Konstantin Korosides glaubt bis heute nicht an einen Unfall, sondern an ein Verbrechen. "Thomas hatte sich im Lauf der Zeit einfach zu viele Feinde gemacht", sagt er. "Es ist zu viel passiert, es gibt zu viele Ungereimtheiten." Um sich selbst ein Bild zu machen, ist Korosides zur Absturzstelle gefahren, in den Wald nahe des Dorfes Predmeja im Westen Sloweniens. Eine ruhige, hügelige Landschaft, ideal zum Wandern. Nahe eines öffentlichen Grillplatzes und gleich neben einer schmalen, befestigten Waldstraße ist das kleine Flugzeug aufgeschlagen und in Flammen aufgegangen.
Alle vier Insassen kamen ums Leben. Darunter Korosides' Freund Thomas Wagner, zu Lebzeiten einer der schillerndsten deutschen Unternehmer. Ein Star im Internetgeschäft. Gründer und Chef der Firma Unister, die binnen weniger Jahre mit umstrittenen Methoden vom studentischen Start-up zur Nummer eins unter den Online-Reisevermittlern aufgestiegen war, mit Buchungsportalen wie Ab-in-den-urlaub.de oder Fluege.de. "Thomas und Unister waren manchen einfach zu groß und zu erfolgreich geworden", glaubt Korosides. Aber wurde der Unternehmer deswegen umgebracht?
Vier Jahre und drei Monate nach dem Absturz hat die slowenische Flugsicherheitsbehörde ihre Untersuchungen abgeschlossen. Detailliert haben die Experten rekonstruiert, was an jenem 14. Juli 2016, einem Donnerstag, geschehen ist.
Es ist 10.52 Uhr, als Flug Nummer N710CC vom Radarschirm der Flugüberwachung verschwindet. "Mayday Mayday" funkt der Pilot, dann reißt der Kontakt ab. 36 Minuten vorher war die kleine Maschine am Flughafen Marco Polo in Venedig gestartet. Dort war Wagner am Abend zuvor Betrügern aufgesessen beim verzweifelten Versuch, Geld für sein schwer angeschlagenes Unternehmen aufzutreiben.
Der Abschlussbericht der slowenischen Luftsicherheitsexperten widerspricht der These von Korosides und anderen Freunden Wagners, wonach dieser einem Anschlag zum Opfer gefallen ist. Es gebe keinerlei Hinweise auf Manipulationen oder technische Mängel, heißt es in der knapp 80-seitigen Expertise. Vielmehr sei das einmotorige Propellerflugzeug vom Typ Piper PA32-301 T auf etwa 4000 Metern Höhe in eine Kaltfront geraten, die das Höhenleitwerk habe vereisen lassen. Vermutlich als der Pilot am Höhenruder hantiert habe, sei es abgerissen, was die Maschine habe abstürzen lassen. Korosides hält das für "eine krude Theorie, so leicht brechen die nicht ab". Teile des Höhenruders wurden erst 2019 gefunden, die Ruderflosse ist verschwunden.
Zwei Tage nach dem Absturz begann das Insolvenzverfahren — die Firma wurde zerschlagen
Der Expertenbericht moniert auch Versäumnisse. Weder sei die zwölf Jahre alte, in Bonn stationierte Piper für Flüge unter solchen Wetterbedingungen geeignet gewesen, noch hatte sie eine Zulassung für kommerzielle Passagierflüge. Der 73-jährige Pilot war mit fast 4000 Flugstunden zwar erfahren und überdies gesund, habe aber womöglich das instabile Wetter mit Schauern, Gewitter, schlechter Sicht und heftigen Böen falsch eingeschätzt.
Mit ihm und Thomas Wagner starben in dem Wrack auch dessen Geschäftspartner und Freund Oliver Schilling sowie ein Finanzberater. Zwei Tage später beantragte Unister das Insolvenzverfahren. Die Firma wurde zerschlagen, die Reiseportale verkauft. Mehrere Manager kassierten vor Gericht Bewährungsstrafen; ein Finanzberater wurde zu vier Jahren Haft verurteilt.
Unister galt zunächst als beispiellose Erfolgsgeschichte. Sie begann 2003, als drei Studenten sich mit ihrem Start-up im Leipziger Gründerzentrum BIC einmieten. Aus ihrem geplanten Studentenportal werden bis zu 60 Buchungs- und Serviceportale hauptsächlich im Tourismus. Kopf ist der damals 23-jährige Betriebswirtschaftsstudent Thomas Wagner, groß geworden in einfachen Verhältnissen in einem Plattenbau in Dessau. Freunde beschreiben den jungenhaften Typ mit der Strubbelfrisur als arbeitswütigen Antreiber mit Charisma, aber auch dem Talent, andere vor den Kopf zu stoßen. "Eine extrem komplexe Persönlichkeit" nennt ihn Korosides.
Angetrieben von Wagner agiert die Firma schneller und aggressiver als die Konkurrenz
Unister wird zum digitalen Vorzeigeunternehmen aus Ostdeutschland. Die Fußball-Promis Michael Ballack und Reiner Calmund werben für Unister-Portale. In Spitzenzeiten vermitteln sie Reisen für zwei Milliarden Euro pro Jahr. Angetrieben von Wagner agiert die Firma schneller und aggressiver als die Konkurrenz. Genauso schnell geht es dann auch bergab. Wagner verkracht sich mit seinem Freund, Mitbegründer und Finanzchef Daniel Kirchhof. Verbraucherschützer und Medien werfen der Firma Kundentäuschung und Abzocke vor. Google will sie sperren, weil Unister Internetseiten fremder Anbieter kapert. Die Finanzaufsicht Bafin und die Generalstaatsanwaltschaft Dresden beginnen Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung und anderer Gesetzesverstöße. Es kommt zu Razzien, Wagner landet einige Tage in U-Haft.
All dies lässt die Umsätze einbrechen und macht die Banken nervös. Kaufangebote - Bertelsmann bietet 635 Millionen Euro - schlägt Wagner aus. Dabei steht er finanziell mit dem Rücken zur Wand. Ein dubioser Finanzvermittler rät ihm zu einem Geschäft, das zum schlechtesten und letzten in Wagners Leben wird.
Am 13. Juli 2016 hebt die Piper in Leipzig Richtung Venedig ab. Wagner hat 1,5 Millionen Euro in bar im Gepäck. Er und seine Begleiter treffen kurz nach der Landung einen älteren Herrn im grauen Anzug, der sich als Levy Vass ausgibt. Angeblich ein Diamantenhändler, eine große Nummer. Er verspricht, Wagner 15 Millionen Schweizer Franken zu leihen, im Gegenzug für dessen anderthalb Millionen als Ausfallversicherung. Wagner übergibt das Geld; der angebliche, nie ermittelte Herr Vass verschwindet damit. Im Koffer, den er Wagner zurücklässt, befindet sich statt 15 Millionen Franken nur wertloses Papier. Wagner erstattet Anzeige. Am nächsten Morgen startet der verhängnisvolle Rückflug.