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Fahrrad-Industrie:Wieso LeBron James in eine Koblenzer Radfirma investiert

Würde man die besten Eigenschaften von Fritz Walter, Uwe Seeler und Gerd Müller in einen Topf werfen, käme jemand wie LeBron James heraus. Wieso der US-Basketballstar ausgerechnet beim Radhersteller Canyon einsteigt.

Von Harald Freiberger

Es gibt in der Welt des Sports eine Reihe von Superstars. Das Wort ist kaum zu steigern, und trotzdem reicht es nicht aus, um zu beschreiben, welchen Status LeBron James in den USA genießt. Der 37-Jährige, der für die Los Angeles Lakers spielt, ist einer der besten Basketballspieler aller Zeiten, er erreichte in den vergangenen zehn Jahren unfassbare acht Mal die Finalserie und gewann vier Titel. Dazu ist er ein tadelloser, skandalfreier Mensch, der sich aus ärmsten Verhältnissen hocharbeitete, ein Vorbild für Millionen Kinder und Jugendliche. Würde man die besten Eigenschaften von Fritz Walter, Uwe Seeler und Gerd Müller in einen Topf werfen, käme ungefähr so jemand wie LeBron James heraus. Er ist kein Superstar, sondern ein Super-Super-Superstar.

So war es eine ziemliche Überraschung, als vor wenigen Tagen die Nachricht die Runde machte, dass dieser LeBron James zusammen mit zwei Geschäftspartnern für 30 Millionen Euro bei einer Fahrradfirma aus Koblenz einsteigt. Los Angeles und Koblenz am Rhein, Basketball und Fahrrad - wie passt das zusammen? Der Deal scheint erklärungsbedürftig. Wer jedoch die Hintergründe beleuchtet, stellt fest, dass er von einer zwingenden Logik ist. Der Einstieg von LeBron James bei Canyon Bicycles sieht nach einer Win-win-Situation aus, selbst für jemanden, der schon alles gewonnen hat.

"Canyon baut zurzeit die besten Rennräder der Welt", sagt der Branchenkenner Ralf Kindermann, dessen Firma Value Creation Investoren mit innovativen Unternehmen aus der Fahrrad-, Sport- und Outdoorbranche zusammenbringt. Bei der gerade zu Ende gegangenen Tour de France fuhren drei Teams auf Canyon-Rädern: Movistar, Alpecin-Deceuninck und Arkea-Samsic.

"Der größte Vorteil von Canyon ist der Perfektionismus."

Die Gründungsgeschichte von Canyon liest sich wie ein Märchen: Ein Vater hat drei Söhne. Er entfacht bei ihnen früh Begeisterung für den Radsport, kutschiert sie zu Rennen. Der Vater stirbt früh. Die Söhne gründen Ende der 1980er-Jahre ein Unternehmen, das hochwertige Triathlon-Räder aus den USA importiert. Ihre bahnbrechende Idee: Sie vermarkten die Räder direkt über Versandhandel, sparen die Händlerspanne und können das Produkt so günstiger anbieten. In den 1990er-Jahren werden sie mit dem Mountainbike-Boom groß, in den vergangenen 15 Jahren mit dem allgemeinen Fahrrad- und E-Bike-Boom immer größer und größer.

"Der größte Vorteil von Canyon ist der Perfektionismus, die Detailversessenheit und die technologische Führerschaft", sagt Branchenkenner Kindermann. Vor 30 Jahren hätten US-amerikanische Kultmarken wie Specialized, Trek und Cannondale den Fahrradbauer aus Koblenz noch milde belächelt, inzwischen habe sie dieser abgehängt - technologisch, qualitativ, preislich. Nach wie vor kommt Canyon ohne Händlernetz aus, die Räder werden direkt übers Internet verkauft, es gibt auch ein ausgeklügeltes Service- und Werkstattsystem.

Im Zentrum des Unternehmens steht Gründer Roman Arnold, 59, ein leiser Mann, der mit seinem Perfektionismus die Branche aufgemischt hat. Canyon hat heute mehr als 1000 Mitarbeiter, davon fast 400 Ingenieure und Designer. Ende 2020 übernahm die belgische Beteiligungsgesellschaft GBL, die auch groß in Adidas investiert ist, die Mehrheit an Canyon. Arnold hält weiter rund 40 Prozent. Der Fahrradhersteller erzielte 2021 einen Umsatz von 475 Millionen Euro, die Einnahmen stiegen zuletzt um durchschnittlich 21 Prozent im Jahr.

"Celebrity-Marketing ist in den USA die mit Abstand erfolgreichste Form von Marketing."

LeBron James und seine Geschäftspartner übernehmen für 30 Millionen Euro vier Prozent der Anteile. Damit wird Canyon mit 750 Millionen Euro bewertet. Aber wie kam der amerikanische Super-Super-Superstar überhaupt auf die Idee, in Koblenz einzusteigen, was macht Canyon für ihn so attraktiv?

"Celebrity-Marketing ist in den USA die mit Abstand erfolgreichste Form von Marketing", sagt Kindermann. Prominente geben ihren Namen her, um für Unternehmen zu werben, sie steigern damit dessen Bekanntheit und Umsatz. Das gibt es schon lange, der Trend der jüngeren Zeit ist, dass Sport-Superstars nicht nur Werbeverträge abschließen, sondern eigene Investmentgesellschaften gründen, um sich direkt an den Firmen zu beteiligen. In Deutschland machen das auch Philipp Lahm oder Sebastian Vettel, in den USA fing Michael "Air" Jordan damit in, seine eigene Linie ist inzwischen ein wichtiger Umsatzbringer von Nike. Auch LeBron James nutzt seine eigene Berühmtheit schon länger, um in Firmen zu investieren und diese so voranzubringen. "Der Clou dabei ist, dass die Sportler den Unternehmenswert steigern und durch ihre Anteile gleichzeitig davon profitieren", sagt Kindermann.

Basketball und Fahrrad scheinen aus unterschiedlichen Welten zu kommen, doch LeBron James gilt als Radl-Freak, so wie sich viele Spitzensportler ihre Grundkondition auf dem Rennrad oder Mountainbike holen. Es gibt ein Foto von ihm, wie er 2013 ganz leger am South Beach von Miami herumradelt. Mit seinem Ruhm soll LeBron James vor allem das Amerika-Geschäft von Canyon nach vorne bringen. Bisher setzt das Unternehmen dort ein knappes Viertel um, 100 Millionen Euro. In wenigen Jahren sollen sich die Einnahmen dort verdoppeln. "In den USA wird es in naher Zukunft einen Boom bei den Verkäufen von E-Bikes geben", sagt Kindermann voraus.

Auf den E-Bike-Trend sprangen die Koblenzer relativ spät auf

"LeBron gehört zu den bekanntesten Sportlern der Welt und interessiert sich wirklich fürs Fahrradfahren", sagt Canyon-Chef Nicolas de Ros Wallace. Das Netzwerk des Basketballstars in der amerikanischen Sportindustrie sei das "perfekte Match" für den Fahrradhersteller. LeBron selbst äußerte sich nicht zu dem Deal. Canyon kommt von seiner Historie her eher von der sportlichen Linie. Auf den E-Bike-Trend sprangen die Koblenzer deshalb relativ spät auf, dafür jetzt umso engagierter und wie gehabt technologisch führend.

In der Corona-Zeit hat sich der Fahrradboom extrem verstärkt. Das größte Problem für die Branche war die Unterbrechung der Lieferketten. Kunden mussten 2020 und 2021 oft viele Monate warten, bis sie ihr gewünschtes Rad bekamen. Experte Kindermann beobachtet, dass die Probleme seit einiger Zeit nachlassen und die Lieferzeiten wieder kürzer werden. Canyon verspricht für seine Modelle - vom Einsteiger-Rennrad für gut 1000 Euro bis zum Profigerät für mehr als 10 000 Euro - eine maximale Lieferzeit von zwei Monaten.

Die Zukunftsperspektiven für die Fahrradbranche sind glänzend. E-Bikes hatten vor zehn Jahren noch das Image von Fortbewegungsmitteln für Rentner. Das hat sich komplett gewandelt. Inzwischen fahren auch viele ambitionierte Sportler elektronische Moutainbikes und Rennräder, weil sie damit die Reichweite und Naturerlebnis steigern können, ohne an Fitness einzubüßen. Da E-Bikes viel teurer sind, steigt die Gewinnmarge von Herstellern, Händlern und Zubehörfirmen. Das Geld stecken sie in Innovationen, die wiederum das Produkt attraktiver machen - eine Spirale nach oben, die Canyon weltweit am besten auszunutzen versteht. Super-Super-Superstar LeBron James hängt sich jetzt an diesen Trend - und es ist davon auszugehen, dass er ihn zugleich beträchtlich verstärkt.

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