Angela Merkel ist ganz oben. Manuela Schwesig, die Bundesfamilienministerin, ist es auch. Am Mittwochnachmittag sitzen in einem Sitzungssaal im Bundeskanzleramt "Frauen in Führungspositionen" auf mehr als 100 breiten Schreibtischsesseln. Zur Frauen-Konferenz, der dritten dieser Art.
Die Polizeipräsidentin von Duisburg spricht über Polizistinnen in Teilzeit. Schwierig. "Denen sage ich: Überleg es dir gut." Die Führungsfrau eines Unternehmens sieht das genauso: "Eine Vorstandssitzung wird interessanter, wenn ein Baby dabei ist", sagt sie. Bundeskanzlerin Merkel hat ihre Wange in die linke Hand gelegt, sie beugt sich über ihren Tisch. Als Frau in Deutschland an einen Spitzenjob zu kommen ist noch immer schwer genug, heißt es hier. Auch wenn es seit Januar eine Geschlechterquote für Aufsichtsräte gibt. Doch wer die nicht erfüllen will, der findet einfache Wege, sie zu umgehen.
Societas Europaea statt Aktiengesellschaft
Denn die feste Quote, die Frauenministerin Schwesig (SPD) bei einer ersten Zwischenbilanz im Sommer als Erfolg feierte, betrifft im Moment nur rund 100 Unternehmen - und wird in Zukunft immer weniger betreffen. Das zeigen Forscher der Universität Jena, die sich auf die Untersuchung von Firmenstrukturen spezialisiert haben. So steht in Schwesigs Quotengesetz zwar, dass 30 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder großer Unternehmen weiblich sein müssen. Doch zugleich bietet es Schlupflöcher, mit deren Hilfe Unternehmensberater längst Wege ertüfteln, wie Firmen solche lästigen Regeln einfach umgehen können.
Damit das Gesetz der festen Prozentzahl greift, muss ein Unternehmen gleich zwei Voraussetzungen erfüllen. Es soll an der Börse notiert sein und außerdem seine Aufsichtsratssitze paritätisch verteilt haben. Das heißt, dass eine gleich große Zahl von Arbeitnehmern und Anteilseignern in dem Gremium vertreten ist, damit beide Seiten das gleiche Mitspracherecht haben - bei der Besetzung des Vorstands, zum Beispiel, oder bei wichtigen Geschäften. Deutsche Unternehmen mit mehr als 2000 Mitarbeitern sind verpflichtet, einen solchen Rat einzurichten. Je mehr Frauen hier einen Platz besetzen, desto weiblicher wird das ganze Unternehmen, ja, die ganze Firma und zum Schluss das ganze Land. So viel zur Theorie.
Tatsächlich haben es sich Anwälte und Wissenschaftler zuletzt zur Aufgabe gemacht, Unternehmern Lösungen zu zeigen, wie sie genau diese Aufsichtsräte verhindern: Bevor sie den zweitausendsten Mitarbeiter einstellen, gehen viele Firmenchefs zum Notar. Der verwandelt ihre gute deutsche Aktiengesellschaft (AG) zum Beispiel eine schicke Societas Europaea, kurz SE. Denn wer rechtzeitig wechselt, erklären die Berater, kann die Mitbestimmungsrechte auf einem niedrigen Stand "einfrieren". Selbst wenn das Unternehmen dann insgesamt weit mehr als 2000 Menschen in Deutschland beschäftigt, kann der Aufsichtsrat auf Vertreter aus der Belegschaft und somit auch auf Frauen verzichten.
Mit der Mitbestimmung schleicht sich auch die Frauenquote aus der Wirtschaft
So hatte etwa der Wohnungskonzern Vonovia SE in dem Jahr, als er noch Deutsche Annington hieß, weniger als 2000 Mitarbeiter und keinen mitbestimmten Aufsichtsrat. Heute hat der Dax-Konzern mehr als 6000 Beschäftigte und noch immer fehlen Mitbestimmung und Quotenfrauen, sagt Thomas Hoffmann vom Institut für Rechtstatsachenforschung zum Deutschen und Europäischen Unternehmensrecht in Jena.
Einen anderen Weg wählte der Medizintechnikkonzern Fresenius. Zwar hält der Aufsichtsrat der Fresenius SE & Co. KGaA die Frauenquote ein und nominierte in diesem Jahr zwei Frauen. Doch das tatsächliche Machtgremium im Konzern, sagen die Jenaer Wissenschaftler, sei der Aufsichtsrat der Fresenius Management SE: "Dieser allein bestimmt, welche Vorstandsmitglieder die Geschäfte der Fresenius SE & Co. KGaA letztendlich führen" - und ist eine reine Männerrunde geblieben. Ganz legal.
Ähnlich verhält es sich mit der Strategie, ein deutsches Unternehmen in eine ausländische Gesellschaft umzuwandeln. Die Fluglinie Air Berlin, etwa, ist trotz ihrer deutschen Belegschaft längst eine britische Public Limited Company und muss sich deshalb nicht an die deutschen Regeln halten. Durch einen Wechsel zu einer ausländischen Rechtsform können Unternehmen nicht nur den festen 30 Prozent entfliehen, sondern zugleich auch der flexiblen Quote, nach der sie sich eigentlich selbst Zielvorgaben für Frauen im Aufsichtsrat setzen sollen. Dies träfe auf alle Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten zu, auch wenn sie nicht börsennotiert sind, und hätte Auswirkungen für wesentlich mehr Arbeitnehmerinnen und Frauen in Führungspositionen.
"Unser Rechtssystem lässt die Vermeidung von Mitbestimmung zu", sagt Hoffmann. Er und seine Kollegen haben ermittelt, dass die Zahl der paritätisch mitbestimmten Unternehmen seit knapp 15 Jahren stetig fällt, von 767 im Jahr 2002 auf 635 im vergangenen Jahr. Es handele sich nicht um eine groß angelegte Flucht aus der Mitbestimmung, sagt Hoffmann, sondern vielmehr um einen schleichenden Prozess: Mit der Zeit verschwänden die mitbestimmten Unternehmen und neue entstünden immer weniger. Mit der Mitbestimmung schleicht sich auch die feste Frauenquote aus der Wirtschaft.
Sebastian Sick von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sagt, die Frauenquote sei zwar keineswegs der Hauptanreiz für Unternehmen, die Rechtsform zu wechseln. Dennoch glaubt er, dass die Quote den Trend verstärkt. Sie sei "ein Argument mehr", sagt Sick. Er fordert gesetzliche Änderungen, damit auch ausländische Rechtsformen unter die Mitbestimmungsregeln fallen. Außerdem sollten Unternehmen gezwungen sein, vor einer Änderung ihrer Rechtsform neu über die Besetzung ihrer Aufsichtsräte zu verhandeln, statt wie bisher die Gegebenheiten für immer zu fixieren. Denn die Flucht aus dieser Pflicht betreffe nicht nur Frauen, sondern immer die gesamte Belegschaft.