Süddeutsche Zeitung

Versicherungen im Vergleich:Was ist sinnvoller: Unfallversicherung oder Berufsunfähigkeitspolice?

Jüngere versichern sich oft lieber gegen Unfälle als gegen Berufsunfähigkeit. Doch Verbraucherschützer raten vielen zu einer anderen Entscheidung. Mit Tarif-Tabelle zu Unfallversicherungen.

Von Jonas Tauber, Berlin

Das ist ein Hingucker, den die Versicherung VHV da auf ihrer Homepage präsentiert: "Til Schweiger in: Gigantisch abgesichert", heißt es auf der nach Art eines Filmplakats. Daneben das Konterfei des Filmstars und ein Hubschrauber im Rettungseinsatz. Außerdem das Preisschild: "Bereits ab 2,90 monatlich."

Schweiger ist nicht nur der Hauptdarsteller der Spots, mit seiner Produktionsfirma Barefoot Films agiert er auch als Regisseur und Produzent. Der Mann ist nicht billig. Aber der Aufwand lohnt sich für den Auftraggeber: Das beworbene Produkt - eine Unfallversicherung - gehört zu den lukrativsten Versicherungssparten überhaupt.

Unfallversicherungen zahlen dann, wenn Versicherte bei einem Unfall dauerhafte Einschränkungen erleiden. Die Anbieter zielen dabei in erster Linie auf Freizeitaktivitäten. Bei Arbeitsunfällen greift der gesetzliche Schutz über die Berufsgenossenschaften. Auch Unfälle in der Schule, im Kindergarten oder auf dem Weg dorthin sind über eine gesetzliche Versicherung abgedeckt.

Kalkuliert wird mit einer "Gliedertaxe": Je nach Körperteil gibt es unterschiedliche Summen

Kernleistung der privaten Unfallversicherung ist eine Geldzahlung bei Invalidität. Die Höhe hängt von der Versicherungssumme und der Schwere der körperlichen Beeinträchtigung ab. Die Versicherer arbeiten mit einer sogenannten Gliedertaxe: Die VHV kalkuliert mit 70 Prozent Invalidität für eine funktionsuntüchtige Hand und mit 80 Prozent für ein Bein. Daneben gibt es Bausteine wie Todesfallleistungen, Krankentagegeld oder Assistance-Leistungen.

Der Abschluss solch einer privaten Unfallversicherung kann sinnvoll sein. Verbraucherschützer warnen aber zu Recht vor einem falschen Sicherheitsgefühl. "Der Schutz der Unfallversicherung wird häufig überschätzt", sagt Philipp Opfermann von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. "Die Leute denken, ein Unfall ist das schlimmste, was einen treffen kann", so der Versicherungsexperte. "Tatsächlich sind Krankheiten das viel größere Risiko." Denn in den allermeisten Fällen sorgen Krankheiten dafür, dass Menschen berufsunfähig werden. Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychische Krankheiten stellen ein viel größeres Risiko dar als Unfälle - auch für jüngere Menschen.

Opfermanns Botschaft deshalb: Bevor Verbraucher über eine Unfallversicherung nachdenken, sollten sie eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen. "Wenn das primäre Ziel die Absicherung der Arbeitskraft ist, ist die Unfallversicherung keine echte Alternative zur Berufsunfähigkeitsversicherung", so der Verbraucherschützer. Für Kinder sei wiederum die Kinderinvalidätsversicherung eine bessere Alternative zur Unfallversicherung, denn sie greift auch bei Krankheit.

Allerdings: Berufsunfähigkeitspolicen, kurz BU, sind sehr viel teurer als Unfallversicherungen. Zwischen 83 Euro und 370 Euro kostet eine Berufsunfähigkeitspolice für einen 35-jährigen Malermeister - im Monat. Eine Unfallversicherung kann der Mann für 180 Euro bis 280 Euro kriegen - im Jahr. Wegen dieses enormen Preisunterschieds und weil jüngere Menschen ihr Hauptrisiko eher bei Unfällen sehen, blüht diese Versicherungssparte.

Wer sich für den Abschluss einer Unfallversicherung entscheidet, dem rät Bianca Boss vom Bund der Versicherten zu einem Vertrag mit einer Grundinvaliditätssumme von mindestens 100 000 Euro. Außerdem empfiehlt sie die Vereinbarung einer sogenannten Progression von mindestens 225 Prozent. Das sorgt für höhere Leistungen bei Fällen von schwerer Invalidität. Der Verband bietet auf seiner Homepage außerdem eine Liste mit Kriterien für einen guten Vertrag.

Im vergangenen Jahr nahm die Branche 6,7 Milliarden Euro an Prämien ein

Von einer Unfallversicherung grundsätzlich abraten will Verbraucherschützer Opfermann nicht. Sie könne sinnvoll sein, etwa für Menschen, die keine BU bekommen. Dann gibt es zumindest einen Teilschutz. Für ältere Menschen könne die Police wegen der Unterstützungsleistungen, den Assistance-Services, Sinn machen.

Die Preisunterschiede sind dabei beträchtlich. Das Hannoveraner Analysehaus Franke und Bornberg hat für die Süddeutsche Zeitung aus seiner umfassenden Übersicht zehn Tarife mit Top-Schutz herausgefiltert. Für einen 30-jährigen Bankangestellten reichen die Preise von 117 Euro bis 185 Euro im Jahr. Für andere Berufsgruppen sind sie höher. Um die richtige Versicherung zu finden, sollten sich Verbraucher bei Verbraucherzentralen und Stiftung Warentest informieren, rät Versicherungsexperte Opfermann. Im nächsten Schritt ist es sinnvoll, sich auf Vergleichsportalen wie Check24 und Verivox einen Überblick zu verschaffen.

Wenn die Tabelle nicht richtig dargestellt wird, können Sie hier klicken.

Die VHV kontert die Argumente der Verbraucherschützer, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung wichtiger ist: "Als Bausteine für die persönlichen Risikovorsorge sind sowohl die private Unfallversicherung als auch die Berufsunfähigkeitsversicherung sehr wichtig", sagt ein Sprecher. "Sie ergänzen sich teilweise, erfüllen jedoch unterschiedliche Zwecke." Was wohl auch eine Rolle spielt für den Versicherer: Am liebsten verkauft er zwei Verträge.

Und es sind viele, so sind die Gewinne aus der Unfallversicherung beträchtlich. 2020 nahm die Branche 6,7 Milliarden Euro an Prämien ein. Für Schäden gab sie gerade mal 3,3 Milliarden Euro aus, weniger als 50 Prozent der Einnahmen. 1,7 Milliarden Euro gingen für Provisionen und Verwaltungskosten drauf. Aber es bleibt ein ordentlicher Gewinn bei den Versicherern: ebenfalls rund 1,7 Milliarden Euro. Die Sparte ist damit viel profitabler als Auto- oder Gebäudeversicherungen. Und ausgerechnet die Corona-Pandemie treibt die Gewinne nochmal nach oben: Die Menschen treiben weniger Sport und reisen kaum. Also gibt es deutlich weniger Unfälle.

Auch die VHV verdient mit Unfallpolicen gutes Geld: Bei Beitragseinnahmen von 47 Millionen Euro blieb nach Ausgaben für Leistungsfälle, Vertriebs- und Verwaltungskosten ein Gewinn in Höhe von 17 Millionen Euro. Der Einsatz von Til Schweiger hat sich definitiv gelohnt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5306165
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.