Urheberrecht:Die Geister, die die Musikindustrie rief

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Kann vielleicht bald weniger Parodien im Netz sehen: mutmaßlicher Satire-Fan mit seinem Smartphone. (Foto: Vasily Pindyurin/imago)

Verbände und einige Musiker klagen über die Konsequenzen eines Urheberrechts-Gesetzes, das sie selbst mit ihrer Lobbyarbeit herbeigeführt haben. So kehrt auch die Debatte um Uploadfilter wieder.

Gastbeitrag von Julia Reda

Die Bundesregierung ringt um die Umsetzung eines EU-Gesetzes, das bei vielen im Netz äußerst unpopulär ist. Dabei bekommt die deutsche Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie nun Gegenwind aus einer unerwarteten Richtung: Jahrelang hatte die Musikindustrie in Brüssel für die Verschärfung des Urheberrechts getrommelt. Vergangenes Jahr bekam sie ihren Willen, als das Europaparlament trotz Massenprotesten die neue Urheberrechtsrichtlinie verabschiedete. Nun wendet sich die Branche allerdings gegen die deutsche Umsetzung. Der Streit offenbart den Unwillen der Industrie und einiger Künstler, ihre kommerziellen Interessen mit der Meinungsfreiheit in Einklang zu bringen.

Ein Brief des Branchenverbands VUT, der von zahlreichen Bands unterschrieben wurde, fordert Rechtsvorschriften, die dazu führen würden, dass urheberrechtlich geschützte Werke automatisch gesperrt würden - selbst dann, wenn sie gar nicht gegen das Urheberrecht verstoßen. Diese Radikalposition ignoriert, was auf EU-Ebene bereits beschlossen wurde.

Im Frühjahr 2019 gingen mehr als 100 000 Menschen gegen die EU-Urheberrechtsreform auf die Straße. Die geplanten Uploadfilter, mit denen Online-Plattformen automatisiert bestimmte Inhalte blockieren sollen, beschäftigten wochenlang die Medien. Im Ministerrat verhalf die Stimme der Bundesregierung der Richtlinie zur Mehrheit. Und dass, obwohl im Koalitionsvertrag vereinbart war, Uploadfilter als unverhältnismäßig abzulehnen. Bei der Europawahl trug der Widerstand dann zu historisch schlechten Wahlergebnissen von SPD und Union bei. Vor allem junge Wähler und Wählerinnen fühlten sich von der großen Koalition verraten.

Eigentlich wollte die Bundesregierung ihren Entwurf zur Umsetzung der Urheberrechtsreform diese Woche im Kabinett beschließen, damit der Bundestag diese im Frühjahr verabschieden kann, noch vor dem Bundestagswahlkampf. Aber weil nun Musikindustrie und Presseverlage gegen den Vorschlag mobil machen, hat die Bundesregierung das Thema vertagt. Dabei muss die EU- Urheberrechtsrichtlinie bis nächsten Sommer in nationales Recht umgesetzt sein.

Die Proteste des vergangenen Jahres sind aber nicht folgenlos geblieben. Artikel 17 verpflichtet Plattformen zwar zur bestmöglichen Sperrung von Urheberrechtsverletzungen. Gegen Ende des Gesetzgebungsverfahrens wurden aber wichtige Schutzvorkehrungen für die Grundrechte der Nutzer und Nutzerinnen ergänzt, da die Mehrheit für das Vorhaben im Europaparlament wegzubrechen drohte.

Das Internet lebt von der Remixkultur

Uploadfilter sind jene Algorithmen, die Plattformen einsetzen müssten, um die Unmengen an hochgeladenen Inhalten auf Urheberrechtsverletzungen zu durchleuchten. Wissenschaft, Influencerinnen und Menschenrechtsgruppen hatten einhellig kritisiert, dass sie systematisch auch legale Beiträge sperren würden. Besonders gefährdet sind gesetzlich erlaubte Nutzungen von Inhalten, die Uploadfilter nicht als solche erkennen können. Zentral für die Meinungs- und Kunstfreiheit sind etwa das Zitatrecht, die Parodiefreiheit oder auch der Pastiche, bei dem geschützte Inhalte kreativ kombiniert oder in einen neuen Kontext gesetzt werden. Zum Pastiche zählt etwa das Sampling in der Musik oder die Verwendung von Bildern aus der Popkultur, um das politische Tagesgeschehen zu kommentieren.

Das Internet lebt von dieser Remixkultur: "Rettet die Memes" war eine zentrale Forderung der Demonstrierenden. Das zeigte Wirkung: Zitat, Parodie und Pastiche sind zukünftig in allen EU-Mitgliedstaaten erlaubt. Artikel 17 wurde um die Vorschrift ergänzt, dass im Zuge der Sperrung von Urheberrechtsverletzungen keinerlei legale Nutzungen gesperrt werden dürfen. Dieser Kompromiss wird nun von der Musikindustrie geflissentlich ignoriert.

Über die Autorin: Julia Reda leitet bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. das Projekt control ©, das sich mit dem Schutz von Grundrechten im Spannungsfeld mit dem Urheberrecht beschäftigt. Von 2014 bis 2019 war sie Mitglied des Europäischen Parlaments. Fokus ihrer politischen Arbeit war die EU-Urheberrechtsreform, die sie als Vertreterin der Grünen/EFA-Fraktion mitverhandelt hat. (Foto: CC BY Diana Levine)

Die schwierige Frage, wie Plattformen die widersprüchlichen Anforderungen in der Praxis befolgen sollen, hat die EU den nationalen Gesetzgebern zugeschoben. Klar ist: Ein Uploadfilter kann nicht zwischen einer Urheberrechtsverletzung und einer legalen Parodie unterscheiden. Selbst die beste "künstliche Intelligenz" ist weit davon entfernt, Sinn für Humor zu entwickeln. Nun hat die Bundesregierung die undankbare Aufgabe, einerseits die bestmögliche Sperrung von Urheberrechtsverletzungen zu erreichen, andererseits die legalen Nutzungen zuverlässig vor fälschlichen Sperrungen zu schützen.

Der Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums stellt niemanden gänzlich zufrieden. Er bricht mit dem Versprechen der Bundesregierung, "Uploadfilter nach Möglichkeit zu verhindern". Zumindest enthält der Entwurf aber Ansätze, um die Zahl fälschlicher Sperrungen zu verringern. Da Uploadfilter die qualitative Entscheidung, ob ein Upload ein legales Zitat oder eine Parodie enthält, nicht treffen können, schlägt das Justizministerium quantitative Grenzen vor: Enthält ein Upload weniger als 20 Sekunden eines fremden Videos oder Liedes beziehungsweise 1000 Zeichen eines fremden Textes, gilt diese Nutzung als "mutmaßlich erlaubt" und darf nicht automatisch gesperrt werden. Bis zur Überprüfung durch einen Menschen bleiben diese Inhalte online, und Plattformen müssen dafür Gebühren bezahlen.

Trotzdem werden legale Inhalte gesperrt werden. Nicht alle Nutzungen, die über dieser Bagatellgrenze liegen, sind illegal. Mitunter könnten vermeintliche Rechteinhaber oder Rechteinhaberinnen sogar Inhalte sperren lassen, an denen sie gar keine Rechte haben. Aber immerhin ist der Vorschlag quantitativer Bagatellgrenzen der Versuch eines Kompromisses. An die Stelle der automatischen Sperrung tritt zumindest für knappe Nutzungen die Pflicht der Plattformen zur Vergütung. Gerade deshalb ist die Fundamentalopposition der Musikindustrie gegen diesen Vorschlag nicht nachvollziehbar. Sie hatte doch stets beteuert, es gehe ihr nicht um Filter, sondern um Bezahlung.

Natürlich bedeutet der Kompromiss, dass nicht alle Beiträge, die Urheberrecht verletzen, automatisch gesperrt werden. Nur so kann ein Grundrechtsausgleich gelingen. Der Europäische Gerichtshof befasst sich bereits mit der Frage, ob die automatische Sperrung von potentiell legalen Inhalten durch Artikel 17 überhaupt mit dem Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit vereinbar ist. Die EU-Institutionen verteidigen die Regelung in dem Gerichtsverfahren mit dem Argument, die Mitgliedstaaten seien verpflichtet, die Sperrung legaler Inhalte zu verhindern. Wie Goethes Zauberlehrling klagt die Musikindustrie also über die Geister, die sie rief: über die Konsequenzen des Gesetzes, das sie selbst mit ihrer Lobbyarbeit herbeigeführt hat. Eine deutsche Umsetzung, die - wie von der Industrie gefordert - keinen wirksamen Schutz legaler Inhalte vorsieht, wäre aber schlicht europarechtswidrig.

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