Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen sich bisweilen vorkommen wie ein kaputter Plattenspieler, bei dem die Platte immer an der selben Stelle hängen bleibt und unzählige Male das selbe Lied abgespielt. Seit langem mahnen sie, dass die Erderwärmung auf drei Grad zusteuert. Bis zum Ende des Jahrhunderts würden eine Million Arten aussterben. Ressourcen werden über ihre Kapazitätsgrenzen hinaus genutzt. Vor dem Weltnaturgipfel kommende Woche in Montreal in Kanada ruft ein Bündnis aus Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen in der "Frankfurter Erklärung" zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen den Verlust der Biodiversität auf. Dem Bündnis gehören unter anderem Vertreter des Frankfurter Senckenberg-Forschungsinstituts, des Alfred-Wegener-Instituts in Potsdam sowie des Deutschen Naturschutzrings.
In der Erklärung fordert das Bündnis nicht zum Klimaschutz, sondern zum Schutz der Biodiversität auf. "Die Klimakrise ist wissenschaftlich deutlich besser erforscht als die Krise des Biodiversitätsverlusts. Hier gibt es dringenden Nachholbedarf", sagt Jörg Rocholl, Präsident der Wirtschaftsuniversität ESMT Berlin. Der Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung Klement Tockner geht sogar noch weiter und sagt: "Wenn wir jetzt nicht eine grundlegende Veränderung hin zu einer natur-positiven Wirtschaft vollziehen, dann wird das Zeitalter des Menschen zur kürzesten Epoche der Erdgeschichte!"
Für diese dramatische Entwicklungen seien "wir" selbst verantwortlich, heißt es in der Erklärung. Der große Fehler aus Sicht der Forschenden: Deutschland setze weiterhin auf eine Wirtschaftsordnung, in der das Ökosystem gratis in Anspruch genommen wird. Als viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt habe die Bundesrepublik einen enormen "Biodiversitäts-Fußabdruck". Und das, so die Forderung, müsse sich bis spätestens 2030 ändern. Deutschland könne dabei eine Vorreiterrolle einnehmen. Denn es gebe kaum ein Land mit mehr wissenschaftlichen Erkenntnissen, flächendeckenden Daten zur Biodiversität und ambitionierteren Initiativen. Dieses Potenzial müsse genutzt werden. Dafür brauche es aber klare Bedingungen und hier sei die Politik gefragt.
Die Wissenschaftler haben sechs konkrete Forderungen
Konkret sind es sechs Forderungen, die das Bündnis stellt: 1. Unternehmen sollen einheitliche Wettbewerbsbedingungen bekommen. Diejenigen, die auf Kosten der Natur handeln, sollen dafür aufkommen. 2. Ein einheitlicher Standard und die Verpflichtung, die Nutzung der Biodiversität zu dokumentieren. 3. Subventionen müssen so reformiert werden, dass sie den Anreiz schaffen, umweltfreundlich zu wirtschaften. 4. Ressourcen wie Holz dürfen nicht in den EU-Binnenmarkt gelangen, sofern ihre Herstellung Entwaldung verursacht hat. Einer entsprechenden Verordnung hat der EU-Umweltrat bereits zugestimmt. Nun muss die Verordnung verabschiedet und umgesetzt werden. Das müsse möglichst zügig geschehen und bald auch weltweit gelten. 5. Das 30x30 Ziel, also die Idee, dass 30 Prozent der Landes- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz gestellt werden, soll verabschiedet werden. Und 6. Die Bundesregierung müsse die Biodiversität in ihrer "Strategischen Forschungs- und Innovationsagenda" aufnehmen. So soll sie mehr Beachtung finden.
Die Forschenden zeigen auch Lösungen auf. Darunter der Vorschlag eines Instruments, um Biodiversität zu messen, eine Datenbank, die sie in Echtzeit erfasst und global und öffentlich zugänglich ist, Leitlinien, die Subventionen auf den Kurs des Ziels bis 2030 bringen sollen oder Kontroll-Programme, die auch anderswo als Vorbild gelten können - etwa durch neue Technologien. Und nicht zuletzt: Mehr Geld für Unternehmen, Fonds und Initiativen, die in Biodiversität investieren.