Süddeutsche Zeitung

Ungarn:Orbán will sein Land zum Steuerparadies machen

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Von Cathrin Kahlweit, Wien

Schon bisher hatte Ungarn eine niedrige Körperschaftsteuer, also jene Steuer, die Unternehmen auf ihr Betriebsergebnis zu entrichten haben: zehn Prozent für kleine und mittlere Firmen, 19 Prozent für Großunternehmen. Jetzt hat Ministerpräsident Viktor Orbán auf einer Konferenz für Digitalstrategien angekündigt, diese Steuern noch einmal zu senken: auf neun Prozent für alle. Das Land werde damit die besten Konditionen in der ganzen EU anbieten, so Orbán, und die Konkurrenz anderer Steuerparadiese für Unternehmen ausstechen - eine neue Steueroase mit Ansage also. Zum Vergleich: Irland lockt mit 12,5 Prozent für kleine und 25 Prozent für große Firmen, Bulgarien mit fünf beziehungsweise zehn Prozent, Zypern mit 12,5 Prozent für alle.

Eine solche Steuersenkung kostet den Staat Geld, aber Wirtschaftsminister Mihály Varga rechnete lieber vor, was mit diesem Schritt ab 2017 in den Taschen der Unternehmer bleiben werde: 470 Millionen Euro. Was die Regierung mit dem Schritt bezweckt, ist klar: Im Wettrennen um Unternehmensansiedlungen war Ungarn in den letzten Jahren zurückgefallen; die Unsicherheit über die politischen Verhältnisse hatte Investoren irritiert. Zudem soll die Abwanderung von Firmen gestoppt werden.

Das Online-Portal Pester Lloyd meldet, dass in den vergangenen fünf Jahren 1400 von 3200 US-Firmen dem Land den Rücken gekehrt hätten. Europäische Konzerne, allen voran die Autoindustrie, investieren zwar nach wie vor in Ungarn, klagen allerdings über hohe Lohnnebenkosten und einen massiven Facharbeitermangel. Der wiederum ist unter anderem durch die Abwanderung qualifizierter lokaler Arbeitskräfte nach Westeuropa bedingt, wo höhere Löhne gezahlt werden.

Die deutsch-ungarische Industrie-und Handelskammer etwa zeigte sich in ihrem Konjunkturbericht 2016 zwar optimistisch und ließ wissen, dass sich die "robuste Wirtschaftslage in steigenden Investitions-‐ und Beschäftigungsabsichten" niederschlage: 38 Prozent der Firmen wollten mehr investieren als 2015, das Personal wollten sogar 43 Prozent aufstocken. Aber: 54 Prozent der Befragten seien unzufrieden mit der Verfügbarkeit von Fachkräften, im verarbeitenden Gewerbe seien es sogar 66 Prozent. Ursache seien, so die deutschen Unternehmer, eklatante Mängel in Berufsausbildung und Hochschulwesen.

Die Regierung plant nach Medienberichten nun offenbar auch eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns um 25 Prozent, gleichzeitig soll aber der Arbeitgeberanteil um einige Prozentpunkte gesenkt werden. Der Wirtschaftsminister bezeichnete auch Lohnerhöhungen von Arbeitgeberseite als notwendig: "Wir erwarten nicht nur, dass Unternehmen die Löhne anheben, sondern bieten im Gegenzug massive Steuersenkungen an." Die Einkommensteuern würden allerdings nicht gesenkt.

Das Vorhaben könnte den Abbau der hohen Verschuldung torpedieren

Die neuen Steuerpläne aus Budapest bewertet das auf Wirtschaft spezialisierte ungarische Online-Portal Portfolio als Steuergeschenk für Großunternehmen und gleichzeitig als riskant, weil damit der Abbau der hohen Staatsverschuldung torpediert werde. Ziel sei langfristig, die Spaltung von Steuersätzen für mittlere und große Unternehmen zu beenden; auch die Einkommensteuer war nach der Regierungsübernahme auf eine Flatrate reduziert worden. Sorgen bereite, so Portfolio, der Rückgang der Wachstumsraten im dritten Quartal, allerdings sei die ungarische Wirtschaft bis dato mit 2,5 Prozent Wachstum in 2016 relativ stabil gewesen.

Einen Erfolg konnte Budapest im Ringen mit der EU-Kommission um das umstrittene Kernkraftwerk Paks II erreichen. Brüssel hatte unsaubere Auftragsvergaben und mangelnde Transparenz bei dem 12-Milliarden-Projekt untersucht, das Ungarn gemeinsam mit Moskau plant. Zwei Blöcke sollen zu dem bereits bestehenden AKW hinzugebaut werden, die Verträge wurden von Budapest nie offengelegt. Der Widerstand nicht nur in Brüssel, sondern auch im eigenen Land war und ist immens. Nun hat die EU-Kommission nach Angaben des ungarischen Kanzleramts das Verfahren eingestellt.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2016
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