Süddeutsche Zeitung

Unterstützung für Tsipras:In Griechenland regiert der Trotz

  • Die Mehrheit der Griechen wünscht sich von ihrem Regierungschef Alexis Tsipras, bei den Verhandlungen in Brüssel nicht einzuknicken.
  • Tausende Griechen ziehen vor das Parlament, um ihre Unterstützung für Syriza auszudrücken. Die Demonstranten geben sich kämpferisch.

Von Mike Szymanski, Athen

Der Trotz regiert

Eine "Zangengeburt" sagen sie in Brüssel über die Verhandlungen mit Griechenland. Schwer zu sagen, ob das alles gut geht. Das weiß auch der griechische Premier Alexis Tsipras nicht. Wie auch immer der Deal am Ende aussieht, er wird ihn daheim vor seiner Linkspartei Syriza verteidigen müssen. Und das wird nicht leicht.

Das inoffizielle Parteiorgan Avgi hatte in der Wochenendausgabe ein paar Zahlen zur Hand, erhoben vom als seriös geltenden Meinungsforschungsinstitut Public Issue. Sie zeigen eindrucksvoll, wie die Stimmung in den eigenen Reihen ist. Den Geldgebern im Schuldenstreit nachgeben: 84 Prozent der Syriza-Anhänger wollen das nicht.

Aber auch unter allen Befragten in Griechenland gibt es mit 62 Prozent eine klare Mehrheit dafür, in Brüssel nicht einzuknicken. All die lauten Mahnungen aus Europa, nicht alles aufs Spiel zu setzen, verpuffen offenbar. Der Trotz regiert. Unter Tsipras Anhängern sind viele, die meinen: keine Kompromisse mehr. Aber so funktioniert die EU nicht.

"Tsipras ist unsere letzte Chance"

Der Sonntagabend in Athen. Ein heißer Tag geht zu Ende. Der Syntagma-Platz vor dem Parlament füllt sich. Die Leute von Syriza sind gekommen. Arbeiter, Gewerkschafter, Kommunisten. Aus den Lautsprechern dröhnen Kampflieder und dann dauert es lange, bis die Treppen und die Brüstung vor dem Parlamentsgebäude von den Demonstranten eingenommen sind und Plakate entrollt werden. "Wir dürfen uns nicht unseren Stolz abkaufen lassen", steht auf einem. "Griechenland ist nicht zu verkaufen", auf einem anderen.

Tonia Damidou, wilde Lockenmähne und grelles Makeup, hält es hoch, eine von etwa 7000 Demonstranten, die die Polizei am Ende des Abends zählt. "Tsipras ist unsere letzte Chance", sagt sie. Entsprechend riesig sind ihre Erwartungen an den Mann. "Er muss gewinnen." Sie sieht keinen Spielraum mehr für ein Entgegenkommen an die Geldgeber. "Schauen Sie sich um", sagt sie. "Hier stehen junge Menschen, alte Menschen. Manche haben seit vier Jahren keine Arbeit mehr. In den Krankenhäusern gibt es keine Medikamente mehr. Wir sind doch keine verrückten Griechen, wenn wir jetzt auf die Straße gehen." Sie ist Bergbauingenieurin. Noch hat sie einen Job, aber sie verdient nur noch halb so viel wie vor der Krise.

Der Schuldenberg Griechenlands sei illegal

Nicht weit vom Syntagma-Platz entfernt betreut Niki Lykourjia einen Info-Tisch, sie ist Apothekerin von Beruf. Seit vier Jahren macht sie bei Syriza mit. Die 35-Jährige verteilt kleine Aufkleber, darauf der Aufruf, die qualvollen Sparmaßnamen wieder abzuschaffen. "Zu 100 Prozent." Und wie soll Tsipras dann noch in Brüssel eine Einigung erzielen? "Notfalls gibt es keine Einigung. Vielleicht ist es besser für uns." Rückkehr zur Drachme? Kein Schreckgespenst für sie. "Die Situation ist sehr schlecht. Vielleicht sollten wir etwas Neues ausprobieren." Für sie es schon eine Zumutung, dass Tsipras in Brüssel überhaupt ein Einverständnis einholen muss.

Als es schon dunkel wird, zeigt sich Zoi Konstantopoulou, die Parlamentspräsidentin, den Demonstranten. Sie winkt, sie lacht, sie wünscht eine gute Nacht. Ein von ihr einberufener Parlamentsausschuss hat den Schuldenberg des Landes kürzlich für "illegal" erklärt. Jetzt rufen einige der Demonstranten ihr zu: "Steckt die Diebe ins Gefängnis."

Polizisten schirmen die Vertretung der EU-Kommission ab

Gegen 22 Uhr löst sich die Veranstaltung auf. Aber Schluss ist noch nicht. Ein kleiner Trupp, vielleicht ein paar hundert Leute, zieht weiter zur Vertretung der Europäischen Kommission. Und hier sieht es gerade gar nicht so friedlich aus. Die Polizisten haben ihre Helme aufgesetzt und bilden mit ihren Schilden eine Schutzmauer. Für die Demonstranten, die hier stehen, ist klar: Lieber raus aus dem Euro. Dimitri, 24 Jahre alt und nur bereit, seinen Vornamen zu nennen, sagt: "Wir können nicht in der EU bleiben. Mit der EU geht es nicht vorwärts für uns." Die Geldgeber hätten das Land kaputtgespart. Er suche schon seit zwei Jahren einen Job. Die Fenster an dem Gebäude bleiben dunkel. Die Rufe verhallen. Die EU-Filiale hat zu.

Am nächsten Morgen stehen die Polizisten immer noch da. Die nächste Demo ist bereits angemeldet.

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