Süddeutsche Zeitung

Unternehmer Gerhard Seele:Der Glaser aus Gersthofen

  • Der Unternehmer Gerhard Seele aus Gersthofen beliefert die extravagantesten Baustellen der Welt mit Glas.
  • Zu seinen Kunden gehört unter anderem Apple. Der Chef des Computerkonzerns, Tim Cook, schaute zuletzt sogar am Stammsitz in der Nähe in Augsburg von vorbei.
  • Der schweigsame Glaser ist seinen unkonventionellen Weg über Jahre erfolgreich gegangen. Und die Fortsetzung kann folgen.

Von Stefan Mayr

Gerhard Seele trägt Blue Jeans, das graue Hemd ist modern eng geschnitten. Die Ärmel hat er hochgekrempelt, der oberste Knopf bleibt offen. Das Sakko liegt im Nebenraum, nur fürs Foto schlüpft er eben schnell hinein. Graue Stoppelhaare, tiefbrauner Teint, drahtig: So sieht einer aus, der oft und lange draußen Sport treibt. Neulich war er wieder mal mit Freunden auf dem Rennrad unterwegs. Auf der Tour-de-France-Strecke. Nicht auf irgendwelchen Flach-Etappen. Die Gruppe traute sich auch an den legendären Aufstieg nach L'Alpe d'Huez. Damit zu prahlen ist seine Sache aber nicht. "Nein", sagt der 59-Jährige leise, "das war kein großes Problem." Das ist Gerhard Seele: Große Sachen machen und dann kleinreden. Oder gleich gar nicht drüber reden.

Tim Cook im Gewerbegebiet

Wie über die Kooperation mit dem Computer-Konzern Apple. Für die Firma aus Kalifornien macht die Seele GmbH aus Gersthofen bei Augsburg schon seit 2007 unmögliche Ideen möglich. Sie installierte die transparente Hülle für den Flag Ship Store in New York, den berühmten Zauberwürfel aus Glas in der 5th Avenue. Er wurde in der Kleinstadt am Lech ausgetüftelt, seine Teile wurden am Einsteinring 1 hergestellt. Seele liefert auch die Glasfronten für die neue futuristische Apple-Zentrale in Cupertino. Er verkleidete viele andere spektakuläre Gebäude wie den EZB-Tower in Frankfurt oder die Olympiastadien in London und Peking. Und von all dem hat kaum einer außerhalb der Branche etwas mitbekommen.

Bis neulich Tim Cook im Gewerbegebiet Gersthofen auftauchte. Der Apple-Boss besichtigte das Seele-Werk und nahm dort die letzte Glasscheibe für den Apple-Campus 2 ab. Sein Vorgänger Steve Jobs habe weltweit nach jemandem gesucht, der die extravaganten Vorstellungen der Stararchitekten von Norman Foster + Partners umsetzen könne, teilte Cook im tiefsten Schwaben mit, "und wir sind hier gelandet, weil das niemand sonst so gut kann". In der Fabrikhalle rief er den Seele-Mitarbeitern zu: "Ihr seid die Besten der Welt."

Ein Spruch wie ein Ritterschlag, der Höhepunkt in der 30-jährigen Firmengeschichte. Auf den berühmten Besuch und dessen Lob angesprochen, schmunzelt Gerhard Seele und brummt: "Unsere Ideen sind offenbar recht gut angekommen." Schwäbisches Understatement, ein hidden champion.

Von Gersthofen in die Welt

Die Seele Gruppe hat 1000 Mitarbeiter an 14 Standorten, sie macht etwa 250 Millionen Euro Jahresumsatz. Viel mehr verrät der Firmengründer nicht. Er fabriziert Dinge, die auf der Welt nicht viele andere können, aber selbst in dem 20 000-Einwohner-Städtchen Gersthofen weiß kaum jemand davon. Dabei kann die Liste seiner Projekte nicht nur Architektur-Freaks verzaubern: Die Bahnhöfe in London (King's Cross), in Straßburg oder am Flughafen Köln-Bonn. Das Institute of Peace in Washington, die Flughäfen in Hongkong, München und Berlin. Bei letzterem sagt Seele ungefragt, dass er die Glasfassaden termingerecht geliefert hat und für die Verzögerung des Gesamtprojekts nichts kann. Auch seine Schweigsamkeit hat dann doch Grenzen.

Diese Referenzen sind nicht schlecht für einen, der zunächst gar kein Glaser werden wollte. Sondern Bankkaufmann. Als Knirps ging er im Heimatstädtchen Neusäß zur Sparkasse und stellte sich vor. Der Banker fragte nach dem Lebenslauf. "Ich habe gesagt, den brauchen wir nicht, der ist nicht so lang", erzählt Seele. "Ich bin doch da, den kann ich Ihnen gleich erzählen." Das kam nicht gut an. Seele: "Das war's dann mit meiner Bank-Karriere." So landete er doch in der Glaserei des Vaters. Dort ging er seinen Weg weiter: auf unkonventionellen Pfaden, sein eigenes Ding machend.

"Ich bin ein Tüftler", sagt Seele, "der sich für die nicht vorgegebenen Linien interessiert." Er machte den Meister, und als der Vater starb, übernahm er mit Mitte 20 den Betrieb. Das Geschäft mit seinen sechs Mitarbeitern gibt es bis heute. Doch das alleine füllte Gerhard Seele nicht aus. Im Alter von 29 Jahren gründete er mit Schlossermeister Siegfried Goßner, der sich als Projektleiter bewährt hatte, eine neue Firma. Der Glaser und der Stahlbau-Konstrukteur, sie versuchten sich 1984 in Fassaden aus Stahl und Glas. Sie machten sich daran, die Grenzen des Baustoffs Glas auszuloten und auszudehnen. Und eröffneten dabei neue Perspektiven.

"In den ersten fünf Jahren wollten wir auf 20 Mitarbeiter wachsen", berichtet Seele, "das ist uns nicht gelungen." So kann man das auch sagen: Es wurden mehr als doppelt so viele. Die erste Million machten sie im ersten Jahr. "Wir haben scheinbar die richtige Antwort auf den Markt gegeben", sagt Seele, "ohne, dass wir es vorher gewusst haben." Die ersten Aufträge kamen von einer Sparkasse und einem Kreiskrankenhaus. Bald folgte das Großprojekt Leipziger Messe. "Neue Herausforderungen, die nicht jeder wagt, ziehen uns an", sagt Seele. So war es auch, als 2005 Apple anklopfte und fragte, ob sie sich zutrauten, den Glaswürfel in New York hochzuziehen. So manche Vision erschien technisch zunächst unmöglich. 15 Meter lange Glasscheiben an einem Stück und eine Wendeltreppe aus Glas traut sich auch heute nicht jedermann zu. Gerhard Seele schon. "Wir haben sofort zugesagt", erzählt er. "Und dann haben wir nicht Machbares Stück für Stück machbar gemacht."

Mehr Geschäft durch Zweiteilung

Dazu brauchte es allerdings neue Verfahren der Glasveredelung. Und Seele fand keinen Betrieb, der seine hohen Ansprüchen erfüllte. Also baute er sein eigenes Labor auf. Es war die Geburtsstunde des Tochterunternehmens Sedak GmbH, das auf Glasverarbeitung und -lieferung spezialisiert ist. Los ging es 2007 auf einer Fläche so groß wie ein Fußballfeld. Heute ist die Halle viermal so groß. Hier wurden auch alle 2400 Scheiben für die neue Apple-Zentrale hergestellt, die wahlweise als Ufo oder Donut bezeichnet wird.

Die zweite Tochter ist die Seele GmbH. Hier sollen Projekte komplett realisiert werden - von der Konstruktion bis zur Montage. Wie bei Fassade und Dach des EZB-Hochhauses. Der Vorteil dieser Zweiteilung: Wenn die Projekt-Schwester bei einer Ausschreibung leer ausgeht, dann kommt später mitunter die Liefer-Schwester zum Zug. Weil die Wettbewerber bei ihr die Gläser bestellen.

Eine Glasscheibe über mehr als fünf Etagen

In der 5th Avenue steht seit 2011 schon die zweite Glaswürfel-Generation: Noch größere Scheiben, noch weniger Stahlteile - also noch mehr Licht und Leichtigkeit. Doch bei allem Mut zur Innovation kommt es auch zu Komplikationen. So gab es bei der Bienenwaben-Fassade für das Broad Museum in Los Angeles monatelange Verzögerungen. Es kam zum millionenschweren Rechtsstreit, doch man hat sich vorübergehend außergerichtlich geeinigt. Gerhard Seele will darüber nicht sprechen. Viel lieber erzählt er von seinem neuen Projekt, dem Fassadenelement "Iconic Skin". Oder von seinen Aufträgen, die neuerdings auch aus anderen Materialien als Glas bestehen. Das Intercontinental Hotel in Davos bekam eine Fassade aus Stahl, auch das King Abdulaziz Center for World Culture in Saudi-Arabien entschied sich für Edelstahl.

Mittelfristig plant Seele nach eigenen Angaben keine Expansion. Ein Durchatmen und Konsolidieren nach dem auslaufenden Apple-Großauftrag? Nun ja, der nächste Autoklav-Ofen ist schon bestellt. Man kennt diese Riesen-Backrohre aus der Luft- oder Raumfahrtindustrie, wo sie Flugzeug- oder Raketenteile aus Carbonfaser-Verbundstoffen herstellen. Bei Seele backen sie demnächst Glasscheiben, die 16,5 Meter lang sind - also mehr als fünf Etagen abdecken können. Der nächste Auftrag aus Cupertino kann kommen.

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Quelle:
SZ vom 04.04.2015/sry
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