Unternehmen:Management aus der Küche

Konzernchefs in Corona-Zeiten: Keine Reisen, viele Calls und Telefonate - und vor allem: immer großen Abstand voneinander halten. Wie sich das Leben der globalen Elite gerade verändert.

Von Thomas Fromm, Max Hägler, Katharina Kutsche, Stefan Mayr, Meike Schreiber, Angelika Slavik, Nils Wischmeyer und Markus Zydra

Wer den Chef der VW-Lkw-Tochter Traton in diesen Tagen sprechen will, braucht gar nicht erst bei seinem Büro vorbeizugehen. Denn dort ist er wahrscheinlich eh nicht. Andreas Renschler arbeitet von zuhause in Stuttgart. Calls. Telefonate, Mails - Renschler ist im Home-Office. Hier laufen gerade die Fäden zusammen zwischen der Konzernmutter in Wolfsburg und den Lkw-Töchtern MAN und Scania in München und Schweden. Morgens ein telefonischer check in der Teams, abends dann wieder der check out. "Alles läuft virtuell, da wachsen neue Arbeitsmechanismen heran", sagt eine Sprecherin.

Bei anderen Unternehmen geht der Chef noch ins Büro. Bei Siemens zum Beispiel. Hier wird Konzernchef Joe Kaeser noch immer in der Münchner Zentrale gesichtet. "Die Vorstandssitzungen der Siemens AG finden unverändert statt", sagt ein Sprecher. "Sofern die Vorstände im Haus sind, nehmen sie persönlich teil, ansonsten wählen sie sich ein." Und beim Lichtkonzern Osram heißt es: "Der Kapitän ist an Bord." Ohnehin habe Osram-Chef Olaf Berlien ein Einzelbüro.

In den Vorstandsetagen der deutschen Industrie ist Ausnahmezustand, die Manager arbeiten in der Krise auf Hochtouren. Aber offenbar hat jeder seine ganz eigene Vorstellung davon, was geht und was nicht. Zuhause? Oder im Büro? Einig sind sich aber offenbar alle in einem Punkt: Die Zeit der vielen Reisen ist vorbei. Einfach mal so zum Flughafen aufbrechen, auf Geschäftsreise gehen und das übliche Programm abspulen geht nicht mehr. "Das muss dann schon sehr gut begründet sein", heißt es in einem Dax-Konzern. Hände schütteln, in kleinen Konferenzräumen eng zusammensitzen, täglich ein Dutzend anderer Manager treffen?

"New York, Rio, Tokio ist nicht mehr", heißt es bei Siemens. Die Zeiten, in denen Kaeser und andere innerhalb einer Woche sämtliche Kontinente bereisten, seien erstmal vorbei. "Unser Vorstand muss geschützt werden", heißt es in München. Es gelte das "Minimieren der Kontakte".

Ohnehin gibt es kaum noch Airlines, die die großen Metropolen verbinden. Am Anfang, berichtet ein Insider, seien viele noch auf private Flugzeuge ausgewichen. Bis es irgendwann immer schwieriger wurde, interkontinentale Routen zu fliegen. Die Treiber der globalen Konzerne sitzen jetzt fest, zuhause oder im Büro. Eine sehr ungewohnte Situation.

"Es ist erstaunlich, dass man doch einiges erledigen kann, auch ohne die Reisen."

Und wenn man sich jetzt mal im kleinen Kreis trifft, ist alles anders als vorher. Das gilt nicht nur für Unternehmen. In der vergangenen Woche saßen EZB-Präsidentin Christine Lagarde und ihr Vize Luis de Guindos noch nebeneinander, als sie der Presse die Entscheidungen der Notenbank erklärten. Am Ende der Veranstaltung sagte Lagarde: Beim nächsten Mal werde hier wohl nur einer der beiden sitzen. Man arbeite nun in split teams. Getrennte Teams, getrenntes Risiko. Man teilt sich auf, sichert sich ab, gleich mehrere Personen sind für eine Aufgabe zuständig. Denn: Wenn einer ausfällt, dann übernimmt der andere. Und man arbeitet räumlich getrennt. Die nächste EZB-Ratssitzung, auch das hat Lagarde angekündigt, solle via Videokonferenz stattfinden. Und auch bei der gerade so wichtigen Kreditanstalt für Wiederaufbau ist man gerade sehr vorsichtig. "Bei uns ist der Vorstand im Home-Office, da wo es geht, macht man keine Reisen mehr". Bei gemeinsamen Meetings werde der Mindestabstand eingehalten.

Es sei schon "skurril, wenn man an unterschiedlichen Ecken des Raumes" stehe, sagen Betroffene. Und was passiere, wenn mehrere Leute im Vorstand krank werden und die Beschlussfähigkeit gefährdet sei? Dann müsse man noch einmal "neu denken". Doch so weit ist es noch nicht, so weit darf es gerade in wichtigen, großen Unternehmen und Institutionen auch nicht kommen. Deshalb machen es die meisten inzwischen wie Traton. Die klassischen physischen Meetings für den Vorstand wollen Unternehmen wie der Bezahldienstleister Wirecard vermeiden und setzen stattdessen auf Video-Konferenzen. Ansonsten: Abstand, und wenn es nur zwei Meter sind, man halte den auch im Vorstand ein, sagt VW-Chef Herbert Diess. Viele Besprechungen habe man auf Telefon- und Videokonferenz umgestellt. Die Führungskräfte hätten die Anwesenheit im Büro reduziert, zudem gelten die Reisebeschränkungen "natürlich auch für den Vorstand". Das habe bei ihm sogar zu neuen Erkenntnissen geführt, sagt Diess: "Es ist erstaunlich, dass man doch einiges erledigen kann, auch ohne die Reisen."

Und dann ist da noch die Frage der Sitzordnung: Bei der Jahrespressekonferenz von BMW saßen die Vorstände zwar noch in einem Raum, aber die Tische standen weit auseinander. Abstand halten sei eine der Maßnahmen, um sich zu schützen, sagt Ilka Horstmeier, Personalchefin und Leiterin des Corona-Krisenteams bei BMW. In diesen Tagen bleibt den Managern gar nichts anderes übrig, als auf Distanz zu gehen.

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