Die letzte Bastion der Atombranche in Deutschland steht nur einen Steinwurf von der niederländischen Grenze entfernt. Moore, Wassertürme, ein Tierpark in der Nachbarschaft - die streng gesicherte Fabrik von Urenco wirkt am Rande der westfälischen Kleinstadt Gronau wie ein falsch geparktes Raumschiff. Nur ein winziges Logo verrät, worum es jenseits der Sicherheitsschleusen geht: "Enriching the Future - die Zukunft anreichern".
Hinter der Pforte öffnet sich Besuchern das weitläufige Areal einer nuklearen Weltmacht. In großen Hallen macht der Konzern hier seit 1985 aus Natur-Uran strahlenden Brennstoff für Atomkraftwerke. Mit einem Weltmarktanteil von 31 Prozent gehört das deutsch-niederländisch-britische Unternehmen zu den wichtigsten Ausstattern der Anlagen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit sorgt Urenco damit dafür, dass Deutschland weiter eine wichtige Rolle in der Kernkraft spielen könnte - auch über den Ausstieg 2023 hinaus.
Doch mit der Verschwiegenheit dürfte es in der westfälischen Provinz bald vorbei sein. Geheimdienste, Spitzenpolitiker, Hedgefonds und selbst Schurkenstaaten interessieren sich in diesen Tagen gleichermaßen für die Firma, die neben der in Gronau noch Anlagen in den Niederlanden, Großbritannien und den USA betreibt. Der Grund: Die Eigentümer, je zu einem Drittel die deutschen Versorger RWE und Eon, Großbritannien und die Niederlande, wollen die Firma an Investoren verkaufen - ein Angebot, wie es im globalen Firmen-Monopoly nicht alle Tage auftaucht. Urenco verfügt über höchst sensibles Wissen: den Schlüssel zur Atombombe.
Von einem Kaufpreis von bis zu zehn Milliarden Euro ist die Rede
Wer ein paar Milliarden lockermachen kann, darf bis Ende Dezember mitbieten, wenn Staaten und Konzerne einen neuen Investor suchen. Unmöglich? Investmentbanken sehen das anders. Gerade wurden Interessenten um Gebote bis Jahresende gebeten. Wie es heißt, wolle man zunächst das Interesse am Markt ausloten. Von einem erhofften Kaufpreis von bis zu zehn Milliarden Euro ist die Rede. Für Fachleute ein Schreckensszenario: "Zum Verkauf steht der einfachste Weg zur Atombombe", sagt Michael Sailer vom Öko-Institut in Darmstadt, der die Bundesregierung als Chef der Entsorgungskommission und Mitglied der Reaktorsicherheitskommission berät.
Finanzkreisen zufolge ist die Liste der Interessenten bereits so lang wie die seriöser und unseriöser Atomfans aus aller Welt. Neben dem kanadischen Uranhändler Cameco, dem japanisch-britischen Anlagenbauer Toshiba Westinghouse und Areva aus Frankreich werden Hedge- und Investmentfonds wie KKR, Blackstone oder Apax gehandelt. Auch in Hongkong, Indien und dem Nahen Osten soll man ein Auge auf die Firma geworfen haben. Von möglicherweise fragwürdigen Milliardären und Staaten ist die Rede.
Wer mehr über die Firma erfahren will, bekommt in Gronau eine Ahnung von der Kraft des Urenco-Knowhows. Wie bei einer Salatschleuder befördern Spezialisten Uranmoleküle in den mehrere Meter langen und zwanzig Zentimeter breiten Zentrifugen in bis zu tausend Umdrehungen pro Sekunde an den Rand der Röhren. In der Mitte saugen sie seltene Uran235-Isotope ab. Hunderte dieser Zentrifugen werden zu sogenannten Kaskaden zusammengeschaltet. So entsteht angereichertes Uran für Brennelemente. Wiederholt man den Prozess nur oft genug, wird daraus strahlendes Material zum Bombenbau.
Experten gehen davon aus, dass allein in Gronau in wenigen Wochen genug hoch angereichertes Uran für eine Atomwaffe entstehen könnte. Kein Wunder, dass die Urenco-Eigentümer den Verkauf am liebsten diskret und ohne großes Aufsehen abwickeln würden. Denn geben die beteiligten Staaten ihre Kontrollmehrheit ab, werde es immer schwieriger, die Technik vor unerlaubtem Zugriff zu schützen, glaubt Öko-Institut-Chef Sailer. "Ich finde es unverantwortlich, eine Technologie mit solcher Zerstörungskraft dem Markt zu überlassen." Besonders große Sorgen bereitet Kritikern der Verkaufspläne ein möglicher Börsengang von Urenco. Denn dann, warnen Experten, könnte sich praktisch jeder - und sei es über Strohfirmen - die Anteile an der Zentrifugenfirma sichern.
Dabei hatte die internationale Politik über Jahre erfahren müssen, was es bedeutet, die Kontrolle über die Technik dieser Firma zu verlieren. Klar machte das ein spektakulärer Vorfall aus den Siebzigerjahren. Der pakistanische Forscher Abdul Kadir Khan nutzte sein Wissen aus der Tätigkeit für die Zentrifugenfirma und war am Bau von Atomwaffen in Pakistan beteiligt. Er gilt als Vater des Atomprogramms seiner Heimat. Später verschacherte er sein Wissen an die Regime in Libyen, Nordkorea und Iran. Mit den Folgen kämpft die Welt noch heute.
Dennoch wird in der Szene schon seit Wochen über einen Verkauf der Firma spekuliert. Nun ist klar: Ein neuer Eigentümer bekäme wohl große Macht über Urenco. Alle drei Parteien sind zu einem Komplettverkauf bereit. Eon und RWE verkünden offen, dass sie ihre Anteile verkaufen wollen. Vertrauliche Dokumente aus den Niederlanden machen klar, wie weit die Pläne auch in London und Den Haag reichen. Er wolle über sein Vorhaben unterrichten, "die an der Urenco Ltd gehaltenen Anteile zu veräußern", offenbart Finanzminister Jeroen Dijsselbloem in einem Brief an Parlamentspräsidentin Anouchka van Miltenburg. Auch das Vereinigte Königreich habe solche Pläne bekundet.
Es geht darum, den Wert zu maximieren
Für die Politik ist klar: Beim Verkauf der Kontrollbeteiligung lasse sich ein höherer Preis erzielen als bei einer Minderheitenbeteiligung, schreibt Dijsselbloem. Dem Wert sei zudem vermutlich am besten dadurch gedient, dass parallel an einem Privatverkauf und einem Börsengang gearbeitet werde, heißt es weiter. Es gehe jetzt darum, den Wert über den Wettbewerbsdruck zu maximieren.
Maximaler Profit also statt maximaler Sicherheit?
Geheuer scheinen die Verkaufspläne auch der Bundesregierung nicht. Sie schaltete ihre Geheimdienste ein. "Im Rahmen der möglichen Veräußerung von Urenco-Anteilen beteiligt die Bundesregierung den Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Verfassungsschutz", lässt Staatssekretär Rainer Baake aus dem Wirtschaftsministerium Parlamentarier wissen. "Dies geschieht im Hinblick auf den Diensten möglicherweise vorliegende Erkenntnisse über potenzielle Anteilserwerber", heißt es in dem Schreiben vom August. Auch niederländische und britische Geheimdienste und Terrorismusbekämpfer sollen eingebunden sein.
In der deutschen Hauptstadt wächst dennoch die Sorge angesichts immer konkreterer Verkaufspläne. "Jede Weitergabe von Wissen in der Urananreicherungstechnologie erhöht auch das Wissen bei der Atomwaffentechnologie", warnt Sylvia Kotting-Uhl, atompolitische Sprecherin der Grünen. Die Regierung müsse ihr Veto einlegen, um gegen den Verkauf zu stimmen, fordert Kotting-Uhl.
Berlin könnte den Deal stoppen - doch dann droht Ärger
Tatsächlich könnte Berlin den Deal noch stoppen. Großbritannien, die Niederlande und Deutschland müssen den Urenco-Verträgen zufolge zustimmen, wenn sich die Unternehmensstruktur ändert. Das wäre beim Verkauf der Fall. Bei einer Blockade droht der Bundesregierung jedoch erneut juristischer Atomärger. Denn die verkaufswilligen Eigentümer könnten vor ein Schiedsgericht ziehen.
Auch Eon räumt ein: "Aufgrund der Geschäftsaktivitäten von Urenco" sei bei einem Verkauf "die Nichtverbreitung von kernwaffenfähigem Material sicherzustellen". Um zu verhindern, dass totalitäre Regime oder Terroristen in den Besitz von hoch angereichertem Uran kommen, arbeiten die Regierungen am Verkauf unter strengen Auflagen. Den Haag, London und Berlin wollen sich etwa Mitsprache bei der Auswahl von Vorständen und die Kontrolle über den Verkauf von angereichertem Uran zusichern lassen.
Doch reicht das aus? Bei den Kritikern bleiben große Zweifel. "Das Problem ist möglicherweise nicht der nächste, sondern der übernächste Eigentümer", sagt Regierungsberater Sailer. "Wir wissen nicht, was in 20 Jahren aus der Firma wird. Wer wird sie dann gekauft haben oder betreiben?" Berlin meldet bereits erste Zweifel an. "Die Bundesregierung hat die Verkaufsabsichten zur Kenntnis genommen", teilt das Wirtschaftsministerium distanziert mit. Man werde nur zustimmen, wenn ein "angemessener Rechtsrahmen" erreicht ist. So müsse die nukleare Nichtverbreitung sichergestellt sein.
Den beteiligten Politikern wie dem niederländischen Finanzminister Dijsselbloem ist eines in den Verhandlungen immerhin längst klar geworden: "Urenco ist kein gewöhnliches Unternehmen."