Süddeutsche Zeitung

Unternehmensportrait:Spezialgebiet: Kälte

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Supermärkte macht der Mailänder Unternehmer Marco Nocivelli zu Erlebniswelten. Seine Firma Epta profitiert vom Bio-und Frische-Boom.

Von Ulrike Sauer, Mailand

Das Bicocca-Viertel ist einer der dynamischsten Treffpunkte Mailands. Hier gibt es eine Universität, Forschungszentren, Firmenzentralen, Kinos. Und mitten drin steht dort ein signalroter Kühl- und Gefrierschrank auf der Straße. Es ist ein Versuchsobjekt. Marco Nocivelli, norditalienischer Familienunternehmer in dritter Generation, testet hier die jüngste Erfindung seines Unternehmens Epta.

Im Vorbeigehen können Internetkunden der Handelskette Coop über ihr Smartphone eines der nummerierten Schließfächer öffnen und ihre Onlinebestellung entnehmen. Sie müssen weder durch die Regalreihen rennen und an der Theke Schlange stehen, noch zu Hause warten, um dem Lieferdienst die Tür zu öffnen. Zehn Pilotschränke für Selbstabholer hat Nocivelli schon aufgestellt. "Wir zeigen so unseren Kunden, dass wir sie bei Innovationen jeder Art begleiten können", sagt er. Egal ob das Discounter, Supermarktfilialen oder Onlinehändler sind. Der US-Konzern Amazon hat bereits 10 000 Quadratmeter große Kühlzellen bei ihm bestellt.

Nocivelli sitzt in seinem Büro in Mailand. An der Wand hängt eine Weltkarte, auf der er seine Konkurrenten mit Stecknadeln markiert hat. Daneben zeigt eine Ländertabelle, wo das höchste Wachstum lockt. Die Philosophie seines Unternehmens beschreibt er mit einem Bild aus der Mode: "Egal, ob kurze Röcke oder lange - Hauptsache, wir verkaufen Röcke, sagt er. Wie Modeunternehmen will er den neuesten Trends möglichst einen Schritt voraus sein. Wie kaufen die Menschen morgen? Das versucht er zu ergründen - um dann die passenden Kühlgeräte dafür zu entwickeln und herzustellen.

Mit 888 Millionen Euro Umsatz hat sich Epta in Europa auf den dritten Branchenplatz geschoben. Man verkauft 200 000 Kühlsysteme im Jahr. 85 Prozent des Geschäfts macht Nocivelli außerhalb Italiens. Unter dem Epta-Dach sind seit der Gründung im Jahr 2000 sieben Markenhersteller vereint. Die Familie treibt den Wachstumskurs mit Zukäufen voran. Auf den Philippinen, in Polen, Chile, Dänemark und zuletzt in Rumänien. Bis 2020 soll der Umsatz die Milliarden-Euro-Marke toppen. Damit ist der Mittelständler ein "Multi im Taschenformat", wie die Italiener ihre Familienfirmen mit weltweiter Bedeutung nennen. 150 der 5000 Mitarbeiter sind in der Forschung beschäftigt. Sie entwickeln umweltschonende Gefrierschränke, Theken für die neuen Erlebniswelten im Laden und die roten Selbstbedienungsschränke.

Der digitale Wandel hat den Lebensmittelhandel aufgescheucht

"Neuigkeiten sind nie besorgniserregend, sondern stimulierend", sagt Nocivelli. Er hat leicht reden, denn der digitale Wandel hat den Lebensmittelhandel aufgescheucht und sein Geschäft beflügelt. Die Konkurrenz der Lieferdienste zwingt die Supermarktketten, ihr Angebot zu verändern. Die einen bedienen die eiligen Onlinekäufer, die anderen neugierige Genießer, die auch sinnliche Erfahrungen suchen. "Riechen, schmecken und tasten kann man im Internet nicht. Deshalb bieten die Läden ihren Kunden heute Erlebnisse", sagt der 52-Jährige. Die Folge: Der Handel erneuert die Geschäfte öfter. Die Frischwaren-Abteilungen werden größer, und man macht exotischen Kostproben Platz. Epta hat zum Beispiel Erfolg mit einem Sushi-Stand, an dem Köche japanische Spezialitäten zubereiten. Die Corner wurden in Europa schon 250 Mal verkauft.

In Deutschland, einem der wichtigsten Märkte von Epta, steigert auch der Bio-Boom die Nachfrage. "Immer mehr frische Lebensmittel müssen statt mit Chemie durch Kälte haltbar gemacht werden", freut sich Nocivelli. Bundesumweltministerin Svenja Schulze zeichnete Epta im Mai für seine klimafreundliche FTE-Technologie mit dem Deutschen Kältepreis in der Kategorie Innovation aus. Durch den effizienten Einsatz des Kältemittels CO₂ wurde die Emission von Treibhausgasen im Vergleich zu herkömmlichen Systemen von fast 4000 Kilo auf ein Kilo gesenkt. Zudem reduziert er den Energieverbrauch der gewerblichen Kühlregale.

Um sich gegen ihre billigeren Konkurrenten zu behaupten, investierten die Italiener in den vergangenen drei Jahren 93 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung. "Unsere Produkte helfen zu sparen", sagt Nocivelli. Die technische Überlegenheit verdanke Epta seiner Spezialisierung. Weitere Übernahmen sind geplant. Weltweit verfolgt Nocivelli 280 Firmen, mit zehn davon führt er bereits Gespräche. Größe erlaube es, schneller neue Produkte zu entwickeln. Sie werden von einem multinationalen Team in Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien ausgetüftelt. "Wir betreiben europäische Innovation", sagt er stolz.

Da könnte man meinen, dass der Furor der römischen Regierung gegen Brüssel und den Euro Nocivelli wütend macht. Der Kältespezialist lächelt gelassen. Die Italiener verfügen über Unternehmergeist und Optimismus, das sei für den Firmenerfolg entscheidend. So meisterte man die Krisen von 1992, 2001, 2008 und 2011. "Wir sind es gewohnt, uns durch schwierige Zeiten zu schlagen.

Das ist unsere Stärke", formuliert er das Selbstbild italienischer Erfolgsunternehmer.

Die Geschichte seiner Familie weist Nocivelli als Krisenartisten aus. Der Großvater Angelo hatte 1944 seine Stelle gekündigt, um sich mit einer Elektrofirma im Heimatort Verolanuova bei Brescia selbständig zu machen. Auf dem Weg nach Mailand zur ersten Messe nach dem Krieg stürzt er 1947 aus dem Zug. Sein ältester Sohn Luigi übernimmt mit 17 den Betrieb. Er beginnt, Gleichrichter für die ersten Fernseher herzustellen. Die Geschäfte laufen gut. Bis 1958, als sein Produkt durch den technischen Fortschritt jäh überflüssig wird. Luigi sattelt um und stellt Kühlschränke der Marke Ocean her, mit denen er im Quelle-Katalog groß rauskommt.

1974 erringt Nocivelli die Kontrolle über Ercole Marelli, das namhafteste Unternehmen der italienischen Elektromechanik. Ölkrise, Inflation, Arbeitskämpfe und Terroranschläge zwingen Italien in den Siebzigerjahren in die Knie. Der Personalchef von Ercole Marelli steigt 1980 in Mailand in die U-Bahn und wird von den Roten Brigaden erschossen. Altschulden erdrosseln das Unternehmen, Marelli ist am Ende.

Nocivelli kehrt geschlagen nach Verola-nuova zu Ocean zurück. Wie ein Stehaufmännchen baut er mit Firmenübernahmen in Italien, Frankreich und Deutschland den viertgrößten Haushaltsgerätekonzern Europas auf. Sein Segelboot auf dem Gardasee tauft er Hans Castorp, nach dem Romanhelden aus dem "Zauberberg". 1999 wird der Kauf des maroden französischen Herstellers Moulinex ihm zum Verhängnis. Nocivelli stürzt vom Gipfel seiner Karriere ab. Das Imperium wird aufgeteilt.

Sohn Marco legt mit der Firma Costan, die in Belluno Geräte für die gewerbliche Kühlung herstellt, neu los. Das war 2000. Zum fünften Mal steigt die Industriefamilie vom Alpenrand wie ein Phönix aus der Asche auf. "Entscheidend ist, dass man in großen Schwierigkeiten die Chance erkennt, etwas Neues zu machen", sagt der Epta-Chef.

Und ein Euro-Austritt Italiens? "Der würde uns schon treffen, aber wir finden dann eine Lösung", gibt sich Nocivelli optimistisch. Das sei kein Fatalismus. "Politik überlassen wir Leuten, die viel Zeit haben." Die Aufgabe des Unternehmers sei es, zu reagieren.

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Quelle:
SZ vom 05.11.2018
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