Umweltschutz:Blaue Plakette kommt nicht - das stinkt verdächtig

Auspuff eines Dieselfahrzeugs

Diesel-Abgase gelten als besonders gesundheitsschädlich.

(Foto: dpa)

Dabei wollte die Politik doch für saubere Luft kämpfen. Jetzt hat sich aber offenbar die mächtige Autoindustrie durchgesetzt.

Kommentar von Jan Heidtmann

Vergangenen April gab es tatsächlich einmal einen Moment zum Aufatmen - und zwar im reinsten Sinne des Wortes. Damals hatten sich die Umweltminister der Länder mitsamt der Berliner Ressortchefin Barbara Hendricks auf eine mittelgroße Revolution verständigt. Sie beschlossen, die Blaue Plakette für Autos einzuführen.

Es wäre neben dem gelben, grünen und roten Aufkleber der nächste zum Schutz vor Abgasen gewesen; in diesem Fall vor Stickstoffdioxid, das vor allem Dieselfahrzeuge ausstoßen. Es wäre auch ein Zeichen des Selbstbewusstseins gegenüber der Autoindustrie nach dem unseligen Abgas-Skandal gewesen. Doch die Revolution findet nicht statt, das Umweltministerium sagt nun, die Pläne seien "auf Eis gelegt worden". Ein weiterer Beleg für die Macht der Autolobby und dafür, wie kleinmütig die Bundesregierung beim Umweltschutz agiert.

Stickstoffdioxid verstopft die Atemwege, setzt sich in der Lunge fest, schädigt das Herz. Menschen erkranken und sterben daran. Das Gift ist allgegenwärtig, vor allem in den Städten, verursacht hauptsächlich durch den Verkehr. Die Europäische Union hat 2010 einen Grenzwert dafür erlassen, wie viel Stickstoffdioxid sein darf. In Berlin, Essen, München, Düsseldorf oder Wiesbaden wird er regelmäßig kräftig überschritten, die Liste der Städtenamen ließe sich fortsetzen. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen stuft Diesel-Abgase deshalb auch "als das derzeit wichtigste Problem der Luftverschmutzung" ein.

Bei den Abgasen trickst der Staat herum

Doch weder die Gemeinden, die Länder noch der Bund scheren sich ernsthaft darum. Wenn es um die Sauberkeit der Luft geht, also um die Gesundheit der Bürger, ist der Rechtsbruch zur Norm geworden. Während jeder Schwarzfahrer und Falschparker hartnäckig vom Staat verfolgt wird, trickst der Staat hier herum.

Die EU hat bereits im vergangenen Jahr ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, und gegen mehr als ein Dutzend deutsche Städte oder Länder laufen Prozesse vor Verwaltungsgerichten. Wo Urteile gesprochen wurden, sind sie meist zugunsten der klagenden Umweltschutzorganisationen ausgefallen. Wegen der absurd hohen Abgaswerte in Limburg hat die Deutsche Umwelthilfe jetzt sogar ein Zwangsvollstreckungsverfahren gegen das hessische Umweltministerium angestrengt.

Der Fall Stuttgart zeigt, wie wichtig klare Vorschriften sind

Denn die beklagten Gemeinden wehren sich mit viel Macht gegen die rechtskräftigen Urteile. Zu stark ist der Druck von Ladenbesitzern in den Innenstädten, von Autofahrern, von Handwerksbetrieben, die auf ihre Dieselfahrzeuge angewiesen sind. So klagt die Stadt München jetzt ihrerseits gegen einen Spruch des Verwaltungsgerichts. Es hatte darauf gedrungen, dass ältere Diesel von den Straßen verschwinden müssen.

Wie wichtig aber klare Vorschriften sind, weil wenige Autofahrer freiwillig bereit sind, einen Beitrag zu leisten, hat der Fall Stuttgart gezeigt: Zu Beginn des Jahres musste die Stadt Feinstaubalarm auslösen, Autofahrer wurden gebeten, ihre Fahrzeuge stehen zu lassen. Der Erfolg der Aktion? Nahe null.

Dass die Blaue Plakette nicht kommt, ist konsequent - und beschämend

Die Blaue Plakette wäre da ein wirksameres Instrument. Städte und Gemeinden können derzeit bei hoher Verschmutzung nur generelle Fahrverbote erlassen, sie treffen den Mercedes 220 D von 1979 genauso wie den kürzlich gekauften Elektro-BMW i3.

Die Blaue Plakette hingegen träfe nur die Autos mit dem größten Ausstoß. So sehr sich einige Städte auch gegen die Richtersprüche wehren, viele hatten die Blaue Plakette schon akzeptiert; selbst das widerspenstige München war prinzipiell dafür.

Dass sie nun vorerst nicht kommt, ist auf beschämende Weise konsequent. Bereits in der Affäre um die Manipulationen an Dieselmotoren hat sich die Bundesregierung sehr gnädig gegenüber der Autoindustrie gezeigt.

Umweltministerin Hendricks lässt das klaglos geschehen

Angeführt von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) werden nicht nur Bayerns Vorzeigekonzerne BMW und Audi pfleglich behandelt. "Mobilitätsfeindlich" nannte er die Blaue Plakette, kaum dass sie im April beschlossen wurde.

Und Barbara Hendricks, als Umweltministerin auch dafür zuständig, dass die Luft der Republik nicht zu dick wird, lässt es klaglos geschehen. Dabei wäre es technisch ein Leichtes, die Dieselmotoren sauberer zu bekommen; die Kosten dafür sind überschaubar, ein paar Hundert Euro pro Antrieb.

Dazu passt folgende Beobachtung: Während der Grenzwert für Stickstoffdioxid im Straßenverkehr bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter liegt, liegt er in der Landwirtschaft bei 30 Mikrogramm. Andersherum gesagt: Gegenüber der Landwirtschaft traut sich die Bundesregierung immerhin 10 Mikrogramm mehr als gegenüber der Autoindustrie.

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