Umweltpolitik:Wie Bulgarien das deutsche Klimaziel retten soll

Braunkohlekraftwerk aufgenommen in Boxberg

Auch Braunkohlekraftwerke machen es Deutschland schwer, die eigenen Klimaziele zu erreichen.

(Foto: imago/photothek)
  • Global ist Deutschland Mahner für mehr Umweltschutz: Doch nun wird nach dem nationalen auch das europäische Klimaziel verfehlt.
  • Deals mit osteuropäischen Staaten versprechen Abhilfe. Diese haben ihre Grenzwerte noch nicht überschritten.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Über europäische Klimaziele konnten deutsche Regierungen in früheren Zeiten nur müde lächeln. Die EU wollte die klimaschädlichen Emissionen bis 2020 um 20 Prozent unter den Wert von 1990 drücken? Berlin versprach das Doppelte. Die EU peilte 40 Prozent Minus für 2030 an? Die Bundesregierung nahm sich 55 Prozent vor. Dabei waren die höheren Ziele auch der Wirtschaftsleistung und dem größeren Rucksack geschuldet: Wer viel zum Klimaproblem beiträgt, muss auch mehr dagegen tun. Zudem wehrten sich vor allem Staaten Osteuropas gegen zu hohe Klimaziele - ein Umstand, auf den auch deutsche Regierungen gerne verwiesen. Derweil pflegten sie den Eindruck, Deutschland sei eine Art Vorreiter im Klimaschutz.

Und jetzt das. Neuen Schätzungen des Bundesumweltministeriums zufolge wird Deutschland nicht nur sein nationales Ziel für 2020 verfehlen - sondern selbst das europäische. Doch während die Verfehlung eines selbstgesetzten Ziels in erster Linie peinlich ist, hat jene auf europäischer Ebene Folgen. Sie ist schließlich verbindlich.

Dahinter steht die innereuropäische Verteilung der "Leistungen" rund um den Klimaschutz. Die Europäer beschlossen nicht nur ein Ziel für 2020, sie gaben jedem Mitgliedstaat auch ein entsprechendes Budget. Dieses Budget betrifft alle Emissionen, die nicht durch den Emissionshandel erfasst sind. Während Letzterer den Kohlendioxid-Ausstoß von Fabriken und Kraftwerken europaweit deckelt, müssen sich die einzelnen Staaten um den Rest selbst kümmern: also um den Verkehr, die Landwirtschaft, um private Haushalte und Gewerbebetriebe. Hier fallen knapp die Hälfte der klimaschädlichen Emissionen an. Und hier rutscht das deutsche Konto von Jahr zu Jahr stärker in die Miesen.

Schon 2016 überschritten die Emissionen erstmals das von der EU zugestandene Budget. Da das Budget von Jahr zu Jahr kleiner wird, ist Besserung nicht in Sicht; allenfalls ein extrem milder Winter könnte Linderung schaffen. Wenn die Deutschen weniger heizen, entweicht auch weniger CO₂. Nach der derzeitigen Prognose aber rechnet das Ministerium für 2020 mit 426,5 Millionen Tonnen Emissionen aus Verkehr und Wärme. Innerhalb der EU aber hat sich Deutschland verpflichtet, bei 411 Millionen Tonnen zu landen. "Stand heute werden wir die Ziele nicht erreichen können", heißt es aus dem Umweltministerium. Deshalb bereite man sich darauf vor, "Emissionsrechte von anderen Mitgliedstaaten zu kaufen, die Überschüsse haben", erklärt ein Sprecher.

Die Verkehrsemissionen steigen

Eine skurrile Situation. Deutschland, auf globaler Ebene stets wortreicher Mahner für mehr Klimaschutz, braucht zur Erfüllung seiner Verpflichtungen Hilfe aus Osteuropa. Denn Überschüsse sind vor allem dort zu finden. Ihrer mauen Wirtschaftskraft wegen kamen viele osteuropäische EU-Länder mit geringen Auflagen davon; der Klimaschutz sollte das weitere Wachstum nicht behindern. Bulgarien, das ärmste Land der EU, darf seine Emissionen bis 2020 deshalb sogar um 20 Prozent ausweiten, Rumänien um 19 Prozent. Auch Nachbar Polen, hierzulande gern als unbelehrbares Klima-Fossil verschrieen, darf sich ein 14-prozentiges Plus erlauben. Das Ergebnis sind fette Überschüsse in der Klimabilanz, gemessen in Millionen Tonnen CO₂. Die wiederum lassen sich von A nach B transferieren - "in einer für beide Seiten annehmbaren Weise", wie es in der zugehörigen Richtlinie heißt. Sprich: Nach Sofia, Bukarest oder sogar nach Warschau wird Geld fließen, damit sich Berlin von seinen Versäumnissen freikaufen kann.

Letztere kommen mittlerweile vor allem aus dem Straßenverkehr. Der Trend hin zu größeren Motoren und ein wachsender Gütertransport per Lkw haben die Verkehrsemissionen auch 2016 ansteigen lassen - nach Zahlen des Umweltbundesamtes lagen sie um vier Millionen Tonnen über dem Vorjahr; und damit mittlerweile sogar wieder über dem Niveau von 1990. Auch in privaten Haushalten und im Gewerbe stiegen die Emissionen wieder leicht - womit auch das nationale deutsche Klimaziel in weitere Ferne reicht.

Umweltschützer sehen Handlungsbedarf

Statt der angestrebten 40 Prozent sind gerade mal 27,3 Prozent erreicht, immer gemessen an 1990. Damit wächst die "Handlungslücke", die Union und SPD ausweislich ihres Sondierungspapiers "so schnell wie möglich" schließen wollen. Abhilfe könnten dabei aber nur radikale Schritte leisten, etwa eine Abwrackprämie für alte Heizungen, oder eine massive Förderung von Elektroautos. Viel Zeit bleibt nicht mehr. "Solange die Bundesregierung keine Maßnahmen für eine Verkehrswende auf den Weg bringt, werden die Klimaziele jetzt und auch später gerissen", sagt Hubert Weiger, Chef des Umweltverbands BUND.

Für die Umweltstiftung WWF ist der einstige Vorreiter auf bestem Wege zum Schlusslicht. "Gleich zwei wichtige Ziele für 2020 zu verfehlen", findet Klimaexperte Michael Schäfer, "wäre eine Bankrotterklärung großkoalitionärer Klimapolitik."

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