Süddeutsche Zeitung

Ungleichgewicht bei Exporten und Importen:Deutsche Wirtschaft wehrt sich gegen Vorwürfe aus den USA

Die USA wollen, dass Deutschland weniger auf den Export setzt und stärker die Binnennachfrage fördert, die bisher "blutleer" sei. Die deutsche Wirtschaft bringe Europa aus dem Gleichgewicht, sagt das US-Finanzministerium. Mittlerweile hat die Bundesregierung auf die Vorwürfe reagiert - und auch Wirtschaftsverbände verteidigen sich gegen die Vorwürfe aus Amerika.

Sind die Beziehungen zwischen Staaten in der Krise, kommt es zuweilen auf die kleinen Sätze an, manchmal sogar auf ein einzelnes Wort. Das gilt gerade besonders für das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland, das wegen der Affäre um das Kanzlerinnen-Handy und die Praktiken des US-Geheimdientes NSA angespannt ist.

Das Wort, um das es geht, heißt "anemic", auf Deutsch etwa: "blutleer": Es steht im sogenannten Währungsbericht, der alle sechs Monate erscheint (hier der gesamte Text als PDF). Mit diesem Adjektiv übt das US-Finanzministerium deutliche Kritik an der Wirtschaft Deutschlands, vor allem an der schwachen Nachfrage. Der Satz ist so ziemlich das einzig Neue in den Abschnitten, die sich mit der deutschen Wirtschaft beschäftigen. Kritik an der deutschen Fixierung auf den Export gab es schon im vorherigen Bericht vom April - doch nun ist sie deutlich schärfer formuliert:

"Germany's anemic pace of domestic demand growth and dependence on exports have hampered rebalancing at a time when many other euro-area countries have been under severe pressure to curb demand and compress imports in order to promote adjustment".

Deutschlands Ökonomie sei im Vergleich zu stark vom Export angetrieben. Der Handelsüberschuss sei im ersten Halbjahr auf mehr als sieben Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen. Aus amerikanischer Sicht sollte sich das Land stärker darauf fokussieren, die Inlandsnachfrage zu stärken, denn die deutsche Politik führe zu deflationären Tendenzen und zu Ungleichgewichten in der Euro-Zone. Soll bedeuten: Die Deutschen kaufen zu wenig, verkaufen im Vergleich zu viel ins Ausland. Dabei müssten es doch die Euro-Staaten in der Krise wie Spanien oder Griechenland sein, die mehr exportieren. Die deutsche Kaufkraft könnte ihnen zugutekommen und ihre Handelsdefizite ausgleichen.

Im Grunde genommen enthält der Währungsbericht keine revolutionären Neuigkeiten, sondern weist nur auf die seit jeher unterschiedlichen Ansätze Deutschlands und der USA hin. Während die US-Regierung und die Notenbank Fed der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Förderung des Wachstums die höchste Priorität einräumen, liegt der Fokus in Deutschland traditionell stärker auf der Bekämpfung der Inflation und der Förderung der Exportwirtschaft, die einen erheblichen Teil zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Solche Zielkonflikte werden in der volkswirtschaftlichen Theorie gerne mit dem sogenannten magisches Viereck illustriert - magisch deshalb, weil die Ziele sich in der Realität meist nicht alle in gleichem Maße verwirklichen lassen.

Entscheidend sind der Ton und die Tatsache, dass in früheren Berichten vor allem China der Hauptadressat deutlicher Kritik war. Zwar warnt das US-Finanzministerium auch diesmal, die chinesische Währung Yuan sei "signifikant unterbewertet", im Vergleich zu den Anmerkungen zu Deutschland fällt die Bewertung Chinas aber vergleichsweise milde aus.

Ziel des Währungsberichtes ist es, auf Ungleichgewichte hinzuweisen, mit denen sich die Handelspartner Wettbewerbsvorteile gegenüber den USA verschaffen. Solche Vorteile ergeben sich zum Beispiel, wenn ein Land den Wert seiner Währung niedrig hält, um seine Produkte günstiger herstellen und billiger ins Ausland verkaufen zu können, so wie es China seit Jahren tut.

Droht Deutschland auch Ärger aus Brüssel?

Kritik an Deutschland gibt es aber offenbar nicht nur von Seiten der USA: Nach einem Bericht der Zeit droht auch die EU-Kommission Deutschland wegen seiner hohen Exportüberschüsse mit einer Rüge. Nach den neuen Regeln, nach denen die Kommission das "ordnungsgemäße Funktionieren der Währungsunion" überprüft, dürfte der Überschuss in der Leistungsbilanz maximal sechs Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. Gegen diese Vorgabe verstöße Deutschland nun zum ersten Mal.

Allerdings relativiert die Kommission die Aussagen in dem Zeit-Artikel: "Jegliche Diskussionen über Sanktionen gegen irgendein Mitgliedsland machen zu diesem Zeitpunkt keinen Sinn", sagte eine Sprecherin von EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier. Details zu ihren Untersuchungen in den einzelnen Staaten werde man erst Mitte November vorlegen Verletze ein Land einen der entsprechenden Indikatoren, bedeute das nicht automatisch, dass weitere Schritte unternommen würden.

Bei der Bundesregierung stößt die Kritik aus den USA auf Unverständnis: Die Vorschläge, Deutschland solle sich weniger beim Export engagieren, könne er in "gar keiner Weise nachvollziehen", sagte Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter (CDU) am Rande der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD. Die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner sagte: "Wir sind ein starkes Exportland schon immer gewesen und stolz darauf". Jedes Land müsse versuchen, möglichst wettbewerbsstark zu sein, sagte die CSU-Politikerin. Die hohe Exportfähigkeit sei auch für viele Arbeitsplätze wichtig.

Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, bezeichnet die US-Vorwürfe sogar als unsinnig und falsch. Der Handelsüberschuss behindere keine Neuordnung in der Euro-Zone. Deutschland sei einfach ein wettbewerbsfähiger Standort, habe vor Jahren Reformen umgesetzt und verfüge heute über einen ausgeglichenen Haushalt. Beim Industrieverband BDI hieß es: "Die Exportstärke Deutschlands ist das Ergebnis von innovativen Produkten, die in der ganzen Welt beliebt sind und gekauft werden."

Dagegen plädierte der SPD-Politiker Hubertus Heil ähnlich wie das US-Finanzministerium für mehr Wachstumsimpulse in Deutschland aus dem Inland. "Die Aufgabe, die wir national wahrnehmen müssen, ist die Binnennachfrage in Deutschland zu stärken", sagte er. Das bedeute auch eine angemessene Lohnentwicklung. Zudem müsse für mehr Investitionen im Inland gesorgt werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1807959
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/Reuters/olkl/jab/sekr/kjan
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.