Süddeutsche Zeitung

China:Europäische Unternehmen fordern ein Ende der Null-Covid-Politik

Blockierte Häfen, gerissene Lieferketten, endlose Quarantäne-Zeiten: Die Weltwirtschaft leidet unter Pekings Coronamaßnahmen. Die EU-Handelskammer macht jetzt ein paar Vorschläge.

Von Thomas Fromm

Manager erzählen gerne davon, wie es früher war. Als sie in den deutschen Unternehmenszentralen noch Schlange standen, um für einen gut dotierten Job nach China zu gehen. Peking, Shanghai, Shenzhen - das waren jahrelang die Sehnsuchtsorte der deutschen Industrie und aller, die dort arbeiteten. China, das war ein Milliardenmarkt, eine Umsatzschleuder mit Traumrenditen, eine sichere Bank - und im Grunde ein Selbstläufer für umzugsbereite Manager, Vertriebler und Ingenieure. China wurde für Konzerne wie VW der wichtigste Einzelmarkt. Aber auch ein Ort, an dem man für seinen Traumumsatz einen hohen Preis zahlte: den Preis der Abhängigkeit.

Ausgangssperre für Millionen - das ist nicht sehr verlockend

Dann kam die Covid-Pandemie, und die Geschäfte wurden zuerst schwieriger, dann fast unmöglich. Wie schnell es gehen kann, zeigte der Komplett-Lockdown der Wirtschaftsmetropole Shanghai, die Anfang April für zwei Monate de facto zugesperrt wurde. Ausgangssperre für Millionen Menschen, Manager, die nicht mehr aus ihren Wohnungen kamen, geschweige denn zum nächsten Flughafen.

Corona-Politik auf chinesisch, das bedeutet eine Null-Covid-Politik, und damit dann auch: Wer infiziert ist, wird in speziellen Quarantäne-Einrichtungen untergebracht. Dass Kinder von ihren Eltern zwangsgetrennt werden, wenn diese nicht infiziert sind - für westliche Expats ein durchaus gewöhnungsbedürftiges Verfahren.

Mal eben schnell nach China wechseln, Landesgeschäftsführer werden oder Vertriebschef? Bei riesigen Lockdowns, langen Quarantänezeiten und der Aussicht auf immer weniger Flüge, die zwischen den Kontinenten verkehren? Vielleicht lieber doch nicht. "Es ist schwierig, jemanden zu finden, der noch nach China reisen will", sagt Bettina Schön-Behanzin, Vize-Präsidentin der EU-Handelskammer in Peking.

Peking muss nun "Vertrauen zurückgewinnen"

Die Kammer hat eine Umfrage unter ihren Mitgliedsunternehmen gemacht, das Ergebnis: kritisch, die Stimmung im Keller. Die strengen Ausgangssperren, die harten Einreisebeschränkungen und die an vielen zentralen Stellen gerissenen Lieferketten würden das China-Geschäft der europäischen Unternehmen schwer belasten, heißt es im Ergebnis der Umfrage. China müsse den Unternehmen nun die Angst nehmen und "mit einem klaren Plan Vertrauen zurückgewinnen", sagt Schön-Behanzin. An der Umfrage zum Geschäftsklima europäischer Unternehmen haben zwischen Februar und März 620 Unternehmen teilgenommen. Um herauszufinden, wie sehr der Lockdown von Shanghai auf die Stimmung geschlagen hat, folgten dann Ende April noch einmal bei vielen Unternehmen entsprechende Fragen. In der Zwischenzeit war ja nicht nur die Metropole Shanghai lahmgelegt worden - auch die Haltung Pekings in außenpolitischen Fragen wie dem Angriff Russlands auf die Ukraine verschlechterte die Stimmung.

Null-Covid-Politik und der Ukraine-Krieg hätten "erhebliche destabilisierende Auswirkungen auf die China-Aktivitäten europäischer Unternehmen", heißt es bei der Kammer. Die Zahlen sprechen für sich: Drei Viertel der Mitglieder gaben an, dass die strengen Corona-Maßnahmen negative Folgen für ihren Betrieb gehabt hätten, 92 Prozent spürten die Lieferketten-Probleme, wie sie zum Beispiel entstanden, als ganze Häfen geschlossen wurden. Und: 23 Prozent der Befragten denken wohl darüber nach, neue Investitionen in China erst einmal zu stoppen und das Geld auf andere Märkte zu verteilen. "Einige Unternehmen erwägen Investitionen in anderen Märkten, die mehr Vorhersehbarkeit bieten", sagt Schön-Behanzin. Natürlich kann man Alternativen in der Region suchen, nach Vietnam verlagern oder nach Thailand. Aber China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt - und so ist es nicht verwunderlich, dass sich Konzerne nicht von China lossagen wollen. Eine offene Kritik an der Pekinger Covid-Strategie, die in diesen Wochen ganz offensichtlich ihr Ziel verfehlt, gleichzeitig aber das Zeug dazu hat, die gesamte Weltwirtschaft in den Abgrund zu reißen? Schwierig.

Allein schon, weil man ahnt, dass die Regierung in Peking womöglich nicht auf westliche Einmischungen bei zentralen Fragen wie der Covid-Bekämpfung gewartet hat. Und eine solche Einmischung wahrscheinlich auch als eher unangemessen betrachten dürfte. Zu Themen wie der chinesischen Null-Covid-Politik würde man sich "lieber nicht äußern", sagt der Sprecher eines großen deutschen Unternehmens. Ein anderer meint, man werde auch weiterhin "in China investieren".

Mit modernen Impfstoffen gegen Lockdowns

Umso klarer fällt die Positionierung der EU-Handelskammer in Peking aus. Die Regierung sollte lieber auf die bei der Omikron-Variante wirksameren mRNA-Impfstoffe setzen, wie sie etwa von Biontech/Pfizer oder Moderna produziert werden. Stattdessen aber werden in China vor allem Impfstoffe verimpft, die in der Volksrepublik auch entwickelt und produziert werden - in erster Linie Sinopharm und Sinovac. Zudem empfahl die Vize-Präsidentin der EU-Handelskammer: Peking täte gut daran, sich am Singapurer-Modell zu orientieren. Der südostasiatische Stadtstaat hatte nach Beginn der Corona-Pandemie vor mehr als zwei Jahren mit strengen Regeln dagegen gehalten - und dann wieder geöffnet.

Fazit der Kammer: Massentests und Lockdowns allein könnten nicht helfen, aus der Misere zu kommen. "China muss seine Grenzen öffnen", so Schön-Behanzin. Das Land habe "alle Mittel für ein großartiges Comeback".

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