Demos gegen Upload-Filter:Dieser Protest könnte Artikel 13 stoppen

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Allein in Berlin sollen es etwa 30 000 Menschen sein, die gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform auf die Straße gehen. (Foto: AFP)

Wohl mehr als hunderttausend Menschen demonstrieren in ganz Deutschland gegen die Urheberrechtsreform. Wer sind sie und was wollen sie? Eindrücke aus Berlin.

Von Simon Hurtz, Berlin

"Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen", sagte der Komiker Karl Valentin. Zu dieser Reform wurde alles gesagt, und das auch von allen. Mehrfach. Seit Monaten streiten Gegner und Befürworter, ob die geplante Urheberrechtsrichtlinie die Rechte der Künstler und Kreativen stärkt - oder ein Geschenk für Musik-, Film und Verlagslobby ist und das freie Netz gefährdet. Die Fronten laufen quer durchs EU-Parlament und spalten sogar einzelne Fraktionen. Auch in dieser Redaktion gibt es sehr unterschiedliche Meinungen zum besonders umstrittenen Artikel 13.

Wer an diesem Samstag in Berlin die Demonstration gegen Artikel 13 begleitet und mit Teilnehmern spricht, erfährt inhaltlich also garantiert nichts Neues. Wichtig sind drei Fragen: Wie viele? Wer und warum? Was jetzt?

Wie viele Menschen demonstrieren gegen die Reform?

Sich auf eine exakte Teilnehmerzahl festzulegen, ist heikel: Meist weichen die Angaben von Veranstaltern und Polizei massiv voneinander ab. Eines ist aber jetzt schon klar: Es sind viel mehr Menschen gekommen, als sich die Organisatoren erhofft hatten. In Berlin muss der Demonstrationszug die Route ändern, weil die Straßen zu schmal sind. Die Menschenmassen überraschen auch die Polizei, wie sie selbst bekanntgibt. "Ich habe viele netzpolitische Demonstrationen in Berlin erlebt", schreibt Netzpolitik-Gründer Markus Beckedahl . "Von der Vorratsdatenspeicherung über Zensursula bis Acta. Diese Demo gegen Uploadfilter ist größer als die früheren."

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Allein in Berlin sollen es etwa 30 000 Teilnehmer sein. In München gehen wohl noch mehr Menschen auf die Straße. Hinzu kommen Dutzende Demos in anderen Städten mit jeweils mehreren tausend Teilnehmern. Insgesamt beteiligen sich wohl mehr als 100 000 Menschen in ganz Deutschland. Auf Facebook hatten für München und Berlin jeweils rund 2000 Menschen zugesagt - die Generation Youtube organisiert sich anders.

"Mir scheint, viele betrachten die Möglichkeiten des Digitalen als Lebensinhalt", sagt Verhandlungsführer Axel Voss (CDU), der die Reform seit Jahren vorantreibt. Genau das tun die Menschen, die am Samstag auf die Straße gehen. Sie unterscheiden nicht mehr zwischen Online- und Offline-Leben. Was im Netz passiert, ist für sie genauso real und wichtig wie der analoge Raum. Deshalb demonstrieren sie gegen eine Reform, von der sie fürchten, dass sie ihren Alltag entscheidend verändern könnte.

Wer geht warum auf die Straße?

Glaubt man dem CDU-Abgeordneten Sven Schulze: Bots. Glaubt man der EU-Kommission: ein "Mob". Glaubt man Axel Voss, der die Reform seit Jahren vorantreibt: inhaltlich Ahnungslose und von Google Instrumentalisierte. Das sind die Vorwürfe, die sich Reformgegner oft anhören müssen.

Es ist ein erstaunlich menschlicher und ausgesprochen friedlicher Bot-Mob, der sich auf dem Potsdamer Platz in Berlin versammelt und am Willy-Brandt-Haus vorbei Richtung EU-Vertretung durch die Berliner Straßen zieht. "Wir sind keine Bots", steht auf Dutzenden Schildern. Die meisten Menschen sind unter 30. Einige Jugendliche sind zusammen mit ihren Eltern gekommen, die meisten bilden kleine Grüppchen mit ihren Freunden.

Die dritte Behauptung ist weniger leicht zu entkräften. "Ich bin gegen Artikel 13, weil Youtube dann dicht machen muss", sagt Leon. Der 15-Jährige ist mit drei Freunden gekommen, alle fürchten um die Zukunft des Netzes, wie sie es kennen. Was genau in Artikel 13 steht, wissen sie nicht. "Dann müssen alle Plattformen filtern und Strafen zahlen", vermutet Ben. Zwei Nachfragen später entschuldigen sie sich, ganz genau hätten sie sich nicht informiert. "Aber wir schauen das nochmal nach", verspricht Leon.

Tatsächlich können nicht alle Teilnehmer der Demo erklären, wogegen sie eigentlich protestieren. Die Schlagworte "Artikel 13" und "Upload-Filter" fallen immer, danach werden die Erklärungen manchmal vage. Doch selbst wenn: Auch die Reformbefürworter sind mehrfach durch Falschbehauptungen und Ahnungslosigkeit aufgefallen, Axel Voss allen voran. "Warum sollten sich Schüler besser auskennen müssen als Politiker, um demonstrieren zu dürfen?", antwortet eine ältere, inhaltlich gut informierte Frau mit einer Gegenfrage.

Außerdem überwiegen die Gegenbeispiele: Von knapp zwei Dutzend Jugendlichen, die ihre Motivation erklären, können mehr als die Hälfte präzise begründen, warum sie Artikel 13 für problematisch halten, obwohl das Wort "Upload-Filter" gar nicht darin auftaucht. Einige sprechen auch über Artikel 11 und 12. "Die Reform tut nur so, als würde sie Urhebern etwas Gutes tun", sagt Laura, 16. Sie hat auf Youtube Videos gesehen, die sich mit dem Leistungsschutzrecht in Artikel 11 auseinandersetzen und erklären, wie Artikel 12 Verlage zulasten von freien Journalisten beschenkt.

Kein einziger sagt: Wir sind gegen Urheber oder Urheberrecht. Vom 12-Jährigen, der seinen Namen nicht verraten will, bis zu der Frau, die ihr Alter nicht verraten will, aber etwa viermal so alt sein dürfte, sind sich alle einig: Kreative sollen von ihrer Arbeit leben können. "Ich bin selbst freie Texterin", sagt sie. "Natürlich will ich, dass mein geistiges Eigentum geschützt wird. Aber nicht so."

Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, sagte der Bild-Zeitung: "Wenn amerikanische Konzerne mit massivem Einsatz von Desinformationen und gekauften Demonstranten versuchen, Gesetze zu verhindern, ist unsere Demokratie bedroht." Ein Besuch auf der Kundgebung in Berlin hätte ihn vielleicht beruhigen können.

Was können die Proteste bewirken?

"Ich habe den Eindruck, dass die Politik unterschätzt hat, wie sehr die Youtuber in der Lage sind, ihre Zuschauer auf die Straße zu bringen", sagt Organisationsforscher Maximilian Heimstädt. Tatsächlich scheint vielen Befürwortern der Reform nicht klar gewesen zu sein, welches Ausmaß die Proteste annehmen würden.

Der massive Widerstand zeigt Wirkung. Aus Brüssel hört man, dass einige Abgeordnete beeindruckt sind und sich noch nicht endgültig entschieden haben. Die SPD hat ihre Meinung mittlerweile geändert. Sie will den Koalitionsvertrag jetzt doch nicht brechen, in dem sie sich gemeinsam mit der Union gegen Upload-Filter ausgesprochen hatte. "Wir sind nicht beratungsresistent und am Ende kann man auf uns zählen", twittert Kevin Kühnert kurz vor Beginn der Kundgebung in Berlin. "Soeben bei nur einer (!) Gegenstimme beschlossen: SPD geschlossen gegen Artikel13. Grüße gehen raus auf die Demos!"

Dieser Sinneswandel kommt spät. Möglicherweise zu spät, um verlorengegangenes Vertrauen zurückzuerobern: "Hätte die SPD Rückgrat, könnte ich heute liegenbleiben", steht auf einem Schild. Noch deutlich drastischer fällt die Kritik an der CDU aus. Gerade junge Teilnehmer sind von den Politikern enttäuscht. "Ich finde Europa super, aber die EU macht Mist", sagt der 15-jährige Leon. Für ihn ist es die zweite Demonstration in zwei Tagen: Am Freitag war er bei "Fridays for Future". Er fürchtet, dass die Politik ihm erst sein digitales Zuhause wegnimmt und dann dabei zusieht, wie der Planet zerstört wird, auf dem er lebt.

Am Dienstag wird das EU-Parlament endgültig abstimmen. Es gibt drei Möglichkeiten: Die Abgeordneten akzeptieren den aktuellen Vorschlag, streichen oder ändern einzelne Passagen, etwa Artikel 13, oder sie lehnen die Reform in Gänze ab. Die erste Option scheint nach diesem Samstag etwas unwahrscheinlicher geworden zu sein.

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