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Ungleichheitsforscher Thomas Piketty:Das Kapital ist zurück

Nie war unsere Gesellschaft so reich wie heute. Und manche sind eben reicher als die anderen. Der Ökonom Thomas Piketty warnt im Interview, dass die Ungleichheit wieder so drastisch werden könnte wie zu feudalen Zeiten.

Von Bastian Brinkmann

Thomas Piketty ist einer der bekanntesten Ungleichheitsökonomen der Welt. Der Franzose lehrt an der Paris School of Economics. Eben erschien sein Buch "Capital in the 21st Century", eine deutsche Übersetzung ist für 2015 geplant. Nobelpreisträger Paul Krugman hat es zum "wichtigsten Wirtschaftsbuch des Jahres - und vielleicht des Jahrzehnts" erklärt.

Piketty rechnet darin vor, was in Europa und den USA schief läuft: Weil die Wirtschaft nicht mehr so schnell wächst wie in der Nachkriegszeit, die Vermögen aber trotzdem jedes Jahr kräftig steigen, hängen die Reichen die Mittelklasse ab. Piketty vergleicht heutige Statistiken mit Daten aus dem 19. Jahrhundert und hat so eine Formel gefunden, die den vielleicht wichtigsten langfristigen Trend unserer Wirtschaft beschreibt: r > g. Die Rendite auf Privatvermögen (r) ist größer als das Wirtschaftswachstum (g). Ganz ohne Formeln und Zahlen drückt es Piketty so aus: Das Kapital ist zurück.

SZ: Herr Piketty, die Bundesregierung erwartet für 2014 ein Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent und nennt das Aufschwung. Werden wir jemals wieder ein Wirtschaftswunder erleben?

Thomas Piketty: Die Wachstumsraten werden nie wieder bei fünf Prozent liegen wie in der Nachkriegszeit. So hohes Wachstum gibt es nur, wenn man alles kaputt gemacht hat — was hoffentlich nicht noch einmal passiert. Oder wenn man viel aufzuholen hat im Vergleich zu anderen Ländern. Beides hat Deutschland nach 1945 erlebt. Aber seit den 1980er Jahren ist die Produktivität in Europa und den USA etwa gleich groß, seitdem ist sie nur relativ wenig gewachsen. Das ist allerdings normal, historisch betrachtet. In den vergangenen 300 Jahren ist die Weltwirtschaft inflationsbereinigt im Schnitt um 1,6 Prozent jährlich gewachsen. Die eine Hälfte davon ist Bevölkerungswachstum, die andere technischer Fortschritt, der die Produktivität steigert.

Das hört sich nach wenig an.

Aber wenn es mehrere Jahrhunderte anhält, ist es eigentlich ziemlich viel. Die Zahl der Menschen auf der Erde ist heute zwölf Mal größer als im frühen 18. Jahrhundert. Dieser Zuwachs wird sich allerdings nicht wiederholen. Die UN gehen davon aus, dass das Bevölkerungswachstum verschwindet. Etwa ab 2040 könnte es bei fast Null liegen, vielleicht wird es auch leicht negativ. In Deutschland sind die Jahrgänge, die nun geboren werden, schon deutlich kleiner als vor 30 Jahren.

Also können wir nur auf die Produktivität hoffen?

Die wird wohl weiter wachsen, wenn wir zum Beispiel saubere Energie entwickeln. Aber wichtiger ist: Wenn man dieses scheinbar niedrige Wachstum für eine Generation durchrechnet, ist es nicht so wenig. Bei 1,5 Prozent über 30 Jahre entsteht ein Drittel der Wirtschaft neu. Das ändert den Arbeitsmarkt, die Produkte und Dienstleistungen. Jede Generation muss sich also auf eine erneuerte Struktur einstellen. Es braucht ein gutes Bildungssystem, um sicherzustellen, dass jeder in der neuen Arbeitswelt einen Job findet. Das zeigt schon, dass ein Wachstum von 1,5 pro Jahr Prozent ziemlich viel ist.

Dann ist ja alles gut.

Nun ja: Die Vermögen wachsen schneller als 1,5 Prozent. Historisch gesehen liegt die Wachstumsrate eher bei vier Prozent, wenn man die Erträge vor Abzug der Steuern betrachtet. Für Immobilien und Grundstücke liegt sie meist bei mehr als drei Prozent, für Finanzprodukte eher bei sechs oder sieben Prozent - also höher als das gesamte Wirtschaftswachstum. Das haben wir in der Nachkriegszeit vergessen, weil die Wirtschaft so außergewöhnlich stark gewachsen ist. Das war im 18. und 19. Jahrhundert ganz anders. Die Wirtschaft ist weniger als ein Prozent gewachsen, das Vermögen um vier, fünf Prozent. In der Situation sind wir nun wieder. Das führt zu Vermögensungleichheit und lässt die Mittelklasse schrumpfen. Vor allem, weil es einfacher ist, eine hohe Rendite auf den globalen Finanzmärkten zu erzielen, wenn man bereits ein großes Vermögen hat, das man breit anlegen kann. Die Reichsten können ihr Vermögen meist überdurchschnittlich steigern. Dagegen wird jemand, der 50 000 Euro hat, es kaum schaffen, dafür fünf Prozent Zinsen zu bekommen. Der kann froh sein, wenn er einen Inflationsausgleich bekommt.

Also brauchen wir eine Steuer, die die Erträge der Kapitaleinkommen so drückt, dass sie mit dem Wirtschaftswachstum gleichauf liegen?

Das klingt wie eine einfache Lösung, aber das wäre zu brutal. Das würde dem Wachstumsmotor der Gesellschaft komplett den Saft abdrehen. Die Motivation, Kapital und Vermögen anzuhäufen, wäre dahin. Dabei ist es gut für eine Gesellschaft, wenn es viel Kapital gibt. Denn dazu gehören auch Technik und Maschinen, die uns produktiver machen. Und Kapital ist besser als Schulden. Europa redet darüber, dass wir unseren Kindern so viele Schulden hinterlassen. Aber die Wahrheit ist, dass wir ihnen mehr Vermögen hinterlassen als jede andere Generation zuvor.

Wo ist dann das Problem?

Der Wohlstand ist nicht richtig verteilt. Deswegen bin ich für eine progressive Vermögensteuer, die steigt, je reicher jemand ist. Sie soll nicht die Leute treffen, die anfangen, Vermögen anzuhäufen. Aber sobald man eine bestimmte Schwelle überschritten hat, muss man zahlen. Ich bin nicht dafür, Kapitalerträge höher zu besteuern. Für Menschen mit wenig Erträgen sollte die Steuer sogar sinken.

Wie könnte eine progressive Vermögensteuer konkret aussehen?

Sie ist wie eine zivilisierte Form der Inflation. Die Inflation hilft zwar verschuldeten Staaten, ihre Kredite in den Griff zu bekommen. Aber sie vernichtet viel privaten Wohlstand, vor allem bei Menschen, die nur Ersparnisse auf dem Konto haben. Bürger dagegen, die Immobilien und Grundstücke besitzen, verlieren gar nichts. Das ist Umverteilung in die falsche Richtung. Inflation ist also wie eine regressive Vermögensteuer, die Arme stärker trifft als Reiche. Ich möchte den gegenteiligen Effekt erreichen: Menschen mit weniger als 100 000 oder 200 000 Euro auf dem Sparbuch zahlen keine Vermögensteuer. Bis 500 000 Euro oder eine Million Euro wird ein Prozent fällig, darüber zwei Prozent. Die Steuerlast behandelt dann jeden gemäß seiner Zahlungsfähigkeit. Diese Politik bevorzugt nicht diejenigen, die ihr Vermögen in Immobilien gesteckt haben.

Aber Selbstständige müssen mehr Geld sparen als Arbeitnehmer, die noch eine Rente bekommen.

Da müssen natürlich Ausnahmen eingebaut werden. Man sieht schon: Die progressive Vermögensteuer ist kein leichter Weg. Aber sie ist viel besser als andere Optionen.

Noch ein Problem dieser Lösung: Wenn wir Kapital in Deutschland höher besteuern, könnten die Reichen ins Ausland abhauen.

Das ist die Situation, in der Griechenland gerade steckt. Wir europäischen Partner fordern von der Regierung dort, das Steuersystem zu verbessern. Aber Griechenland kann das nicht allein hinbekommen, wenn sich das Kapital frei in Europa bewegt. Für reiche Griechen ist es sehr leicht, im Internet ein paar Mal zu klicken, um ihr Geld auf das Konto einer deutschen oder französischen Bank zu überweisen. Es ist also völlig verrückt, dass Griechenland ohne Rückendeckung die Steuern für Reiche erhöhen soll. So werden sie die Reichen nicht zum Zahlen bringen. Stattdessen privatisieren sie staatliches Eigentum, zu sehr niedrigen Preisen, weil sie es schnellstmöglich losschlagen. So kommen nun ausgerechnet die reichen Griechen, die keine Steuern zahlen, billig an Staatseigentum. Das ist genau das Gegenteil von dem, was passieren sollte. Und wir geben den Griechen daran die Schuld. Aber es ist auch unsere Schuld.

Also mehr Integration?

Wir brauchen eine Fiskalunion, aber die Europäer sollten nicht alle Steuern und staatlichen Ausgaben zusammenlegen. Dennoch sollten wir die Steuerpolitik, die grenzübergreifende Geschäfte betrifft, eng koordinieren. Es ist sehr schwierig, sich darauf zu einigen, welche Unternehmensgewinne von der Körperschaftsteuer eigentlich betroffen sein sollen - wir haben gerade 17 verschiedene Regeln dazu in der Euro-Zone. Als Konsequenz finden multinationale Konzerne immer einen Weg, weniger Steuern zu zahlen als die kleineren Firmen, indem sie ihre Gewinne verschieben und geringe Unterschiede in den Steuergesetzen ausspielen. Das ist unsinnig. Jedes Land verliert. Und es regt die Öffentlichkeit auf, weil es so aussieht, als ob wir nur diejenigen mehr besteuern, die nicht mobil sind: Verbraucher und normale Arbeitnehmer. Das kann nicht so weitergehen, sonst werden die Bürger sich gegen europäische Integration auflehnen. Das macht mir große Sorgen.

Linktipp: Piketty hat viele seiner ökonomischen Daten auf seiner Webseite veröffentlicht, zu seinem Buch und anderen Forschungen.

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