Unterwäsche aus Fernost:Chinesische Spitzen

Franzosen kaufen gerne Dessous, trotzdem kämpfen einheimische Hersteller ums Überleben - sogar Luxuswäsche könnte bald aus Asien kommen.

Michael Kläsgen

Galeries Lafayette, die größte Abteilung für Damenwäsche in der Welt. So weit das Auge reicht, BHs, Slips, Strings und Kleidchen fürs Bett. Jedes Stück wie eine kostbare Rarität präsentiert. Feiner Tüll rechts, Calaisspitze links. Das Ganze umflort von süßem Parfümduft und digitalen Pianoklängen. Mittendrin das Besondere: die Umkleidekabinen. Männerbegleitung ist dort beim Anprobieren der Frau ausdrücklich erwünscht. Hocker stehen für den Herrn bereit, und Verkäuferinnen weisen freundlich den Weg hinter den Vorhang. Alle Dessous-Boutiquen, die in Paris etwas auf sich halten, frönen dieser exception française.

Unterwäsche aus Fernost: Die wohl größte Abteilung für Damenwäsche: Ein Model präsentiert Dessous in den Galeries Lafayette.

Die wohl größte Abteilung für Damenwäsche: Ein Model präsentiert Dessous in den Galeries Lafayette.

(Foto: Foto: rtr)

Funktioniert der Verkaufstrick? "Mais oui, Monsieur", sagt eine der drei Beraterinnen, die hinter der Rezeption vor den Umkleiden stehen. "Manchmal stehen die Kunden Schlange." Tatsächlich gibt kaum jemand so viel für Spitzenunterwäsche aus wie Französinnen. 100 Euro sind es im Schnitt pro Jahr, berechnete das Institut français de la Mode (IFM), 133 Euro sogar bei den unter 24-Jährigen. "Die Engländerinnen sind noch spendabler", schränkt Loumia Hiridjee ein.

Die Gründerin der Marke Princesse Tam Tam sitzt im Café L'Esplanade beim Invalidendom. Sie ist die Frau im französischen Lingerie-Geschäft mit dem ungewöhnlichsten Aufstieg. Aber dass die Engländerinnen vorne liegen, ist den Nachthemden zuzuschreiben, die in der britischen Statistik inbegriffen sind, aber in Frankreich nicht als Dessous durchgehen.

Trotzdem bemerkenswert, dass die Französinnen überhaupt immer noch so viel zu zahlen bereit sind. Denn Daniel Carrière, der Fabrikleiter des Traditionsunternehmens Aubade in Vienne bei Lyon behauptet: "Mehr als die Hälfte der in Frankreich verkauften Unterwäsche ist heute chinesisch." Tatsächlich schossen die Importe aus China allein 2005 um 40 Prozent nach oben. Seither erlebt die Lingerie-Branche einen noch nicht da gewesenen Umbruch. Einen Platzhirschen wie Triumph in Deutschland gibt es links vom Rhein nicht.

70 Prozent Einbruch - in fünf Jahren

Das Fressen und Gefressenwerden ist im vollen Gange. Vor allem ausländische Investoren lassen sich von französischen Dessous verführen. Loumia Hiridjee aus Madagaskar zählt mit den Fingern auf: "Im vergangenen Sommer übernahm Calida aus der Schweiz Aubade, dann kaufte Fast Retail aus Japan uns auf, Barbara wurde von einer Bank übernommen, Desseilles Textiles von Letten gekauft, und eben erst griff Chantelle bei Orcanta von PPR zu." Sie schaut auf, linst durch die schmale Brille und fragt: "In nur einem Jahr. Nicht schlecht, oder?"

Als die drei Verkäuferinnen vor den Umkleiden im Kaufhaus erfahren, dass Aubade, Princesse Tam Tam und Desseilles längst nicht mehr französisch sind, machen sie große Augen. Sie wussten nicht, was sich hinter den Kulissen alles tut. "Das liegt daran, dass der Markt in Frankreich zersplittert ist, dass es viele Familienbetriebe gibt, die großes Potenzial haben, die über Jahre Moden geprägt haben, die aber keine Finanzmittel haben, um sich fortzuentwickeln", sagt Hiridjee. "Der Markt spaltet sich in ein teures und ein billiges Segment." In nur fünf Jahren brach die Dessous-Produktion in Frankreich um 70 Prozent ein.

In dem Land, das so stolz ist, den ersten BH 1889 auf der Weltausstellung in Paris vorgestellt zu haben, wird heute kaum mehr selbst gefertigt. Firmen machen Pleite und mit ihnen zahllose Fachhändler. Familienbetriebe bauen Stellen ab oder verlagern sie nach Nordafrika oder Asien. Diejenigen Hersteller, die es sich leisten können, werden zu Händlern, und Händler zu Herstellern. Dazu brauchen die meisten Geld und damit Investoren. Wer den falschen erwischt, ist schnell am Ende. Es herrscht ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb.

Boxershorts als Anregung

Die drei wesentlichen Spieler in Frankreich reagieren auf den Ausleseprozess mit denkbar unterschiedlichen Strategien. Patrice Kretz, der Eliteschulen-Absolvent, der den Marktführer Chantelle leitet und Verbandspräsident ist, macht nebenbei auf billig. Seine Marke Passionata ist auch auf den Grabbeltischen in den Einkaufszentren zu finden.

Weil das ankommt, gilt Chantelle als beispielhaft dafür, wie man in Zeiten der Globalisierung auch als Franzose überleben kann. Princesse Tam Tam setzt auf Modetrends und will nicht nur als Dessous-Hersteller gelten, sondern auch mit Badeanzügen und Bikinis auffallen. Das alles im mittleren Preissegment. Die Schwierigkeit dabei ist, immer den richtigen Riecher für die Trends zu haben. Aber Hiridjee ist da zuversichtlich. So entstand die Marke, die ihren Namen aus einem Film mit Joséphine Baker geklaut hat.

1985, da war Hiridjee 22, fiel ihr in ihrem Geschäft auf, dass weibliche Studentinnen die Boxershorts für Männer toll fanden und kauften. Daraufhin entschied sie, eben nicht nur weiße und schwarze Spitzen-BHs zu kreieren, sondern bunte und bedruckte Unterwäsche, und zwar in ungewöhnlicheren Formen.

Gerade noch erschwinglicher Hauch von Nichts

Aubade schließlich legt gerade eine neue Luxus-Linie auf - ein gewagtes Unterfangen, teurer zu werden, obwohl Billiganbieter drohen. "Die Entscheidung wurde schon getroffen, bevor wir Aubade übernahmen", sagt Felix Sulzberger, Chef des Schweizer Mutterunternehmens Calida. Er steht dazu. "Frankreich ist besonders stark beim so genannten Einstiegsluxus." Also beim gerade noch erschwinglichen Hauch von Nichts.

Für Deutschland gelte das jedoch schon nicht mehr, sagt Sulzberger. "In Frankreich ist Lingerie ein Statussymbol, etwas, das man jeden Tag trägt und nicht wie in Deutschland nur am Wochenende oder zu besonderen Anlässen." Das mag erklären, warum deutsche Frauen immer weniger Geld für Dessous ausgeben.

Zuletzt waren es knapp 75 Euro durchschnittlich im Jahr. In Frankreich dagegen ist der Umsatz stabil. Trotzdem macht man sich im Modeinstitut IFM Sorgen. In Deutschland kommen französische Dessous immer schlechter an. Und die auf Lingerie spezialisierten Marktforscher von Xerfi stellten erst vergangene Woche fest: "Anfangs waren nur die Anbieter im Billig- und Mittelpreis-Segment von der asiatischen Konkurrenz betroffen, jetzt hat China ausreichend Know-how, um auch den Luxus-Labels Paroli zu bieten."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: