "clevere Lösungen" für Nutzer in Europa entwickeln.

Twitch dürfte mit dieser Haltung stellvertretend für viele Plattformen stehen: nichts überstürzen, erst mal abwarten. Noch ist unklar, wie die Vorgaben der Reform genau in nationales Recht gegossen werden. Bis sich für Nutzer etwas ändert, wird es also dauern - und womöglich sind die Veränderungen dann nicht von Dauer: Mehrere Parteien und Organisationen haben bereits Klagen angekündigt. Bereits 2012 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) Upload-Filter für grundrechtswidrig erklärt.

Wie stark wird sich das Netz verändern?

Das lässt sich derzeit schwer vorhersagen. Die Auswirkungen könnten weniger gravierend sein, als viele Gegner befürchten. Klar ist, dass es der EU nicht um gezielte politische Zensur geht. Ziel der Reform ist es nicht, Meinungen zu unterdrücken, sondern Geld umzuverteilen: von den Plattformen weg, hin zu den Kreativen. Viel deutet aber darauf hin, dass in erster Linie die Musik-, die Film- und die Medienindustrie profitieren, also große Verlage, Labels, Studios und Verwertungsgesellschaften. Dass es also vor allem eine Reform für die Verwerter und nicht für die Urheber ist.

Bereits heute sind Upload-Filter im Einsatz. Microsofts Photo-DNA beispielsweise erkennt und sperrt Aufnahmen von Kindesmissbrauch. Das klappt relativ zuverlässig, allerdings ist die Entscheidung auch deutlich einfacher: Kinderpornografie ist immer illegal. Urheberrechtlich geschützte Inhalte dagegen können auch legal genutzt werden. Auch deshalb löscht Youtubes Filtersystem Content-ID regelmäßig zu Unrecht Uploads - obwohl Google nach eigenen Angaben mehr als 100 Millionen Dollar in die Technik investiert hat. Es lässt sich also vermuten, dass noch weitreichendere, komplexere Filter noch mehr Fehler machen werden.

Neben diesen bekannten Systemen gibt es weitere Anbieter von Filtersoftware. Spiegel Online beispielsweise hat mit mehreren Unternehmen gesprochen, deren Produkte bereits im Einsatz sind. Den Herstellern zufolge arbeitet die Software "extrem akkurat". Die Zahl der zu unrecht beanstandeten Inhalte liege "faktisch bei null", heißt es. Das klingt gut, es bleiben aber Fragen: Erstens sind es nur Behauptungen, die sich nicht überprüfen lassen. Zweitens führt auch eine sehr geringe Fehlerrate angesichts der Masse an Uploads in absoluten Zahlen zu vielen unrechtmäßigen Sperrungen. Und drittens mag die Software einzelne Werke zuverlässig erkennen, aber für das Zitatrecht ist sie nicht geschaffen. Wenn Nutzer einen urheberrechtlich geschützten Inhalt legal in eine Parodie oder Rezension einbetten, schlägt die Maschine trotzdem an.

Die Richtlinie nimmt solche Fälle zwar aus, schweigt sich aber darüber aus, wie sich das technisch umsetzen lassen soll. Das Gesetz kann die Software nicht besser machen, als sie ist. Um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, könnten Plattformen deshalb eher zu viel als zu wenig filtern. Schließlich drohen Strafen nur für illegale Inhalte, die online bleiben - nicht aber für legale Inhalte, die fälschlicherweise gelöscht werden.

Was müssen die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten jetzt tun?

Im Gegensatz zu Verordnungen treten Richtlinien nicht unmittelbar in Kraft. Deutschland und die anderen EU-Mitgliedstaaten haben nun zwei Jahre Zeit, um die Vorgaben in ihr nationales Recht umzusetzen. Dabei haben sie gewisse Freiheiten, dürfen den Kern der Richtlinie aber nicht verändern.

Artikel 17 sieht etwa Ausnahmen für Plattformen vor, die jünger als drei Jahre sind und zugleich höchstens zehn Millionen Euro pro Jahr umsetzen. Diese Bestimmungen müssen sich auch in der nationalen Gesetzgebung wiederfinden. Damit will die EU verhindern, dass ein Flickenteppich aus unterschiedlichen Einzelgesetzen entsteht. Vor allem bei einer Richtlinie, die den digitalen Raum betrifft, wäre das unsinnig: Das World Wide Web interessiert sich nicht für Staatsgrenzen.

Was macht Deutschland?

Im Koalitionsvertrag hatte sich die Bundesregierung noch explizit gegen verpflichtende Upload-Filter ausgesprochen. Zumindest auf Seiten der Union ist davon wenig übrig geblieben. Die CDU-Abgeordneten haben im EU-Parlament für die Reform gestimmt. Mitte März hat die deutsche CDU zwar einen vermeintlichen Kompromissvorschlag veröffentlicht, mit dem sie Upload-Filter in Deutschland verhindern will. Tatsächlich wird das Papier aber wenig an den Vorgaben der EU ändern. Auch EU-Kommissar Günther Oettinger, ebenfalls von der CDU und einer der Väter der Richtlinie, sagt, dass nationale Alleingänge nicht möglich seien.

Die Zerrissenheit der SPD drückt sich in der Person von Justizministerin Katarina Barley aus: Sie ist parallel Spitzenkandidatin für die Europawahl und hat sich persönlich mehrfach gegen Upload-Filter ausgesprochen. Dennoch billigte das Justizministerium die Reform, während ein Großteil der SPD-Europaparlamentarier dagegen stimmte. Anfang April löste Barley zusätzliche Verwirrung aus: Sie schlug vor, dass Deutschland in Brüssel die Reform durchwinken, aber eine Protokollerklärung abgeben solle. Demnach werde sich die Bundesregierung "bei der Umsetzung des Artikels 17 von dem Ziel leiten lassen, ohne das Instrument ,Upload-Filter' auszukommen". Obwohl das genau dem entspricht, was die Union seit einem Monat öffentlich verspricht, wurde bis kurz vor der Abstimmung heftig um die Protokollerklärung gerungen.

Wieso ist der Streit um die Reform derart eskaliert?

Unabhängig davon, was man inhaltlich von der Urheberrechtsreform hält, gibt es einen kleinsten gemeinsamen Nenner, auf den sich beide Seiten einigen können: Der Tonfall, in dem in den vergangenen Monaten gestritten wurde, war beschämend. Auf Seiten der Reformgegner gab es Fanatiker, die prominente Befürworter wie Verhandlungsführer Axel Voss (CDU) bepöbelten und massiv bedrohten. Insgesamt war die Stimmung im Netz oft grenzwertig, manchmal wurden Grenzen überschritten.

Das wiederum nahmen die Befürworter der Reform zum Anlass, alle Kritiker pauschal zu diskreditieren. Sie taten so, als käme der Protest nur von wütenden Teenagern aus dem Netz, die einer perfiden Youtube-Kampagne aufgesessen seien und nicht selbst denken könnten. Von einem "Mob", von "Bots" und "gekauften Demonstranten" war die Rede. Diese Attacken ignorierten, dass fünf Millionen Menschen Petitionen unterzeichneten und Hunderttausende demonstrierten. Widerstand kam auch von Juristen, Informatikern, Datenschützern, Verbraucherschützern, Netzpolitikern und profilierten Urheberrechtsexperten.

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