Langzeitarbeitslose:Nutzlose Ausnahme vom Mindestlohn

  • Obwohl sie könnten, nutzen die meisten Unternehmen eine Ausnahmeregelung beim Mindestlohn für Langzeitarbeitslose nicht.
  • Die Regelung war zur Einführung des Mindestlohns heftig umstritten: Einerseits wurde befürchtet, dass ein Mindestsalär Neueinstellungen verhindern könnte, andererseits wurde mit Missbrauch gerechnet.
  • Laut Bundesagentur für Arbeit spielt die Ausnahmeregelung nun aber "praktisch keine Rolle".

Von Thomas Öchsner, Berlin

Für den früheren Wirtschaftsweisen Wolfgang Franz war der Fall klar: Die einzige Chance auf eine Beschäftigung für Langzeitarbeitslose "ist oft ein niedriger Lohn". Ähnlich argumentierte CSU-Chef Horst Seehofer: Wer länger als ein Jahr ohne Job ist, benötige eine Brücke. Deshalb "sollten diese Menschen in der Anlernphase zeitlich befristet unterhalb des Mindestlohns bezahlt werden können". So sahen es auch viele andere Unionspolitiker und Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, der vor einer "zu hohen Einstiegshürde" für die eine Million Langzeitarbeitslosen in Deutschland warnte.

Heftig umstrittener Papiertiger

Gut ein Jahr ist es her, dass sich deshalb Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) mit dem Kanzleramt auf eine Sonderregel vor Einführung der gesetzlichen Lohnuntergrenze von 8,50 Euro verständigte: Der Mindestlohn gilt seit 1. Januar, aber Arbeitgeber dürfen ehemalige Langzeitarbeitslose - maximal sechs Monate - für weniger als 8,50 Euro beschäftigen, um ihnen die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt zu erleichtern.

Doch was die Wirtschaftsverbände, assistiert von der Union forderten, und was Linke und Sozialverbände heftig kritisierten, ist ein Papiertiger. "Die Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose beim Mindestlohn spielt nach unserer Erkenntnis bislang praktisch keine Rolle", sagte Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, der Süddeutschen Zeitung.

Kaum Bescheinigungen von Jobcentern

Langzeit-Jobsucher, die eine Stelle ergattern und dafür bereit sind, auf den Mindestlohn zu verzichten, können ihrem Arbeitgeber nachweisen, dass sie zuvor ein Jahr ohne Stelle waren und entsprechend Arbeitslosengeld bezogen haben. Diese Bescheinigung stellen die Arbeitsagenturen oder die Jobcenter aus, sofern es sich um frühere Hartz-IV-Empfänger handelt. "Der Arbeitgeber braucht die Bescheinigung, um sie dem Zoll bei einer Kontrolle vorlegen zu können. Sonst darf er ja nicht weniger als den Mindestlohn zahlen", sagt eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA).

Vorstand Alt hat aber nun aus den meist zuständigen Jobcentern gehört, "dass es weder Arbeitgeber gibt, die wegen dieser Ausnahme gezielt Langzeitarbeitslose einstellen. Noch gibt es Arbeitnehmer, die in nennenswertem Umfang sich bescheinigen lassen, dass sie langzeitarbeitslos sind, um so womöglich einen Arbeitgeber zu finden."

Ausnahmeregelung ist kein Geschäftsmodell

Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), überrascht das nicht: "Unternehmen schrecken nach wie vor vor der Einstellung von Langzeitarbeitslosen zurück, weil sie Produktivitätsnachteile fürchten. Daran ändern großzügige Regelungen beim Mindestlohn nichts." Auch die Lohnkostenzuschüsse für frühere Langzeitarbeitslose hätten nicht zu einer "massenhaften Einstellung" dieser Jobsuchenden geführt, sagt Schäfer.

Arbeitgebern gehe es darum, leistungsfähige Arbeitnehmer zu gewinnen, die sie länger beschäftigen können. Dies könne ein vorübergehender Lohnkostenvorteil, der noch mit bürokratischen Auflagen verbunden sei, offenbar nicht aufwiegen. Außerdem könnte die Nutzung der Ausnahme ein Problem für das Lohngefüge im Betrieb werden. Es sei nicht unbedingt "gesund" für ein Unternehmen, wenn der eine Mitarbeiter zum Beispiel sechs Euro bekomme und der andere 8,50 Euro, obwohl sie die gleiche Arbeit tun. Aus all diesen Gründen sei die Ausnahmeregelung auf keinen Fall "ein Geschäftsmodell", sagt Schäfer.

Auch BA-Vorstand Alt ist sich sicher, "dass es Arbeitgebern bei der Einstellung von Langzeitarbeitslosen nicht darum geht, Geld in Form von Lohnkosten zu sparen. Sie müssen von den Menschen überzeugt sein und nicht vom Eingliederungszuschuss, damit sie ihnen einen Chance geben und sie einstellen."

Eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums sagte, es sei noch viel zu früh, sich mehr als 100 Tage nach der Einführung des Mindestlohns zur Nutzung der Ausnahme zu äußern. Zum 1. Juni 2016 will die Bundesregierung aber darüber berichten, inwieweit die Ausnahme geholfen hat, Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt zu hieven und ob es dabei bleiben soll.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: