Süddeutsche Zeitung

Wettbewerb:Europa knöpft sich Google vor

  • Die Wettbewerbskommissarin Vestager wirft Google vor, seine Marktmacht zu missbrauchen. Das Unternehmen soll sich einen "unfairen Vorteil" aus der Dominanz bei Suchmaschinen und mobilen Betriebssystemen verschaffen.
  • Eine Strafe könnte bis zu sechs Milliarden Euro hoch sein. Ärgerlicher wären aber für Google Zugeständnisse, die langfristig das Geschäft stören.
  • Europa will Google nicht nur beim Wettbewerb, sondern auch beim Datenschutz und Steuern Grenzen aufzeigen.

Von Varinia Bernau

Wer wissen will, welche Vorteile echter Wettbewerb für Verbraucher hat, der sollte nach Tschechien reisen. In dem kleinen Land gibt es nämlich nicht nur Google und all seine kostenlosen Dienste wie Karten fürs Smartphone oder die Videoplattform Youtube. Dort gibt es auch eine tschechische Suchmaschine, die genauso gut Auskunft gibt wie Google. Und es gibt sogar einen noch detaillierteren Kartendienst und einen Streamingdienst, der in einer eigens produzierten Satire die tschechischen Politiker piesackt.

Tschechien ist das einzige Land in Europa, in dem der lokale Anbieter Seznam dem amerikanischen Internetkonzern die Stirn bietet. In all den anderen Ländern aber ist Googles Macht inzwischen sehr groß geworden. Neun von zehn Europäern nutzen inzwischen Google, wenn sie etwas im Internet suchen. Je größer Googles Macht wurde, desto größer wurde bei vielen Europäern auch das Unbehagen - und schließlich der Widerstand. Nun knöpft sich die EU-Kommission den Konzern vor. Die Behörde leitet offiziell ein Wettbewerbsverfahren ein.

Google verschaffe sich einen "unfairen Vorteil"

Der Verdacht: In der Trefferliste seiner Suchmaschine platziert Google die Ergebnisse seines eigenen Preisvergleichsportals prominenter als jene der Konkurrenz. Sie fürchte, dass sich Google so "einen unfairen Vorteil verschafft" habe, sagte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Sie wolle sich nicht einmischen in die Fragen, wie die Internetseite gestaltet oder der Algorithmus programmiert werde, aber: "Es geht darum, dass Verbraucher die besten Ergebnisse bekommen und Firmen mit den innovativsten Angeboten im fairen Wettbewerb stehen."

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Der Konzern hat nun zehn Wochen Zeit, um darauf zu reagieren. In einem Blogeintrag machte Amit Singhal, verantwortlich für die Suchmaschine, zunächst nur deutlich, dass Google die Sache grundsätzlich anders sieht: "Jeder Ökonom würde sagen, dass man typischerweise nicht tonnenweise Innovation, neue Anbieter und Investitionen in einem Sektor sieht, in dem der Wettbewerb nachlässt - oder der von einem Unternehmen beherrscht wird", schrieb er. "Aber genau das passiert in unserer Welt." Zalando habe doch gerade erst einen beachtlichen Börsengang hingelegt, Amazon und Facebook tüftelten ihrerseits an Möglichkeiten, das Netz zu sortieren; kleine Suchmaschinen wie Duck Duck Go hätten Geld bei Investoren eingesammelt; und Sprachassistenten wie Siri auf dem iPhone ließen erahnen, dass da noch einiges komme.

Bußgeld wäre verkraftbar

Wettbewerbskommissarin Vestager betonte, dass alle Wege offen seien. Aber wenn es am Ende keine Lösung gebe, werde die Kommission nicht vor einer Strafe zurückschrecken. Dem Konzern droht dann ein Bußgeld von etwa sechs Milliarden Euro. Im jüngsten Quartal allein hat Google fast so viel verdient. Die Strafe wäre also schmerzlich, aber verkraftbar.

Ärgerlicher wäre es für Google, Zugeständnisse machen zu müssen, die das glänzende Geschäft stören.

Die Suchmaschine ist für Google von enormer Bedeutung - ebenso wie der europäische Markt. Je mehr Menschen bei Google etwas suchen, desto besser kennt der Konzern die Gewohnheiten dieser Menschen, kann Werbung passgenau platzieren, neue Dienste daran ausrichten und so noch mehr Menschen auf seine Seiten locken. Der Konzern macht 90 Prozent seiner Umsätze mit Werbung, etwa zwei Drittel davon außerhalb seiner Heimat.

Das mobile Betriebssystem Android ist Googles Versuch, dieses wertvolle Geschäft in eine Zeit zu retten, in der sich die Menschen nicht mehr nur zu Hause an den Computer setzen, sondern auch unterwegs im Netz surfen. Der Internetkonzern stellt Handyherstellern diese Software kostenlos zur Verfügung - und hat so dafür gesorgt, dass weltweit inzwischen acht von zehn Smartphones von Android angetrieben werden. Auch Android sieht sich die Kommission nun genauer an: Will ein Handyhersteller wie etwa Samsung neben Android auch Dienste von Google anbieten, beispielsweise das Kartenmaterial, den E-Mail-Dienst Youtube oder eben die Suchmaschine, so muss er das gesamte Paket buchen und darf sich nicht einzelne Dienste aussuchen. Daran stört sich Vestager, weil die meisten Menschen die Dienste nutzen, die auf einem Smartphone bereits installiert sind - statt andere Dinge auszuprobieren.

Die Kommission will zudem prüfen, ob Google mit Anreizen für Hersteller, eigene Dienste exklusiv vorzuinstallieren, die Konkurrenten illegalerweise auf Abstand gehalten oder andere Entwickler sogar dabei behindert hat, eine eigene Version des offenen Systems Android zu vermarkten.

Dass der wohl wichtigste Wegweiser im Netz den Menschen zuallererst den Weg zu den eigenen Diensten weist - diesem Vorwurf von etwa 30 Wettbewerbern geht die Kommission seit fünf Jahren nach. Der damalige Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia hatte Google bereits einige Zugeständnisse abgerungen. Er wollte die Sache schon zu den Akten legen. Doch dafür wurde er nicht nur innerhalb der Kommission kritisiert, sondern auch von Politikern und Managern aus den Mitgliedsstaaten.

So funktioniert Google

Wer schnell etwas googelt, ist sich wohl kaum bewusst, was eine simple Anfrage in den Rechenzentren von Google auslöst - das Ergebnis kommt ja in Sekundenbruchteilen zurück. Damit Suchanfragen so schnell abgearbeitet werden können, arbeiten viele Computer parallel, in Einzelfällen können das Hunderte sein. Sie suchen aber nicht etwa das World Wide Web mit seinen Milliarden Seiten ab, das würde viel zu lange dauern. Sie durchkämmen vielmehr einen sogenannten Index, also ein Verzeichnis von Seiten, das Google bereits angelegt hat. Wie der Internetkonzern das genau macht, beschreibt der Google-Algorithmus - eine mathematisch gefasste Abfolge von Anweisungen. Wie dieser Algorithmus im Einzelnen funktioniert, gehört zu den am besten gehüteten Geheimnissen der Firma. Mittlerweile lebt ein ganzer Berufszweig davon, möglichst gut herauszukriegen, wie man es schafft, von Google besser bewertet - auf Fachchinesisch: gerankt - zu werden.

Einiges davon ist zwar seit Längerem bekannt. So gilt im Wesentlichen die erste Google-Regel weiter, dass vor allem das für wichtig befunden wird, worauf viele Menschen vertrauen. Eine bekanntermaßen seriöse Seite, die viele Nutzer anzieht, wird auch bei Google hoch gerankt werden. Aber weder der Index, noch der Algorithmus sind statisch. Vor allem der Index ist ein lebendes Wesen. Schon wenige Minuten nach einem Großereignis finden sich unter dem entsprechenden Suchwort Nachrichten zu diesem Thema. Spezielle Computer durchpflügen dazu ständig das Netz, Nachrichtenseiten bekommen häufig Besuch von Google.

Aber auch der Algorithmus, der regelt, was wo in den Suchergebnissen auftaucht, wird ständig verändert. Oft merken davon nur die Experten etwas, in größeren Abständen aber nimmt der Konzern aber auch einschneidende Änderungen vor. Auf jeden Fall hat es die Firma in der Hand zu steuern, wer weit oben angezeigt wird und wer nicht. Was entscheidend ist, denn die meisten Nutzer gucken nur bei den ersten Suchergebnissen. Dass Google dabei das Ziel verfolgt, möglichst relevante Ergebnisse anzuzeigen, liegt eigentlich im Firmeninteresse. Nur Nutzer, die finden, was sie suchen, werden wieder kommen und auf eine Anzeige klicken.

Damit verdient Google nämlich sein Geld: als Werbefirma, die mit gut funktionierenden Diensten Nutzer auf seine Seiten lockt. Dort steht unaufdringliche Werbung, die zum Suchbegriff passt und sich daher für die Werbetreibenden lohnt. Von Googles 18,1 Milliarden Dollar Umsatz im vierten Quartal 2014 stammten 16,1 Milliarden aus dem Werbegeschäft. Helmut Martin-Jung

Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Medienkonzerns Axel Springer, bekannte in einem leidenschaftlichen Essay in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, warum sich Europa vor Google fürchten müsse. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel legte nach und brachte gar den Gedanken an einer Zerschlagung ins Spiel. Auch das Europaparlament sprach sich im November 2014 dafür aus - und machte so deutlich, dass es von der neuen EU-Kommission unter der Führung von Jean-Claude Juncker mehr Entschlossenheit erwarte. Und die Chefs der zehn führenden Telekommunikationskonzerne stellten Juncker zum Amtsantritt einen Brief zu, in dem sie härtere Regeln für Google forderten.

Bei dem Konzern selbst beobachtet man wiederum mit großer Sorge, wie sich die Wahrnehmung wandelt: Vor Kurzem war man doch noch das nette Unternehmen aus der Garage - und nun der Inbegriff des Bösen? Bei Google erklären sie sich das auch mit der Scheu vor Technik und einer tief sitzenden Antipathie gegenüber allem, was aus Amerika kommt. Google hat aber auch aus den Fehlern gelernt, die Microsoft im Streit mit den Wettbewerbshütern um die Jahrtausendwende gemacht hat. Der Konzern zeigte sich kompromisslos - und musste schließlich ein Bußgeld von zwei Milliarden Dollar zahlen. Deshalb halten es Beobachter durchaus für wahrscheinlich, dass Google eine Einigung außerhalb des Gerichtssaal sucht.

Dass die Europäer dem amerikanischen Konzern immer stärker Grenzen aufzeigten, nicht nur in Fragen des Wettbewerbs, sondern auch beim Datenschutz und Steuern - das sorgte zuletzt sogar bei US-Präsident Barack Obama für Unmut. Er unterstellte den Europäern Protektionismus: Unsere Unternehmen, so sagte er dem US-Blog Recode, haben das Internet geschaffen, ausgeweitet und perfektioniert - und zwar in einer Art, mit der die Europäer nicht mithalten können.

Auch in Europa räumen selbst die Politiker wie Manager, die Vestager für ihren entschlossenen Schritt loben, ein, dass ein Wettbewerbsverfahren allenfalls ein Mittel von vielen sein kann, um die Kluft zwischen den strahlenden Technologiekonzernen jenseits und den klammen Nachzüglern diesseits des Ozeans zu schließen. Ebenso wichtig sind der Ausbau schneller Netze, die Bereitstellung von Wagniskapital - und das Signal an Menschen mit guten Ideen, daraus auch ein Geschäft zu machen.

Übrigens: Der tschechische Konkurrent Seznam gehört nicht zu den Beschwerdeführern gegen Google. Er habe manchmal den Eindruck, dass Politiker gerne Probleme herbeireden, damit sie diese selbst lösen können, sagt Firmenchef Pavel Zima. Er glaube an den freien Wettbewerb - und wisse, dass er selbst einiges dafür tun muss.

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Quelle:
SZ vom 16.04.2015/kbrunner
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